Ich locke dich. Wolf L. Sinak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf L. Sinak
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742758361
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      „Ich möchte dich um die Handynummer deiner Mutter bitten.“

      Anna schaute überrascht, dann rollte sie die Augen hinauf zum Gedächtnis und nannte die Zahlen. Irgendetwas sagte ihm, dass sie von den gemeinsamen Urlaubsplänen keine Ahnung hatte, weil Steffi in Wirklichkeit nicht daran dachte mitzufahren. Oder Mutter und Tochter amüsierten sich über das Rindvieh von Zahnarzt, das eine Lehrstelle eilfertig geschaffen hatte und dennoch allein verreisen würde.

      Er bedankte sich überschwänglich und entließ Anna aus dem superkleinen Arbeitszimmer, das nach Werners Dafürhalten glauben machte, der Zahnarzt wolle mit der Putzfrau anbändeln, weil er die Besenkammer möbliert hatte. Jens wählte die Nummer.

      „Tut mir leid“, sagte Steffi am anderen Ende, „ich war gestern zu kaputt, um in die Sauna zu gehen, außerdem bin ich leicht verschnupft.“ Ihre Stimme klang wirklich so. „Mein Chef würde mir frei geben, aber ich weiß nicht, ob es richtig wäre. Der Urlaub könnte ein Fiasko werden. Wir kennen uns zu kurz. Und Sie haben sich Urlaub verdient!“

      „Das Risiko gehe ich gerne ein.“

      „Okay. Aber sollte ich merken, es wird nichts mit uns, kann ich nicht so tun als ob, nur weil gerade Urlaub ist. Sie würden das nicht wegstecken wie einen verhauenen Lottoschein.“

      Sie machte eine Pause. Jens hörte, wie sie in ein Taschentuch schneuzte. Mit ihrer Offenheit hatte er nicht gerechnet. Und er gab ihr Recht. Er war kein Reisebüro, das um Kunden warb. Er fühlte auch nicht mehr die Kraft, mit der er als junger Mann Frauen umgarnt hatte. Der Schlamassel, den er schließlich zwei Frauen verdankte, klebte an seinem Eifer.

      Steffi räusperte sich. „Und wir hatten vereinbart, uns den Urlaub so vorzustellen, als würden wir uns zufällig im Hotel treffen.“ Sie holte tief Luft. „Das bedeutet, dass ich abreise, wann immer ich will, denn ich fahre mit meinem eigenen Wagen.“

      Na toll, dachte Jens, Abreise vielleicht, wenn der Mond ungünstig stand oder ihr Einfallsgenerator das so wollte.

      „Schimpfen Sie mich nicht“, sagte sie, „wenn ich noch eine Selbstverständlichkeit anspreche, die einen Gentleman wahrscheinlich kränkt. Ich hoffe, dass Sie ein eigenes Zimmer für mich haben und mir nicht vor Ort mit Bedauern erklären, dass keines mehr frei ist.“

      Der Schlag ging in die Magengrube. Getrennte Zimmer hatte er als geboten erachtet, aber nicht erwartet, dass Steffi das Thema so resolut anmahnen würde. Er hatte keinen Plan B für den Fall, dass der Gasthof ausgebucht war und ihre Urlaubsstimmung die Zimmerfrage nicht zur Nebensache verkommen lassen würde. „Selbstverständlich, das wäre zu kitschig.“

      „Gut. Es würde aber auch nichts machen, wenn Sie jetzt lieber allein verreisten und mich Schrulle zu Hause ließen, denn so bin ich nun mal.“

      So sind sie alle, dachte Jens. Für ihn klang das wie nach einem Essen, bei dem die Frau fragt, ob sie bezahlen soll. Er konnte die Sache nicht rückgängig machen, ohne wie ein kaltgestellter Aufreißer dazustehen. Er verabredete sich mit ihr.

      Beim Betreten des Behandlungszimmers sah er von hinten einen Mann im weißen Kittel, der auf dem Drehhocker saß und mit Herrn Scheffel sprach, dem einbeinigen Patienten aus dem Altersheim. Einen Augenblick lang kam es Jens vor, in der falschen Praxis zu sein.

      „Guten Morgen, Herr Bunsel! Wie ich sehe, brauchen Sie keine Einweisung.“

      Bunsel stand auf. „Oh, niemand wusste, wo Sie waren, da habe ich schon mal angefangen, versteht sich. Ist ja ganz schön was los im Wartezimmer.“

      „Nächste Woche erleben Sie, wie es abflacht.“

      „Um so besser für die Hypnosesitzungen, da …“

      Jens machte einen Satz rückwärts, als hätte er soeben Lepra bei Bunsel entdeckt.

      „Auf keinen Fall!“ Er hob beschwörend die Arme. „Ich wusste nicht, dass Sie auf diesem Gebiet ausgebildet sind, aber ich vertrete die Auffassung, dass Hypnose an ein und denselben Therapeuten gebunden sein soll. Sie ist zu anfällig, um sie mal kurz aus der Hand zu geben – mit Verlaub an einen doch Fremden.“

      Jens drängte Bunsel zur Seite und setzte sich zu dem Patienten. Er war drauf und dran, den Urlaub abzusagen. Der Fortschritt mit Steffi war nur befriedigend und Renate drohte in ihrer Gewinnsucht mit der Teilung der Praxis. Ja, und Bunsel hatte was von einem klebrigen Alleskönner. In Deutschland gab es eintausend in Hypnose ausgebildete Zahnärzte, unter ihnen also auch streunende, die von Vertretungen lebten.

      Jens nahm Spiegel und Sonde und fing an zu arbeiten.

      2

      Am Freitagnachmittag ging Beate zur Wohnungsbaugenossenschaft und gab ihren Krankenschein ab. Schnell sprach sich herum, dass es sich lohnte, einen Blick auf das Gesicht der Kollegin zu werfen. Doch Conny, die Sekretärin, verschloss hinter Beate die Bürotür.

      „Ein phänomenaler Mann, der Zahnarzt“, sagte Beate. „Er hat Schultern wie Tarzan und Augen, die seine Kraft bändigen. Mir war alles egal, selbst seine fuchsroten Haare. Auf dem Behandlungsstuhl hielt er mir einen Kugelschreiber über die Augen. Unsichtbare Fesseln. Du musst den Kerl ausprobieren!“

      Beide lachten.

      „Ich weiß nicht,“ sagte Conny. „Seit ich als Kind einen Plüschlöwen mit knallroten Haaren im Bett hatte, bin ich nicht mehr an Rothaarigen interessiert. Und was hat er mit deinem Zahn gemacht, nachdem du eingeschläfert warst?“

      „Ich nehme an, Doktor Klemmer ging in Deckung, als beim Schneiden der Eiter spritzte. Er ließ den Eckzahn offen, wie er mir hinterher mitteilte.“

      Außer ihrem Krankenschein hatte Beate eine Idee mitgebracht. An jedem letzten Samstag eines Monats trafen sich die zwei mit anderen Leuten zu esoterischen Sitzungen in Eduards abgelegenem Haus im Stadtteil Roschütz. Eduard war ein Begriff unter Esoterikern, für Conny und Beate war er ein Guru. „Was hältst du davon, wenn ich Doktor Klemmer bitte, bei Eduard einen Vortrag über Hypnose zu halten?“

      Conny nahm eine Feile und bearbeitete einen ihrer langen Fingernägel. „Ich weiß nicht, ob das Thema in unsere Runde passt. Und glaubst du, dass so einer das umsonst macht?“

      „Als Gegenleistung gewinnt er neue Patienten, so wie mich.“ Beate fühlte sich großartig, nicht nur wegen ihrer körperlichen Besserung, vielmehr weil das Schwert gebrochen war, das die Zahnärzteschaft all die Jahre gegen sie gerichtet hatte.

      „Gut, ich lasse mir einen Termin geben“, sagte Conny. „Wenn er mich überzeugt, kriegen wir auch Eduard herum. Wie ist die Telefonnummer?“

      Beate holte sie aus ihrem Gedächtnis und Connys gefährlicher Fingernagel stach sie ins Telefon. Nach kurzer Wartezeit wandelte sich Connys Miene von freundlich zu überrascht.

      „Oh, Sie persönlich, ich wollte nur einen Termin vereinbaren.“ Sie schüttelte die freie Hand, als hätte sie sie verbrannt.

      Bunsel behielt den Hörer am Ohr und blickte sich um. Er stand allein an der Rezeption. „Nein, ich bin Doktor Bunsel. Ich vertrete Doktor Klemmer in seinem Urlaub, der kommt erst in zwei Wochen zurück … Ich auch, Hypnose ist meine Spezialität … Wie Sie möchten, dann schreibe ich einen Termin für Doktor Klemmer ins Bestellbuch … Ihren Namen bitte … Cornelia Kreihansel. Danke für den Anruf, Frau Kreihansel. Auf Wiederhören!“

      Die letzten Worte hörte Jens. Er war gerade von seinem Rundgang durch die Praxis zurückgekehrt. Die Helferinnen hatte er wegen seines bevorstehenden Urlaubs früher nach Hause geschickt.

      „Sagten Sie Kreihansel?“

      Bunsel nickte stolz, als hätte er die Frau angeworben.

      „Muss Zufall sein“, sagte Jens, „denn der Kreihansel, an den ich denke, hat meines Wissens keine Verwandtschaft. Dieser komische Name schmeckt mir auf der Zunge wie Galle. So ein Fall, bei dem sich eine Straftat ausgezahlt hat, hier in meiner Praxis, unter dem Schutz des Gesetzes. Im Jahr 1998 – damals rechneten wir ja direkt