Sag mir, was du wirklich meinst. Oren Jay Sofer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oren Jay Sofer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867813693
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      Manchmal brauchen wir eine längere Pause. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass die Umstände nicht günstig für ein gelingendes Gespräch sind, können wir auch für einen Tag, eine Woche oder noch länger Pause machen. In diesem Fall ist es wichtig, wie wir das ankündigen. Wenn wir einfach nur sagen: »Ich kann gerade nicht darüber sprechen«, müssen unsere Gesprächspartner allein herausfinden, wie sie unser Verhalten interpretieren sollen. Vielleicht denken sie, dass es uns nicht interessiert, dass es uns egal ist oder dass wir ihnen aus dem Weg gehen. Um die Chancen zu erhöhen, dass die Pause produktiv ist, müssen wir mitteilen, welche Beweggründe wir haben. Hier sind einige Beispiele:

       »Ich würde unser Gespräch gern fortführen, aber ich bin im Moment nicht in der besten inneren Verfassung dafür. Können wir eine Pause machen und … (morgen, das nächste Mal) darauf zurückkommen?«

       »Ich möchte wirklich gern hören, was du zu sagen hast, aber ich fühle mich ein bisschen überfordert. Daher glaube ich nicht, dass ich gut zuhören kann. Lass uns eine Stunde Pause machen, okay?«

       »Es ist mir wichtig, dass wir das gemeinsam klären, aber ich habe gerade nicht wirklich den Raum, um klar zu denken. Ich würde es gern bis … auf Eis legen. Wäre das in Ordnung?«

       »Ich möchte dieses Gespräch gern zu Ende führen, aber ich glaube nicht, dass ich im Moment noch etwas Sinnvolles zu sagen habe. Wie wäre es, wenn wir hier eine Pause machen und später darauf zurückkommen?«

      Schauen Sie sich diese Beispiele genau an. Was haben sie gemeinsam?

      Zunächst einmal beginnen sie mit der Intention, in Kontakt zu kommen (der zweite Schritt zu einem gelingenden Gespräch). Dadurch verhindert man, dass die Pause als Zurückweisung oder Vermeidung interpretiert wird. Wir lassen die andere Person wissen, dass wir in unserem Wunsch nach einer Pause auf sie Rücksicht nehmen. Allerdings muss es authentisch sein. Finden Sie also Ihre eigenen Worte, um Ihre Wahrheit auszudrücken.

      Außerdem übernehmen wir in allen Aussagen Verantwortung für unsere Begrenzungen und Wünsche. Wir machen deutlich, dass wir für unser eigenes Bedürfnis nach Raum handeln und nicht etwa die andere Person beschuldigen.

      Und schließlich enden alle Aussagen mit der Bitte, das Gespräch später fortzuführen, was hilfreich ist, um die Angst davor zu verringern, wie es weitergeht. Je genauer wir sagen können, wann wir weitersprechen wollen, desto besser ist das.

      Wenn wir wahrnehmen, wann wir Pausen machen (und wann nicht), stimmen wir uns auf das Tempo eines Gesprächs ein. Dies kann ein sehr reichhaltiges Forschungsgebiet sein und eine wirkungsvolle Möglichkeit, Präsenz zu üben. Da Sprache durch die Atmung entsteht und der Atem unmittelbar mit dem Nervensystem verbunden ist, spiegelt unser Sprechtempo oft ganz direkt unseren inneren Zustand wider. Es ist faszinierend, dass umgekehrt eine Veränderung in unserem Sprechtempo auch unseren inneren Zustand verwandeln kann.

      Übung: Das Tempo regulieren

      Nehmen Sie wahr, wann und wie die Geschwindigkeit in Gesprächen variiert. Bei welchem Tempo fühlen Sie sich am ehesten wohl, selbstsicher und entspannt? Wann ist es langsam und konstant? Wann wird es schneller oder eilig? Können Sie entscheiden, wie schnell oder langsam Sie sprechen? Wie wirkt sich Ihr Tempo auf den Ton der Unterhaltung aus?

      Experimenten Sie bei einem Gespräch, bei dem es um nichts allzu Großes geht. Variieren Sie Ihr Sprechtempo. Werden Sie ein wenig schneller, und nehmen Sie wahr, welchen Effekt das auf Ihren Körper, Ihre Gedanken und Ihre Energie hat. Verlangsamen Sie etwas. Wie wirkt sich das auf den Zustand Ihres Geistes und Ihres Körpers aus? Und wie auf die Qualität des Kontakts zu Ihrem Gegenüber?

      Wenn wir in einem entspannten Tempo sprechen, kann uns das auch dabei helfen, unseren Raum in einem Gespräch einzunehmen, und es macht es dem Zuhörenden leichter, das Gesagte auf sich wirken zu lassen. Wenn wir selbstsicher und selbstbewusst sind, sprechen wir für gewöhnlich in einem gemächlichen Tempo. Es gibt keine Eile; wir vertrauen darauf, dass das, was wir zu sagen haben, wichtig und es wert ist, gehört zu werden. Wir atmen natürlich und frei, wir nehmen uns Zeit. Im Allgemeinen haben unsere Worte mehr Gewicht, wenn wir auf diese Weise sprechen, sie können die Aufmerksamkeit der Zuhörenden anziehen und halten.

      Beachten Sie aber: Die eine, »richtige« Geschwindigkeit gibt es nicht. Die ideale Geschwindigkeit fördert unsere Präsenz und hilft, Verbindung zu schaffen, und sie kann je nach Umständen oder Kultur sehr unterschiedlich sein.

      Reifer werden: Gegenseitige Präsenz

      Mit Präsenz zu beginnen ist ein mit der Zeit heranreifendes, vielfältiges Erleben. Entwickeln wir es in uns, scheint sein Licht auch auf die Existenz des anderen. Je mehr ich mich selbst spüre, desto mehr werde ich mir meines Gegenübers bewusst. Diese Beobachtung ist so grundlegend, dass wir sie mitunter ganz selbstverständlich nehmen: Beziehung heißt per Definition, dass wir zu zweit sind! Wirklich in einem Dialog zu sein bedeutet, dass wir die andere Person als ein eigenständiges Individuum betrachten, mitsamt ihren eigenen Hoffnungen, Ängsten, Träumen, Wünschen, Freuden und Sorgen.

      Wir alle haben es schon einmal erlebt, selbst nicht gesehen zu werden oder jemand anderen völlig zu übersehen. Es fühlt sich so an, als redete die andere Person »an einem vorbei« anstatt »mit einem« oder als spräche man selbst zu einer Wand. Mangel an Gegenseitigkeit bedeutet auch Abwesenheit von Präsenz; so wird der Dialog zum Monolog. Kennzeichen sind dieser leere Blick des Kassierers oder die mechanisch wirkende monotone Stimme der Frau vom Kundenservice.

      Wir verlieren die Gegenseitigkeit aus vielen Gründen. Es kann ­passieren, wenn wir uns im Autopilotmodus befinden. Oder auch, wenn wir besonders leidenschaftlich für eine Sache brennen. Oder ängstlich, verärgert oder wütend sind. Tragischerweise verlieren wir die Gegenseitigkeit mit jenen Freunden und Angehörigen, die wir jeden Tag sehen. Sie werden uns so vertraut, dass wir sie nicht länger wahrnehmen.

      Ohne gegenseitige Präsenz entsteht eine fundamentale Unverbundenheit. »Du« wird zu einem Objekt in Beziehung zu »mir«. Der andere wird zu einer mentalen Repräsentation aus der Vergangenheit, zu einem Mittel, wie ich das bekomme, was ich will, oder ein Hindernis auf meinem Weg. Wenn Menschen zu Objekten werden, statt Personen zu sein, gibt es nichts mehr, was wir nicht rechtfertigen könnten: von alltäglicher Geringschätzung bis hin zu den Gräueln von Sklaverei, illegalem Sexhandel und Völkermorden.

       Prinzip: Mit Präsenz zu beginnen hat mit Gegenseitigkeit zu tun, damit, die andere Person als eigenständiges Individuum zu erkennen, und mit Ungewissheit, also damit, das Unbekannte anzuerkennen und zu akzeptieren. Dadurch entstehen im Gespräch neue Möglichkeiten.

      Wirkliche Lebendigkeit