Sag mir, was du wirklich meinst. Oren Jay Sofer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oren Jay Sofer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867813693
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er ab und verschwand. Ich strahlte ihn an und dankte ihm, in dem Glauben, er habe ein Wunder bewirkt. Es sollte noch lange dauern, bis ich verstand, was tatsächlich geschehen war: Sein Mitgefühl hatte mich in die Präsenz eingeladen, dazu, den Schmerz zu fühlen und ihn vorüberziehen zu lassen.

      Wenn wir tiefer die Muster erforschen, die unsere Kommunikationsgewohnheiten antreiben, kann es sein, dass wir schwierige Gefühle oder schmerzhafte Erinnerungen entdecken. Präsenz ist eine ­essenzielle ­Ressource, um mit diesen Stellen umzugehen. Sie ist ein Weg in die Widerstandskraft, die Resilienz, und hilft uns, die uns innewohnenden heilsamen und selbstregulierenden Fähigkeiten von Geist und Körper zu aktivieren. So wie unsere Zellen wissen, wie sie einen Schnitt heilen, besitzt unsere Psyche die Intelligenz, emotionale Wunden heilen zu lassen. Mit Zeit, Unterstützung und liebevoller Präsenz können unsere Herzen genesen.

      Eine positive Rückkopplung erzeugen

      Während Sie dazu aufbrechen, mehr Präsenz in Ihr Leben zu bringen, bemerken Sie vielleicht, wie schwer das ist. Einer meiner ersten Meditationslehrer sagte gern: »Achtsamkeitspraxis ist einfach, aber nicht leicht.« Wir können einen ganzen Tag verleben, ohne uns auch nur ein einziges Mal daran zu erinnern, präsent zu sein! Und wenn wir uns doch erinnern, ist unsere Reaktion darauf oft selbstkritisch.

      Mitunter haben wir so unrealistische Erwartungen an uns selbst, als ob wir von Tag eins an Experten sein müssten. Es ist völlig normal, es zu vergessen. Gehen Sie davon aus, dass Sie es sehr oft vergessen werden. Mit anderen Worten: Wenn Sie sich erinnern, ist das wirklich toll. Unsere Kommunikationsgewohnheiten haben viel Eigendynamik; denken Sie an die Metapher, ein Schiff auf hoher See zu wenden. Unsere Aufgabe ist es, das Ruder im »richtigen Winkel zu halten«. Selbst ein klein wenig mehr Präsenz in einem Gespräch wird mit der Zeit tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen.

      Anstatt uns selbst dafür zu schelten, dass wir es vergessen haben, ist der Schlüssel zum Erfolg, es wertzuschätzen, wenn wir uns erinnern. Jeder Moment der Achtsamkeit stärkt das Gewahrsein. Das ist ein Anlass zum Feiern, nicht zum Verurteilen. Wir lernen mehr durch warmherzige Ermutigung als durch harsche Kritik. Wenn Sie einem Kind das Rechnen beibringen und jedes Mal wütend werden, wenn es einen Fehler macht, wie viel wird dieses Kind dann lernen? Wird es sich überhaupt mit Mathematik befassen wollen?

      Wenn Sie sich diese Einsicht zu Herzen nehmen, werden Sie feststellen, dass die Achtsamkeit schneller und mit mehr Freude und Leichtigkeit zunimmt. Das Geheimnis ist geduldiges und freundliches Dranbleiben. Beginnen Sie mit Präsenz, sooft Sie sich daran erinnern, und lassen Sie sich den Rest natürlich entfalten.

      Die Kraft der Präsenz

      Wir können so wortgewandt sein, und doch reichen Worte oft nicht aus, um das auszudrücken, was in unserem Leben am bedeutsamsten ist. In Momenten tiefer Liebe und Intimität wie auch in Momenten großer Verluste und Tragödien sagt unsere einfache, beständige Präsenz am meisten.

      Eine der schwierigsten Aufgaben in meinem Leben war es, mich von Safta zu verabschieden, der Mutter meines Vaters. Ich war vierzehn, als ihr Krebsleiden metastasierte. Ich begleitete meinen Vater auf seiner Reise zu ihr nach Israel.

      Safta und ich hatten niemals die gleiche Sprache gesprochen, aber im Lauf der Jahre viele liebevolle Momente geteilt, während wir Karten spielten oder uns einfach an den Händen hielten und lachten. Sie hatte unglaubliche Hände. Sie waren klein und rau, Hände, die einem Huhn den Hals umdrehten, ebenso wie sie mir zärtlich übers Gesicht streicheln konnten. Die Haut an Saftas Händen schaffte es irgendwie, zugleich prall wie auch faltig zu sein. Ich kann die Lebendigkeit und Wärme dieser Hände noch heute spüren.

      Mein Vater und ich besuchten sie jeden Tag im Pflegeheim. Bei unserem letzten Besuch verbrachten wir einige Zeit gemeinsam im Innenhof und gingen dann zurück in ihr Zimmer. Mir liefen die Tränen über die Wangen, als ich ihr in gebrochenem Hebräisch sagte, dass ich sie liebte und sie vermissen würde. Dann hielten wir uns für einen langen, stillen Moment an den Händen. Es war ein Abschied ohne Worte und der bedeutungsvollste, den ich mir je hätte wünschen können.

      Manchmal ist es unsere Präsenz, die am meisten sagt.

      Prinzipien

      Präsenz schafft die Basis für die Verbindung von Mensch zu Mensch.

      Beginnen Sie mit Präsenz. Gehen Sie mit Gewahrsein in das Gespräch hinein, kehren Sie zu diesem Gewahrsein zurück, und versuchen Sie, es aufrechtzuerhalten und sich selbst gegenüber ehrlich zu sein in Hinblick auf das, was Sie gerade erleben.

      Die wichtigsten Punkte

      Präsenz hat uns viel zu geben:

       Sie gibt uns unser Leben zurück, sie macht uns wach für den gegenwärtigen Moment.

       Sie hilft uns, uns daran zu erinnern, die erlernten Kommunikationsmethoden auch anzuwenden.

       Sie liefert uns wichtige Informationen über uns und andere Menschen.

       Sie gibt uns frühe Warnsignale, wenn wir erregt oder verärgert sind.

       Sie gibt uns inneren Raum und Halt, um mit unseren Reaktionsmustern umzugehen.

       Sie hilft uns, emotionale Schmerzen oder Verletzungen zu heilen.

      Präsenz ist unser natürlicher Zustand. Wir können Präsenz entwickeln, indem wir:

       uns auf wache und ausgeglichene Weise in unserer Umgebung orientieren,

       erkennen, was uns dabei hilft, mit der Präsenz verbunden zu bleiben, und was uns davon trennt,

       Achtsamkeit auf den Körper praktizieren und uns mithilfe eines Ankers erden: Schwerkraft, die Körpermittellinie, die Atmung, Berührungspunkte wie Hände oder Füße,

       den Tag mit einer Intention beginnen und abschließen,

       eine positive Rückkopplung erzeugen, indem wir es wertschätzen, wenn wir uns daran erinnern, präsent zu sein, anstatt uns zu verurteilen.

      Fragen und Antworten

       Manchmal fühle ich mich sehr präsent, wenn jemand anders spricht, aber ich bin mir dabei nicht unbedingt meines Körpers bewusst. Ist das trotzdem Präsenz?

      Es gibt viele Möglichkeiten, präsent zu sein. Wir können mental und intellektuell im Hier und Jetzt sein, emotional mit unseren Gefühlen und Bedürfnissen und somatisch mit unserem körperlichen Erleben. Wir versuchen, diese drei Bereiche zusammenzubringen. Wenn wir den Körper als Basis für unsere Präsenz nutzen, gibt uns das ein Gefühl der Ganzheit, und wir haben eine Grundlage, auf der wir andere Formen der Präsenz entwickeln können.

       Ich habe versucht, präsenter und bewusster zu sein, wenn ich mit jemandem aus meiner Familie spreche. Aber das hat so viele Gefühle in mir ausgelöst, dass es mir schwerfiel, zu sprechen oder zuzuhören. Es schien fast so, als ob ich noch reaktiver würde. Was ist da los?

      Es kann durchaus überfordernd sein zu fühlen, was in unserem Inneren los ist, besonders wenn es sich um ein schwieriges Gespräch handelt. Manchmal kann gesteigerte Präsenz Gefühle oder Dynamiken aufdecken, die bislang unter der Oberfläche verborgen waren. In anderen Situationen fühlen wir uns vielleicht eher offen und verletzlich. All das kann ein Gefühl der Desorientierung hervorrufen. Ich möchte Sie ermutigen, dennoch weiter möglichst präsent zu sein. Tun Sie Ihr Bestes, um im Gleichgewicht zu bleiben, egal, was hochkommt, denn die Alternative wäre, in den Autopilotmodus zu verfallen. Wenn Sie sich überfordert fühlen, können Sie jederzeit zu der anderen Person sagen: »Ich würde gern weitersprechen, aber ich bemerke, dass ich mich etwas überfordert fühle. Wäre es in Ordnung, wenn wir eine kurze Pause machen?«

       Meistens fühle ich mich nicht sicher genug, um mich zu entspannen und präsent zu sein. Wie kann ich das üben, wenn ich mich nicht sicher fühle?

      Es berührt mich