Der Hügel. Martin Renold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Renold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738010329
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gekommen, weil sie eine Orgel für ihr Gemeindehaus kaufen wollten.

      Weißt du, fährt Manfred fort, ich habe schon seit der Konfirmation nach etwas gesucht, das mich spirituell mehr ergreift als die Predigten unserer Pfarrer in der reformierten Kirche. Ich habe auch den Buddhismus, alle anderen östlichen Religionen studiert, aber jetzt, nachdem die beiden Männer mich in ihre Gemeinde eingeladen haben, weiß ich, wo ich das finden kann, wonach ich gesucht habe – einen lebendigen Glauben, der in der Gemeinschaft, aber auch in der Familie gelebt wird. Ich bin der Kirche der Heiligen der Letzten Tage beigetreten. Und dort habe ich Betty kennen gelernt.

      Konrad ist, so kann man sagen, ein gläubiger Christ, ein reformierter Christ, der ab und zu in die Kirche geht. Er selbst hat auch als junger Mann buddhistische Bücher gelesen. Er hat sich in Büchern auch über die Sekten schlau gemacht.

      Von all den Sekten, denkt er, ist die Kirche der Mormonen ihm noch die sympathischste. Er hat Mormonen gekannt und weiß, dass sie sehr familienfreundlich sind. Wenn nur das Buch Mormon nicht wäre. Dass Manfred daran glaubt, kann er nicht verstehen. Manfred war doch immer ein Mensch, der seine Vernunft gebraucht hat. Aber welcher Vater kann schon in die Seele seines Sohnes schauen? Er war immer ein eher stiller Mensch, der alles, auch die Trennung seiner Eltern, still in sich selbst verarbeitet hat. Wie kann er glauben, dass das Buch Mormon von einem Engel auf die Erde gebracht worden sei?

      Jeder Mensch muss selber wissen, wohin er gehört und was er glaubt, sagt sich Konrad. Es hat keinen Sinn, seinen Sohn davon abzuhalten. Ohnehin ist es schon zu spät. Gutheißen kann er es nicht. Aber er akzeptiert es stillschweigend. Er hätte viel zu Manfreds Entscheidung zu sagen gehabt. Aber er will ihn nicht in eine Diskussion über Religion und Glauben verwickeln, schon gar nicht in der Gegenwart seiner Freundin.

      Die Mormonen trinken keinen Alkohol, das weiß er, keinen Schwarztee und rauchen nicht. Jetzt erinnert sich Konrad, dass er seinen Sohn seit längerer Zeit nie mehr mit einer Zigarette im Mund gesehen hat. Na ja, schlecht ist das allemal nicht. Und nun weiß er auch, warum Manfred an Weihnachten all seinen Wein verschenkt hat.

      Die nächste Überraschung trifft Konrad ein Jahr später wie ein Doppelschlag auf beide Backen als seine älteren Töchter, Sabine und Anna, ihm erklärten, sie würden zum Katholizismus übertreten.

      Von der älteren kann er das ja noch verstehen. Sie lebt in einem katholischen Land, wohnt gerade vis-à-vis einer katholischen Kirche – die evangelische sei eine Stunde entfernt –, ist mit einem katholischen Mann verheiratet, wenn auch dieser nie eine Kirche von innen sieht, außer bei Hochzeiten oder Beerdigungen in der Verwandtschaft. Er und Sabine haben auch nicht kirchlich geheiratet.

      Sabine war als Kind sehr verletzlich. Doch Vater Konrad hat seine Tochter später doch eher für eine Frau gehalten, die mehr vom Intellekt als von den Gefühlen beherrscht wird. Darin hat er sich wohl getäuscht.

      Weißt du, sagt sie, in den evangelischen Kirchen ist mir immer kalt zumute. In der katholischen Kirche gegenüber aber wird mir warm im Herzen. Da fühle ich mich geborgen und in der Messe Gott näher als in einer evangelischen Predigt.

      In der Kirche gegenüber, denkt er, hat Sabine gesagt. Es geht ihr also gar nicht um den katholischen Glauben, sondern um das Gebäude, die Kirche, die an der Straßenecke steht.

      Heute, erwidert Konrad, bei diesen Päpsten, die das Zweite Vatikanische Konzil geradezu verraten, denen die Unversehrtheit der Kirche wichtiger ist als das Heil der Menschen und denen der Missbrauch der Kinder durch ihre Priester gleichgültig ist, solange er verschwiegen werden kann, und solche Priester schlimmstenfalls an einen anderen Ort versetzen, wo sie weiter ihr Priesteramt und ihren Missbrauch ausüben können, während Priester, die sich zu ihrer Liebe zu einer Frau bekennen, in die Wüste geschickt werden, jetzt, da viele aus der Kirche austreten, weil sie das, was aus dem Vatikan kommt, nicht mehr länger mitansehen und mitmachen können, da willst du katholisch werden und zur Maria statt zu Christus oder zu Gott zu beten? Kannst du denn zu dem stehen, was diese konservativen Päpste vertreten?

      Nein, entgegnet Sabine, aber das interessiert mich auch nicht, mir geht es nur darum, an einen Ort hingehen zu können, wo ich spirituell beheimatet bin. Da kann ich auch beichten, wenn ich das Bedürfnis habe, mich einem Menschen anzuvertrauen, der mir hilft. Du warst zwar kein schlechter Vater, aber in den letzten Jahren, als ich noch daheim war, hätte ich manchmal gewünscht, einen Vater zu haben, dem ich mich hätte anvertrauen können.

      Ja, das war die Zeit vor der Scheidung gewesen. Da hatte Klara Tochter Sabine auf ihre Seite gezogen, sich ihr anvertraut und sie zur Freundin gemacht, so dass Konrad die innere Entfremdung seiner Tochter zu ihm schmerzlich empfunden hatte. Der Vorwurf von Sabine und dass sie sich lieber einem katholischen Priester anvertraut als ihrem Vater, trifft ihn nun ebenso hart wie ihr Schritt zum Katholizismus.

      Konrad denkt zurück an die Zeit, als seine Kinder wirklich noch Kinder waren. Da lief alles doch so gut. Da brauchte er sich nicht in das Leben seiner Kinder einzumischen. Er ließ allem seinen Lauf. Wann schon hatte er mit seinen Kindern über Gott gesprochen oder über das, was sie bewegte? Er glaubte, es genüge, seinen Kindern ein Vorbild zu sein. Ja selbst als es in seiner Ehe zur Krise, ja, um die Wahrheit zu sagen, zu einer Zerreißprobe kam, hatte er nicht mit seinen Kindern gesprochen. Nein, ich werde euch nie verlassen, war das Einzige, was er gesagt hatte. Dann hatte er sich bemüht, die Kinder nichts von seinen inneren Kämpfen anmerken zu lassen und weiterhin Vorbild für sie zu sein. Jetzt sieht er ein, dass dies nicht genügte.

      Es ist bei einem Besuch Sabines bei ihrer Schwester Anna, als beide die Gelegenheit benutzen, den Entscheid, katholisch zu werden, gemeinsam ihrem Vater zu eröffnen und sich dann auch miteinander in einer katholischen Bistumskirche von einem konservativen Bischof firmen zu lassen.

      Ihr habt uns Kindern schon früh biblische Geschichten erzählt, sagt Anna zu ihrem Vater, und ein Tisch- und ein Abendgebet waren selbstverständlich. Daran dass sie am Tisch gebetet hatten, kann sich Konrad nicht mehr erinnern, nur dass meistens die Mutter am Abend am Bett mit den Kindern gebetet hat. Auch zur Kirche hatten sie die Kinder schon früh mitgenommen, wann immer das möglich war.

      Es gab zwar eine Zeit, in der Konrad auch nicht mehr in die Kirche gegangen ist. Er hat in einer christlichen Firma gearbeitet. Im Verwaltungsrat saßen ein Pfarrer und ein Theologieprofessor und der Präsident gehörte einem besonders frommen Verein an. Zwei Jahre zuvor hatte die alte Firma, in der er einen führenden Posten innegehabt hatte, mit dieser neuen Firma fusioniert. Konrad hatte bald danach gemerkt, dass diese Fusion auf gefälschten Daten beruhte, dessen Urheber der Präsident war. Doch der versuchte die Schuld erbarmungslos auf andere abzuschieben, auch auf Konrad. Es war eine schlimme Zeit gewesen. Konrad hatte seine Arbeit geliebt, aber unter diesen frommen Vorgesetzten, hielt er es nicht aus. Nach drei Jahren hatte er die Firma verlassen. Selbst der Pfarrer und der Theologieprofessor, die sich hinter den Präsidenten stellten und sich vor der Wahrheit verschlossen, hatten ihn enttäuscht. Ein paar Mal war er noch in die Sonntagspredigt in seiner Wohngemeinde gegangen. Doch die Worte, die der Pfarrer, der nichts mit der Firma zu tun hatte, sprach, waren ihm wie leere Hülsen vorgekommen. In einem Gespräch, in dem er dem Pfarrer seine Situation schilderte, hatte er das Gefühl, an eine leere Kirchenwand zu sprechen. Auch dieser Pfarrer schwebte hoch über dem, was unten im täglichen Leben geschehen konnte und auch wirklich geschieht.

      Das hat nichts mit meinem Glauben zu tun, hatte sich Konrad damals gesagt. Sein Glaube an einen Gott war unerschüttert.

      Das alles kommt ihm jetzt in den Sinn. Er kann seine Töchter verstehen. Aber finden sie in der katholischen Kirche das, was sie in der evangelischen nicht gefunden haben – die Geborgenheit?

      Weißt du, fährt Anna fort, ich bin ein sehr gläubiges Kind gewesen und habe auch oft auf dem langen Schulweg gebetet. Davon weiß Konrad nichts. Anders als Sabine, hält er Anna für einen Menschen, der seine Gefühle voll auslebt. Sie brauchte die elterliche Wärme. Schon als kleines Kind, wenn er sie in den Armen hielt, konnte er sie, anders als die Mutter, beruhigen, wenn sie schrie. In seinen Armen fühlte sie sich offenbar mehr geborgen als in den Armen der oft unzufriedenen Mutter. Und auch später war Anna ein Kind, das Nähe brauchte, während die ältere Sabine oft stumm danebenstand, wenn Anna sich umarmen ließ. Darum erstaunt