Ich locke dich. Wolf L. Sinak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf L. Sinak
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742758361
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      Kreihansel wohnte in Lusan, der Siedlung aus Plattenbauten, und kaufte auch dort ein. Er verließ den Supermarkt und stieß auf den Mercedes seines Neffen, der vor dem Eingang stand. Tiefer gelegt und mit Leichtmetallfelgen der Marke Turbinenschaufel. Kreihansel entging nicht die Erbitterung in Franks Blick, welcher seine Kleidung musterte. Dennoch durfte er einsteigen.

      „Wollte schon immer mal in deiner Kutsche reisen“, sagte er und bekam vorgeworfen, dass man nie falsch damit lag, ihn im Getränkemarkt zu suchen. Er musste sich wegen der paar Meter bis nach Hause sogar anschnallen. Nur nicht auffallen war Franks Devise. Ob das mit der schwarzen Sonnenbrille zu bewerkstelligen war, die er im pomadegerippten Haar stecken hatte, bezweifelte Kreihansel. Es erinnerte ihn an einen Mafiafilm, eigentlich an alle Mafiafilme, die er gesehen hatte. Und das Streichholz zwischen Franks Lippen krönte diesen Eindruck.

      Kreihansel sah sich das Interieur der E-Klasse genauer an. „Feudale Kulisse. Wenn ich mal krepiere, dann bitte schön unter den Rädern einer solchen Luxuskarre …“

      „Hast du deine Zähne im Mund? Du siehst eingefallen aus. Wie ein abgelassener Luftballon.“

      „Darüber wollte ich mit dir reden.“

      „Hast wohl deine Zahnprothese gegen ein paar Flaschen Fusel getauscht.“

      Das sah nicht gut aus, Frank musste beruhigt werden. Kreihansel wusste, dass er viel Kaffee trank. Sie gingen zeitversetzt nach oben, Kreihansel zuerst. Nach dem Schluck aus der Flasche war seine erste Handlung, die Kaffeemaschine zu füllen und den Verpackungskarton unter die Spüle zu stopfen. Das Wasser blubberte bereits hinein, da fiel ihm ein, das fabrikneue Gerät noch nicht gereinigt zu haben.

      Frank kam und schien seinen Augen nicht zu trauen. Er spuckte das Streichholz auf den Haufen Müll, der ausgebreitet vor dem umgekippten Abfalleimer lag. „Schweinestall. Was für ein Schweinestall!“

      „Setz dich erst mal, hier hat jemand alles durchsucht“, sagte Kreihansel. Franks Gesicht war Emaille. Er machte kehrt und stürzte aus dem Zimmer. Kreihansel hinterher. „Warte, es ist besser, wenn ich von Anfang an erzähle!“ Frank schlug seine Hand weg und betrat das Schlafzimmer, das noch schlimmer verwüstet war als die Küche. Schubladen waren herausgezogen und ausgeschüttet, und der offenstehende Schrank offerierte einen leeren Platz, dort, wo sonst die Kiste mit dem Stoff stand. „Das lange Schwein hat mir fast die Nase gebrochen.“

      Mit einer beinahe akrobatischen Drehung sprang Frank herum und drückte ihm den Unterarm gegen den Hals, schob ihn rückwärts an die Wand, wo Schmerz und Luftnot ein Widerlager hatten und den Druck auf ekelhafte Weise in Kreihansels Augen verlagerten.

      „Der Zahnarzt hat den Typen geschickt. Hat meine Prothese geklaut und die verdammte Kiste mit dem Stoff.“ Kreihansel japste in seiner typischen Klangfarbe nach Luft, nur das Brodeln fehlte. Frank verringerte den Druck. „Angefangen hatte es damals mit meiner Zahnprothese. Ich sehe nicht ein, für etwas zu blechen, was nicht passt. Zu dieser Auffassung war auch der Staatsanwalt gelangt. In der Küche habe ich das Schreiben bereitgelegt. Aber Klemmer macht seine eigenen Gesetze. Am Samstag hat er seinen Gorilla geschickt, um Geld zu suchen. Der hat alles auf den Kopf gestellt, und weil er die Kiste nicht öffnen konnte, hat er sie mitgenommen. Und meine Prothese.“

      Kreihansel bekam Franks Faust vors Gesicht. Er schielte darauf wie auf eine Giftschlange.

      „Du kannst froh sein, wenn die Prothese noch in dein Maul passt, wenn das hier vorbei ist. Ich habe dir ne Menge Geld gegeben, damit du nicht auffällst und die Bullen anziehst, aber du brauchst entweder ein Kindermädchen oder ein paar Jahre Erfahrung im Knast. Bezahlst die Prothese nicht. Ich könnte dir …“

      Wenn Franks Vater nicht an dieser beschissenen Krankheit krepiert wäre, sähen die Fronten anders aus, war Kreihansel überzeugt. Frank wäre ein Familienmitglied wie jedes andere und kein mafioser Pate. Kreihansel brachte fließend vor, was er einstudiert hatte, wie gewalttätig Bunsel bei seinem Raubzug war und dass er, Kreihansel, die Kiste unter Einsatz seines Lebens verteidigt hatte. Über dem Triumph, dass das Interesse an Bunsel Frank elementar beherrschte, vergaß er sogar seine Angst. Die Angst, nun Besitzer der Kiste zu sein, in der drei zugeklebte große Kuverts lagerten, deren schweren Inhalt Frank wie ein Staatsgeheimnis gehütet hatte. Bestimmt ein neuer Stoff, etwas Synthetisches vielleicht. Vom Rest, dem Heroin, dem Crystal Speed und den K.-o.-Tropfen, war nichts mehr in der Kiste. Kreihansel hatte den Rest von dem Zeug abgepackt und schon Freitag in den Park gebracht. In Grünanlagen und in der Nähe von Schulen, wo die Kundschaft wartete, fielen Leute wie er nicht auf. Frank zielte darauf ab, dass die Bullen Pennern das Dealen nicht zutrauten. Zu dieser Erkenntnis über Franks Hinterfotzigkeit war Kreihansel selbst gelangt und mit der Denkleistung hoch zufrieden, auch wenn das gewonnene Wissen ihn erniedrigte.

      Sein Neffe war längst gegangen, da trank er einen Schluck des Kaffees, spuckte ihn aus und war froh, Frank nicht auch noch damit aufgeregt zu haben.

      Sie frühstückten im Hanserhof. Beim zweiten Bissen, Jens hatte gerade den Mund offen und schaute auf das Honigbrötchen wie auf etwas Lebendes, klingelte sein Handy. Es war unmöglich, Steffi den Gefallen zu tun, ein Honigbrötchen zu essen und gleichzeitig zu telefonieren. Aus dem Konzept gebracht schaute er zu, wie das klebrige Zeug sich auf den Weg zum Abtropfen machte und die Härchen seiner Arme sich aufstellten. Steffi sprang ein und nahm das Handy. Als er sah, wie sie das tat – gelenkig, in einem dünnen, mitatmenden Rollkragenpullover begehrenswerter denn je –, mochte er die Zeit einfrieren, die Momentaufnahme verewigen und danach greifen, wann immer er wollte. Ein erektiles Fünkchen flimmerte in seiner Hose, und er war froh, sich entschieden zu haben, nicht abzureisen und Bunsels Scherbenhaufen vorerst Frau Eisentraut zu überlassen.

      „Schlechter Empfang“, sagte Steffi und reichte ihm das Handy.

      Jens kam der Empfehlung der Wirtin nach, es draußen auf der Terrasse zu versuchen, wo der Empfang gut war. Frau Eisentraut meldete sich, schnell und abgehackt. Es war der Ton, den sie anschlug, wenn von ihrem Standpunkt aus die Luft brannte. Gewiss störte sie ihn nicht im Urlaub wegen einer falschen Lieferung Watterollen.

      „Gerade teilte mir eine Patientin mit, dass vor der Praxis ein Schild hängt. Ich lief sofort hinaus. Schild und Schrift sind so groß, dass man es von der anderen Straßenseite lesen kann …“

      „Ich hätte zu gern gewusst, was auf dem Schild steht, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Frau Eisentraut.“

      „Setzen Sie sich am besten. Darauf steht geschrieben: Die Praxis ist wegen Wohlstands für unbestimmte Zeit geschlossen. Eine Vertretung gibt es nicht. Für mich steht fest, wer den Schabernack zu verantworten hat. Bunsel.“

      „Wie kommen Sie darauf?“ Obwohl dieser Streich am geistigen Horizont eines Lausbuben angesiedelt war, dachte Jens selbst an Bunsel. Er vernahm die schnellen Atemgeräusche von Frau Eisentraut, als hielt sie Mund und Nase direkt an sein Ohr wie jemand, der sich seiner letzten Züge bewusst ist und ein Geheimnis loswerden will.

      „Herr Weiß hat vorhin angerufen. Der Patient, dem Sie Brücken empfohlen haben. Er erkundigte sich nach einem Bonus von zwanzig Prozent, den Sie auf Zahnersatz geben würden, falls er sich innerhalb der nächsten Woche dafür entschied. Als ich ihn fragte, wie er auf so etwas komme, antwortete er, dass er deswegen gestern Abend angerufen wurde. Raten Sie mal, von wem …“

      „Bunsel bringe ich in den Knast.“

      „Wenn er sich Telefonnummern unserer Patienten aufgeschrieben hat, sie anruft und ihnen derlei Blödsinn erzählt, wird die Sache unüberschaubar. So etwas lässt sich nicht vollständig ausbügeln oder was meinen Sie? … Doktor Klemmer, sind Sie noch dran?“

      „Weiter.“

      „Mir ist noch etwas Seltsames aufgefallen. Frau Zarusch, die mit der dicken Wange, hat eintausend Euro überwiesen und als Grund Vorauszahlung angegeben, einfach so. Ist es möglich, dass Bunsel ihr den Befehl unter Hypnose gegeben hat?“

      Was denn sonst, dachte Jens. Hypnose war ein weites Feld, an dessen Rändern so manches Unkraut gedieh. Für einen in Hypnose Ausgebildeten war eine Zahnarztpraxis die Position, in der er kriminelle Schalter