Ich locke dich. Wolf L. Sinak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf L. Sinak
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742758361
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vor dem er auswich, um ihn nicht ins Auge zu bekommen; der Finger am anderen Ende der Waffe hatte die Krümmung eines Schrimps. Zwei Männer polterten in den Flur. Die Tür schlug ins Schloss. Der eine mit der Pistole, deren Lauf Jens noch immer im Großformat vor Augen sah, drängte ihn rückwärts gegen die Wand. Er war blond, Ende zwanzig, Anfang dreißig und hielt zwischen den Lippen ein Streichholz, das leichtgängig auf und ab federte, als wäre es angewachsen.

      Ein Irrtum, dachte Jens. Das kann nur ein Irrtum sein, oder die gehören zu der Sorte Einbrecher, denen das Überwinden von Sicherheitssystemen zu lästig ist und die sich auf direktem Weg holen, worauf sie Anspruch erheben. Offenbar hat es sich unter Einbrechern noch nicht herumgesprochen, Zahnärzte von der Liste lukrativer Zielgruppen zu streichen. Der Lauf kam zum Schielen nahe und drückte kalt und schmerzhaft das Fleisch der linken Wange gegen die obere Zahnreihe.

      „Wenn ich jetzt abdrücke“, sagte der Mann, „spritzt es Zahnsalat und die Wand hinter dir muss gestrichen werden.“ Mund und Streichholz verzogen sich zu einer Ekelgrimasse. Dass das Holz beim Sprechen nicht abfiel, grenzte an Akrobatik. „Du bekommst die einmalige Gelegenheit, deinen Fehler zu korrigieren, und alles wird so, als ob kein Diebstahl stattgefunden hätte.“

      Hinter dem Mann lachte der andere. Er war etwas kleiner, aber viel kräftiger als der Pistolenträger und wesentlich älter. Sein weißes Hemd in einer zu kleinen Konfektionsgröße spannte an Oberarmen und Brustmuskeln. Er trug einen messerscharf geschnittenen schwarzen Schnurrbart und sein Lachen entlarvte zwei unschöne, in Edelstahl gefasste Kunststoffkronen – so ein Typ, der sich lieber mit Klappmessern bewaffnet als mit Pistolen. Jens schauderte.

      „Nun“, sagte das Streichholz in einem sanften Ton, der um Verständnis warb, „bevor wir hier wurzeln und mein Freund die Wohnung auf den Kopf stellt, solltest du auf Kooperation setzen.“ Beide Männer glotzten ihn in aller Deutlichkeit an.

      „Hast du gehört?“ Der Kerl schrie auf einmal und das Streichholz hüpfte fast davon.

      Beim besten Willen wusste Jens nicht, was er sagen sollte, er wusste ja nicht einmal, worum es ging, und er hatte so viel Mitspracherecht wie eine Schießscheibe. „Ich bin bereit und gehe auf alles ein, aber nehmen Sie das Ding runter. Bitte.“

      Er spürte nachlassenden Druck auf seiner Wange und den Geschmack von Blut. In Siegesmanier führte der Blonde den Lauf der Pistole zu seinem eigenen Mund und blies scheinbaren Qualm von der Mündung.

      „Wo ist das Wohnzimmer?“ Das Streichholz schaukelte gemütlich wie ein Boot auf ruhiger See.

      Jens ging voraus und wurde auf den einzigen Stuhl geschubst. In den einzigen Sessel pflanzte sich der Blonde. Jens betrachtete ihn genauer. Seine Haare waren in Pomade ertränkt worden, bevor sie langsam zu Furchen erstarrten. Das Blond konnte aus der Tube stammen. Typen wie der galten früher als Schablone für die Unterwelt; heute sah jeder Zweite auf der Straße so aus.

      „Schaue mich um“, sagte der Stämmige. Jens erkannte sofort den osteuropäischen Akzent. Er verfolgte besorgt, wie der Hals sich in dem zu kleinen Kragen drehte und der anomal runde Kopf sich im Zimmer umsah. „Will umziehen, der Doktor?“, fragte er und blickte zu den blanken Bilderhaken an der Wand.

      „Ihr habt euch den Falschen ausgesucht. Da, wo Zahnarzt draufsteht, ist nicht zwangsläufig Geld drin …“ Jens’ Stimme hörte sich fester an als eben mit der metallenen Stütze im Gesicht. „Ich lebe in Scheidung, und wie ihr an meiner Wohnung seht, bin ich der Verlierer. Wüsstet ihr von meinen Schulden, könnte ich nicht ausschließen, sogar eine kleine Spende von euch zu kassieren.“

      In einer unglaublichen Schnelligkeit war der Stämmige bei ihm, umfasste ein Büschel Haare, ausgerechnet von Jens’ spärlich bewachsener Stelle am Hinterkopf, und zog ihn rückwärts in eine Gefühlswelt aus messerscharfem Schmerz.

      „Schau an“, sagte der Ausländer. Er hatte losgelassen und betrachtete ein paar Haare in seiner Hand. „Schöne rote Farbe echt.“ Er lachte tief und streichelte Jens das Haupt. Jens nahm den Geruch von Menthol war. Die Stelle am Hinterkopf brannte wie Feuer, und die Tränen in seinen Augen, die reflektorisch dort hineingeschossen waren, ließen die Umgebung wie beim Tauchen an der Wasseroberfläche verschwimmen. Mit dem Hemdsärmel wischte er sie ab und wartete auf die nächste Aktion, alle Sinne in Alarmbereitschaft und mit leicht zuckenden Augen. Der Blonde sagte dem Dicken in unerwartet barschem Ton, er solle sich zügeln und sich in der Wohnung umblicken. Das Streichholz stieß dabei senkrecht in die Luft. Als der Dicke draußen war und mit ihm das Menthol, hellte sich die Fassade von Freund Streichholzkauer auf, sogar ein Schuss Menschlichkeit heuchelte sich ans Tageslicht. Die Pistole änderte die Richtung und schmiegte sich in seine Hand.

      „Ich finde, wir sollten noch einmal beginnen, wir zwei, in aller Ruhe.“ Der Ton des Blonden war vernünftig.

      In Jens leckte etwas – leckte den Trieb frei aufzuspringen, ihm die Pistole aus der Hand zu reißen und das Kräfteverhältnis umzudrehen. Sein Hinterkopf war ein Feuermeer, und der ungestrafte Fettsack, dessen Gemurmel aus dem Schlafzimmer drang, wühlte in seinen Sachen herum.

      „Dazu gehört aber, dass Sie mir bitte erklären, was Sie mir vorwerfen …“ Er beobachtete das Streichholz, es zuckte etwas, bevor es wieder statisch zwischen den Lippen hing.

      „Na schön. Kann ja sein, dass Doktor Unterwelt nicht mehr im Einzelnen weiß, wem er was weggenommen hat. Übrigens, meinen Respekt. Die Idee eurer Kaste, mit neuen Aktionen die Kasse aufzustocken, halte ich für innovativ. Aber die Kiste mitgehen zu lassen – na, na ,na.“

      Was für eine Kiste, wollte Jens einwerfen, hielt die Frage aber auf der Zunge fest.

      „Ungerecht, wenn Patienten wie Kreihansel ihre Rechnungen nicht bezahlen. Finde ich auch. Klar, dann wird ein Schläger losgeschickt, um sein Erinnerungsvermögen aufzupeppen und die Prothese, das Corpus Delicti, einzukassieren. Willkommen im Club. Aber die Kiste hätte er stehen lassen sollen, dein Gorilla. Denn die gehört mir. Und jetzt ist das Geschichtenerzählen zu Ende. Oder weißt du etwa nicht, dass dein Gorilla geklaut hat?“ Er setzte sich gerade, Streichholz und Pistole in preußischer Ordnung.

      Egal was geschah, dachte Jens mit einem Hirn aus Nebelschwaden, das Schlechte hatte immer mit Bunsel zu tun. Dieser Dreckskerl hatte es schon wieder geschafft, auf die Tagesordnung zu gelangen, und wie.

      „Ich will eine Antwort. Weißt du, dass dein Gorilla geklaut hat?“

      Jens’ Hals war so trocken, dass er meinte, ohne einen Eimer Wasser kein einziges Wort herauszubringen. Draußen poltere es. Offenbar war der Dicke über das Reisegepäck gestolpert. Dann ein Fluch in einer anderen Sprache und ein Geräusch, wie wenn jemand gegen eine Tasche tritt. Jens sah wieder zu dem Blonden, dessen Augen ihn fixierten. Er versuchte ihnen standzuhalten. Auch wenn er nur noch entfernt etwas gemein hatte mit einem begabten und zertifizierten Hypnotiseur, wollte er den Kampf mit diesen Augen aufnehmen. Beim Hinschauen stieß er auf etwas, das aus seinem Herzen einen Knoten machte. Die ganze Zeit war er wissend, dass ihm etwas nicht behagte, er war nur nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken. Aber jetzt klimperte der Groschen:

      DIE GESICHTER DER GANGSTER WAREN NICHT HINTER MASKEN VERSTECKT!

      Natürlich nicht, weil man ihn sowieso abknallen wollte. In seinem Nacken quollen Tropfen kalten Schweißes und sein Gesicht produzierte das satte Weiß der Wand hinter ihm.

      „Kommt deine Blässe einem Geständnis gleich?“

      Der Blonde ließ den stämmigen Mann, den er Jurek nannte, ein Glas Wasser holen. Jens riss es ihm aus der Hand und goss den Inhalt hinunter, spürend, wie die Flüssigkeit augenblicklich in den Rissen seines trockenen Halses verschwand. Ein Trommelfeuer von Überlegungen prasselte auf ihn ein: Der fehlende Schalldämpfer, halleluja – ein gutes Omen, ohne den schießen die nicht, aber der konnte sich in der Hosentasche befinden und brauchte bloß aufgeschraubt zu werden, wenn es so weit war.

      „Ich glaube zu wissen, wer mir das eingebrockt hat“, sagte er leise. „Er heißt Bunsel und ist … war meine Urlaubsvertretung. Dieser Dreckskerl.“

      „Also gut. Du beschaffst bis morgen die Kiste und deponierst sie in