Ich locke dich. Wolf L. Sinak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf L. Sinak
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742758361
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der Rand seiner Halbglatze Falten zog. „Und was ist dann passiert?“

      Jens knüllte das kleine Handtuch zusammen und wischte den Schweiß vom Gesicht. „Nichts, ich wette, Renates Freundinnen hatten schon ihre Handys gezückt, als sie die Treppe runterrannten. Zwei Minuten später war Gera informiert.“

      „Hast du denn die Besucher nicht mitbekommen?“ Werners Stimme holperte, in seiner Brust schien ein Nest voller Lachmöwen aufgewacht zu sein.

      „Ich konnte doch nichts hören“, sagte Jens.

      Mit den Händen schlug sich Werner auf die Knie. Sein Mund sprudelte: „Und Marlies? Die hatte doch ihre Ohren frei. Das Aufschließen der Tür und ne Horde Weiber machen Krach.“ Er zog sein T-Shirt aus. Was sichtbar wurde, war ein schwarzes Wollknäuel mit Armen, auf dem ein Hals saß. Werner hatte es aufgegeben, sich den Körper zu rasieren.

      „Schien Marlies egal gewesen zu sein. Frage sie doch selbst. Jedenfalls wäre ich froh, wenn ich sie einige Zeit nicht sehen würde.“ Jens ging hinaus und stellte sich unter die Dusche. „Und in Ohnmacht ist Renate auch nicht gefallen, sie war nur sprachlos, weil sie mir eine derartige Aktion nicht zugetraut hatte, mir, dem Idioten vom Dienst.“

      Als er abgetrocknet war, legte er sich auf eine Liege und schaltete sich in die tiefste Position. Für einen Moment sickerten anregende Bilder von Marlies durch. Sie stürzten zusammen, als Werner erneut zu lachen begann. Allem Anschein nach ließ er das Gesagte Revue passieren. Jens schloss demonstrativ die Augen und Werner verließ die Sauna.

      Endlich konnte er sich gedanklich Steffi widmen, der hübschen Mutter seiner Auszubildenden. Es war hoffentlich so, dass das Geschwätz über ihn und Marlies nicht bis zu ihr vorgedrungen war. Steffi besuchte ausschließlich die Sauna und hatte sonst keinen Kontakt zu den Trainierenden. Seine Gedanken mündeten in einen Strudel aus Bildern von ihr und verschwammen im Schlaf. Als er aufwachte, war er immer noch allein. Er nahm sein Handtuch und ging zum zweiten Gang in den Kasten.

      Steffis nackten Körper kannte er nur vom Hinsehen. Das Einzige, was er je berührt hatte, war ihre Hand. Sie waren zweimal ausgegangen, ihr Zögern mutete an wie pubertäres Gehabe. Und überhaupt, wie er auf sie aufmerksam geworden war, hatte einen faden Beigeschmack. Sie lag auf der obersten Stufe der Sauna und fragte ihn, ob er noch kurzfristig eine Auszubildende einstellen würde – ihre Tochter Anna. Dabei zog sie das an der Wand liegende Bein etwas an. Um sich zu öffnen? Ja, Jens war sich sicher, damals wie heute, dass es Körpersprache war. Genauso gut hätte sie sagen können: Mal sehen, was für dich rausspringt, wenn du meine Tochter einstellst.

      Das Knacken der Saunatür würgte diesen Gedanken ab. Jens, der Steffi erwartete, kniff die Beine zusammen.

      Ein junger Mann in vollen Klamotten und mit gebräunter Haut duckte sich durch die Tür. Als er sich wieder aufrichtete, stieß er fast gegen die Decke.

      „Guten Tag! Sie müssen Doktor Klemmer sein“, sagte er mit bayrischem Dialekt.

      Jens schaute ihn verdutzt an.

      „Ich möchte mich vorstellen: Doktor Bunsel, derjenige, der Sie zwei Wochen vertreten wird.“

      Bunsel, der wegen seiner Größe eine Ansicht von unten bot, hatte gelbe Zähne. Jens schaute auf die Hände in der Hoffnung, dass wenigstens die zu einem Zahnarzt passten. Die Finger waren lang und schmal. In Jens Studentenzeit hatte man solche Kommilitonen spaßeshalber als Frauenärzte favorisiert. Und die faltige Haut auf den Knochen schien eine Nummer zu groß zu sein. Der drahtige Typ war etwa dreißig Jahre alt.

      Jens wischte seine schweißnasse Hand am Handtuch ab. Er wollte sie ihm lasch geben, damit sie sich anfühlte wie eine Qualle, drückte dann aber zu, bis Bunsel das Gesicht verzog.

      „Was in aller Welt wollen Sie hier?“

      „Ich pflege, mich auf eine Vertretung vorzubereiten.“

      „In der Sauna?“

      Bunsel lächelte gekünstelt. „Ich wollte Sie fragen, ob ich mich morgen früh einarbeiten kann, unentgeltlich, versteht sich. So lerne ich die Praxis besser kennen, als wenn Sie mich am Nachmittag kurz einweisen.“

      Damit hatte Jens nicht gerechnet. Es war das erste Mal, dass er eine Vertretung beauftragte, und Engagement schätzte er hoch ein, aber genauso gut hätte der sonnengebräunte Yuppie morgen früh darum bitten können. Fehlte nur noch, dass er jetzt begann, fachliches Zeug zu labern.

      „Ich bin gerührt, Sie können anfangen, wann immer Sie wollen.“

      Bunsel schluckte, sein Kehlkopf hatte das Prägnante eines Außenfahrstuhls. Wahrscheinlich hatte er Beifall erwartet. „Ihre Frau sagte, Sie könnten mir bestimmt eine Unterkunft empfehlen. Etwas Preisgünstiges mit Frühstück, versteht sich.“

      Jens glaubte es nicht. Da hatte er vereinbart, diesem Geizkragen für zwei Wochen ein Vermögen zu zahlen, und abends Viertel nach acht stört der einen heiligen Ort, um nach billigen Hotels zu fragen. Vielleicht bat er noch, bei ihm unterzukommen, nur für ein oder zwei Nächte, versteht sich. Renate war in Ausübung ihres angemaßten Mitspracherechtes auf die Idee gekommen, Bunsels Werbebrief zu beantworten und ihn als Urlaubsvertretung zu engagieren – einen Fremden in ihrer Praxis –, um die Patienten nicht der Konkurrenz preiszugeben. Dass eine Vertretung Patienten auch verprellen konnte, davon hatte Renate nichts wissen wollen.

      „Da kann ich Ihnen nicht helfen. Fragen Sie vorn am Tresen den Herrn mit den lichten Haaren, billige Hotels sind seine Spezialität.“

      Bunsel verabschiedete sich und ging genauso schnell, wie er gekommen war. Jens wartete weiter auf Steffi. Vergeblich.

      „Das werden keine Hypnosen, sondern Entspannungen gegen die Uhr“, sagte Jens am nächsten Morgen zu Frau Grünwald, seiner zweiten Helferin, die ihm das offene Bestellbuch vor die Augen hielt. „Übrigens, ich suche eine Handynummer, die ich ins Bestellbuch oder anderswohin gekritzelt habe. Ihnen ist sie wohl nicht aufgefallen?“

      Frau Grünwald verneinte und ging mit dem Bestellbuch zurück zur Rezeption. Er hatte nicht die Zeit, nach der Handynummer zu suchen, heute Vormittag riefen mehr Patienten an als sonst und baten wegen des Urlaubs um kurzfristige Termine. Zu allem Überfluss standen zwei Hypnosesitzungen im Bestellbuch. Aber er musste Steffi sprechen, musste wissen, woran er war, jetzt sofort. Er drückte die Sprechtaste und beorderte Anna in sein Arbeitszimmer. Gut zumute war ihm nicht, seine Auszubildende um die Handynummer ihrer Mutter zu bitten. Noch verheiratet, empfand er die Verpflichtung, sich irgendwie zu rechtfertigen. Wie beschissen stünde er da, wenn Anna von einem denkbaren Bekannten aus dem Fitnessstudio erfahren hätte, wohin ihr Chef seinen Kopf so steckt, während seine Noch-Ehefrau ins Kino geht.

      Anna kam mit tränenverschmierten Augen. Auf sein Drängen hin erzählte sie, dass sie die heruntergefallene Pinzette zurück auf den Schwebetisch gelegt hatte, obwohl die Behandlung noch nicht beendet war, und deswegen von Frau Eisentraut runtergeputzt wurde. Jens kannte den Umgangston von Frau Eisentraut, und er wusste, was Midlife-Crisis war. Seitdem der Hingucker Anna in der Praxis arbeitete, legte Frau Eisentraut besonders viel Farbe auf die Lippen. Sonst wusste er nicht viel über sie, nur dass sie zwei große Söhne hatte und einen Mann, den er mehrmals im Schwarzbierhaus gesehen hatte. Wahrscheinlich war er öfter dort, als es seiner Frau lieb war.

      „Mit deinen Leistungen bin in sehr zufrieden, Anna. Frau Eisentraut kam auch nicht als Zahnarzthelferin auf die Welt, ebenso wenig hat sie steril in die Windeln gemacht.“

      Es nützte nichts. Annas Kinn klebte auf der Brust wie bei einer Beerdigung. Dabei fiel ihm ein, was Steffi an einem gemeinsamen Abend angesprochen hatte, nämlich dass Anna flachbrüstig war. Eigentlich hatte sie gar keine Brüste. Das barg Zündstoff, wie Steffi meinte. Ein Mädchen habe mal zu Anna gesagt: „Sieh’s mal positiv, du bekommst niemals Brustkrebs.“ Und im Chemieunterricht waren es zwei Jungs gewesen, die meinten, dass nur in der Nanotechnologie die Partikel kleiner seien als ihre Möpse. Dieselben Typen hatten es auch als Brettspiel bezeichnet, wenn man ihre Nippel bewegt.

      Jens lenkte seinen Blick weg von dem weißen Stoff auf ihrem Brustkorb, der glatt war wie eine Tischdecke.