Der Hügel. Martin Renold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Renold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738010329
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Freundin mit seinen literarischen Ergüssen glücklich machen kann. Sie liebt seine Gedichte und seine Erzählungen, aber sie liebt ihn nicht wegen dem, was er für sie in literarischer Form schreibt, sondern vielmehr wegen dem, was er ihr jeden Tag als Zeichen seiner Liebe als elektronischen Brief übermittelt, vor allem aber liebt sie ihn um seiner selbst willen, so wie sie ihn vom ersten Tag, von der ersten Begegnung vor über fünfzig Jahren an – auch während der langen Jahre der von beiden selbstgewählten Trennung – geliebt hat.

      Arthur beendet den kleinen Rückblick auf sein Leben und stützt die Ellbogen auf den Schreibtisch. Er hat die Finger vor seinem Mund ineinander verschlungen wie ein Beter, stützt mit den Daumen sein Kinn und schaut andächtig zu dem Hügel. Kein Sonnenstrahl trifft die Hänge und die Wälder. Er sieht am Horizont das alleinstehende Bäumchen und lächelt still vor sich hin. Viel Liebe hat er in seine Schriften hineingelegt. Sein ganzes Leben war Liebe, Liebe für die Frau, die er gesucht und erahnt und gefunden hat, auf die er Jahre und Jahrzehnte verzichten musste und die er am Abend seines Lebens wieder gefunden hat, gefunden, weil sie nie verloren war, weil sie vielleicht von Ewigkeit her füreinander bestimmt waren:

      Sina und Arthur

      Vater Konrad und seine Kinder

      Es begann an jener Weihnacht, als Manfred seinem Vater drei Flaschen Wein schenkte.

      Die Familie – es war eigentlich keine intakte mehr, sondern eine zerrissene und deshalb gar nicht als solche zu nennen – fand sich bei der zweitjüngsten Tochter von Konrad, dem Familienoberhaupt, zusammen. Auch Oberhaupt darf nicht als die Familie beherrschende Instanz aufgefasst werden, denn Konrad selbst würde sich nicht als Oberhaupt bezeichnen, so wenig wie seine Nachkommen und schon gar nicht wie seine geschiedene Frau, mit der ihn zwar seit der Scheidung eine, mehr von ihr aus als Freundschaft empfundene Beziehung verbindet. Für ihn ist sie einfach die Mutter seiner Kinder. Nein, Konrad war einfach der Älteste von allen. Außer ihm befand sich in dieser Weihnachtsgesellschaft die bereits erwähnte geschiedene Ehefrau Klara, die ebenfalls bereits bekannte Tochter Anna mit ihrem Mann und den zwei Kindern, zwei Knaben von vier und sechs Jahren, die älteste, kinderlose Tochter Sabine, die mit ihrem Mann aus Wien zu diesem Fest hergereist war, und Manfred, der einzige und noch unverheiratete Sohn.

      Die jüngste Tochter, Claudia, die durch Brasilien getourt war und in einem Heim für sozial geschädigte Kinder als Hilfe einen vorübergehenden Job gefunden hatte, war wegen Unabkömmlichkeit verhindert und hatte sich mit einem kurzen Gruß entschuldigt.

      Beim Essen saß Konrad neben Klara, die er seinerzeit nicht aus Liebe, sondern weil er ihr nicht durch eine Trennung wehtun wollte, geheiratet hatte. Man hätte Klara auch das heimliche Oberhaupt der Familie nennen können, war doch sie es, die ständig mit ihren Kindern in telefonischem Kontakt stand und so zumindest die jüngere Generation der Familie zusammenzuhalten versuchte. Sie war es auch, die beim Essen, das mit einem Tischgebet eröffnet worden war, das Gespräch führte.

      Die beiden kleinen Kinder wurden ungeduldig, wollten vom Tisch weggehen und die Geschenke auspacken gehen, die sie unter dem Christbaum im Zimmer nebenan bereits erspäht hatten. Doch ihr Vater forderte sie auf zu bleiben, was sie unwillig befolgten.

      Nachdem dann doch die Kerzen am Christbaum leuchteten, wurde Vater Konrad wie jedes Jahr gebeten, die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium vorzulesen, dann wurde ein Weihnachtslied gesungen, bevor endlich – die aufgeregten Kinder konnten es kaum mehr erwarten – die Geschenke verteilt wurden.

      Als alle Kinder und auch die Erwachsenen beschenkt waren, erhob sich Manfred, ging in eine Ecke des Zimmers und trug eine Schachtel zum Tisch, aus der er neun Flaschen Wein herauszauberte. Die unterschiedlichen Flaschen waren nicht festlich verpackt, auch nicht mit einer schmückenden Masche um den Flaschenhals versehen. Er stellte sie einfach, je drei, vor seinen Vater und seine beiden Schwäger hin auf den Tisch. Noch nie zuvor hatte Manfred seinem Vater eine Flasche Wein geschenkt oder sonst ein alkoholisches Getränk, zu Weihnachten nicht und schon gar nicht zu seinem Geburtstag.

      Die eine Flasche vor ihm war ein spanischer Rioja, die andere ein italienischer Montepulciano und die dritte ein französischer Beaujolais. Alles gute, aber nicht teure Weine, stellte Vater Konrad fest. Aber warum schenkt mir Manfred drei Flaschen Wein? Ich bin kein Weintrinker. Manfred weiß das. Manchmal in Gesellschaft trinke ich gerne ein Glas Wein. Aber seit ich allein lebe, habe ich kein Bedürfnis nach Wein. Wein muss man mit Freunden trinken. Allein macht es melancholisch. Wenn man nicht mit jemandem anstoßen kann, erinnert es einen, dass man allein ist. Nur Melancholiker trinken Wein, wenn sie allein sind.

      Manfred ist sicher kein Melancholiker. Er ist dreißig Jahre alt und immer noch Junggeselle. Ich habe ihn selten Wein trinken gesehen. Mag sein, dass er sich einen kleinen Vorrat hält für seine Gäste. Junge Menschen haben gerne Gesellschaft. Die Jungen von heute trinken Bier, wenn sie beisammen sind. Sie trinken es aus der Flasche. Manfreds Freunde sind anscheinend keine Biertrinker, die aus der Flasche trinken. Da ist es schon möglich, dass Manfred mit ihnen gerne einmal ein Glas Wein trinkt. Die Weine, die er seinem Vater und den Schwägern geschenkt hat, hat er sicher nicht extra als Weihnachtsgeschenke gekauft. Es scheint so, als wollte er seinen Vorrat loswerden. Ist Manfred Abstinent geworden?

      Konrad fragt nicht. Als die Weihnachtsfeier vorbei ist, steckt Konrad die Flaschen in eine Tragtasche, die ihm sein Sohn gereicht hat, verabschiedet sich von allen und geht nach Hause, sorgfältig bedacht, die Tasche nirgends anzuschlagen, weder im Zug noch im Bus oder daheim, wenn er die Tür zu seiner Zweieinhalbzimmerwohnung öffnet. Auf der Heimfahrt hat er immer wieder daran denken müssen, was wohl hinter diesem ungewohnten Weingeschenk steckt.

      Ein halbes Jahr später löst sich das Rätsel. Manfred hat seinen Vater zu einem Essen eingeladen. Nicht bei sich daheim, sondern in einem bekannten Ausflugsrestaurant in der Höhe, wo man einen schönen Rundblick auf das alte Städtchen und das ganze Land bis zu den Alpen hat. Konrad kommt diese Einladung seltsam vor. Genau wie das Weihnachtsgeschenk, an das sich Konrad jetzt erinnert. Zwei Flaschen stehen bei ihm immer noch verschlossen in einem Küchenschrank. Eine hat er mit einem Freund zur Hälfte geleert. Die andere Hälfte hat er allein an den zwei nächsten Tagen zum Mittagessen getrunken.

      Auf irgendeine Überraschung gefasst, unternimmt Konrad den Weg an gepflegten Gärten vor den Einfamilienhäusern vorbei, die in der Vormittagshitze dieses wolkenlosen Sommertags wie verlassen dastehen. Hinter den letzten Häusern geht die Autostraße durch Wiesen und Äcker. Manfred hat seinen Veston ausgezogen, hat seinen Zeigfinger durch die Aufhängung gesteckt und den Veston hinter sich auf den Rücken geworfen und trägt ihn so, bis ihm der Zeigfinger wehtut und er den Veston von der linken auf die rechte Seite wirft.

      Nachdem Konrad in eine schmalere Nebenstraße eingebogen hat, erreicht er nach einer halben Stunde Aufstieg an der glühenden Sonne sein Ziel. Als er im großen Garten des Restaurants unter den Kastanienbäumen nach seinem Sohn sucht, sieht er, dass Manfred nicht allein ist. Eine schwarzhaarige, dunkelhäutige Frau sitzt bei ihm am Tisch. Südamerikanerin denkt er sofort. Nicht dass er etwas gegen Südländerinnen gehabt hätte. Im Gegenteil, er findet sie schön. Der Schweiz mit den vielen verbohrten Schweizern, die am liebsten gar keine Fremden ins Land ließen, täte eine Blutauffrischung gut. Konrad ist gar kein Rassist. Allerdings, wenn sein Sohn eine Schwarze heiraten würde, was wäre dann? Wäre mir das egal?, fragt er sich, während er sich durch die Tische und Bänke zwängt. Die beiden Kulturen wären doch zu weit auseinander, als dass eine ungetrübte Beziehung entstehen könnte. Man hört doch immer wieder von solchen zerbrochenen Ehen, wobei meistens um die Kinder ein Kampf geführt wird. Das ist alles, was er denkt. Zu mehr reicht es nicht, denn er steht bereits vor seinem Sohn und seiner schönen, aber ein wenig schüchternen Begleiterin.

      Manfred stellt sie seinem Vater als seine Freundin und zukünftige Frau vor. Später erfährt er, dass sie aus Bolivien stammt. Ähnliche Gedanken wie vorhin flackern durch seinen Kopf, ohne darin etwas anzuzünden, denn Manfred zielt in seinem Gespräch in eine ganz andere Richtung.

      Vater Konrad weiß, dass sein Sohn in einem Musikaliengeschäft arbeitet. Durch seine Arbeit in dem Geschäft, so sagt ihm Manfred, habe er Betty kennen gelernt. Eines Tages nämlich, seien zwei Männer