Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846346068
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zur imperialen Oberschicht. Die regionale und lokale Oberschicht (ordo decurionum) übte als dritter Stand lediglich örtliche Leitungsfunktionen aus, zum Beispiel in den Stadträten oder in den Versammlungen der einzelnen Provinzen205. Sie war vor allem durch eine lokale Verankerung, Besitz und Vermögen privilegiert. Dazu zählten die führenden Verwaltungsbeamten größerer und mittelgroßer Städte, dort stationierte Militärs, aber auch reiche Bürger, Großgrundbesitzer und Fernhändler sowie einzelne Wissenschaftler und Intellektuelle206.

      Mittelschicht

      Als maßgebliches Kriterium für die Zugehörigkeit zur Mittelschicht des Imperiums207 muss die Fähigkeit gelten, sich selbst und seine Familie durch selbständige Arbeit zu ernähren und dabei gleichzeitig einen gewissen Überschuss zu erzielen. Nicht die Herkunft, sondern Fleiß, Erfolg, Vermögen und Einfluss qualifizieren die Angehörigen der Mittelschicht. Zu ihr gehörte zunächst der Großteil der freien Bürger Roms, sofern diese nicht verarmt waren; ebenso die unabhängigen freien Bürger der Städte im Reich, die über ein gewisses Vermögen verfügten. Sodann zählten erfolgreiche Grundbesitzer, Händler, Bankiers sowie selbständige qualifizierte Handwerker und Dienstleister dazu, ferner Beamte in den mittleren und größeren Städten des Reiches. Auch Angehörige des Militärs wie Centurionen und Unteroffiziere sind der Mittelschicht zuzurechnen, ebenso Angehörigen der römischen Sonderformationen und auch die privilegierten Veteranen. Schließlich jene Freigelassenen, die im Dienste des Kaisers standen, über großen Einfluss verfügten und sich ein gewisses Vermögen erwirtschaftet hatten. Sogar einzelne Sklaven der familia Caesaris gehörten zur Mittelschicht. Insgesamt war diese Schicht sehr inhomogen, was aber zugleich in der aufstrebenden Wirtschaft des 1./2. Jh. n.Chr. für viele Menschen die Chance bot, innerhalb der Gesellschaft aufzusteigen. Insbesondere durch (neu erworbenen) Reichtum war es möglich, Herkunftsschranken zu überspringen sowie Einfluss und gesellschaftliches Prestige zu gewinnen208.

      Unterschicht

      Wie die Mittelschicht war auch die breite Unterschicht sehr heterogen. Als entscheidendes Kriterium für die Zugehörigkeit zur Unterschicht müssen die vielfältigen Abhängigkeiten gelten, die es den Menschen verwehrten, selbständig ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften209. Hinzu kommen die gravierenden Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie zwischen den einzelnen Regionen des Riesenreiches, die zu Landflucht210 und damit zu schleichender Verelendung der Städte211 führten. In den Städten212 zählten vor allem unselbständige Arbeiter und Dienstleister dazu, z.B. kleine Handwerker wie Schuhmacher, Töpfer, Schmiede, Textilverarbeiter, Hafenarbeiter, Bäcker, Maurer, Schlosser und Stellmacher. Auch kleine Kaufleute, Lehrer, Musiker, Friseure, Seeleute, die Empfänger staatlicher Sozialleistungen, von den Gaben ihrer Patrone Abhängige, Alte, Witwen sowie Tagelöhner, Bettler und chronisch Kranke müssen zur Unterschicht gerechnet werden. Große Teile der Bevölkerung Roms waren von den öffentlichen Getreidelieferungen abhängig213, ebenso gab es neben dem plebs urbana den plebs rustica. Auf dem Land dominierten die (freien oder abhängigen) Kleinbauern, die Kleinpächter und vor allem die abhängigen Lohnarbeiter bzw. Tagelöhner. Daneben gab es ebenso wie in den Städten kleine Handwerker und Dienstleister, Hirten, Alte, Bettler und Kranke.

      Sklaven

      Ganz überwiegend zur Unterschicht zählten die Sklaven, die einen wesentlichen Bestandteil aller antiken Gesellschaften und Wirtschaftsformen bildeten214. Die antike Sklaverei ist ein sehr komplexes Phänomen, das weder praktisch noch theoretisch infrage gestellt wurde215. Um die Zeitenwende machten die Sklaven ca. 15–20% der Gesamtbevölkerung des Imperium Romanum aus (ca. 50 Millionen)216; in absoluten Zahlen wären dies ca. 10 Millionen Menschen217. Ursachen für Sklaverei waren vor allem Kriegsgefangenschaft, Geburt in Sklaverei, Menschenraub, Menschenhandel, Kindesaussetzungen und Verkauf aufgrund von Schuldverhältnissen. Sklaven wurden vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt, harte körperliche Arbeit musste auch beim Militär, in Mühlen, Bädern und Bergwerken von Sklaven geleistet werden218. Sklaven konnten aber auch – je nach ihren Fähigkeiten und den Bedürfnissen ihrer Herren – für gelernte Berufe wie Lehrer, Koch, Amme, Hebamme, Arzt/Ärztin, Schreiber, Verwalter oder für den normalen Dienst im Haushalt eingesetzt werden. Schließlich waren in allen Bereichen des Handwerks und des Handels Sklaven tätig219. Die Herren besaßen die uneingeschränkte Gewalt über ihre Sklaven, die keine Besitz- und Ehefähigkeit hatten. Sie standen ihren Besitzern stets zur Verfügung, entweder zur persönlichen Verwendung oder zum Verleih an Vertragspartner, sie konnten vererbt, verpfändet oder verschenkt werden. Andererseits mussten sie untergebracht und ernährt werden, auch wenn kein Bedarf an ihrer Arbeitskraft bestand.

      Es gab auch privilegierte Sklaven, so hatten vor allem die Sklaven der großstädtischen Oberschichten gute Lebensverhältnisse. Gehörten sie zum kaiserlichen Haushalt (familia Caesaris), d.h. zur kaiserlichen Verwaltung, konnten sie sogar sehr einflussreich und wohlhabend sein220. Sehr häufig blieben Sklaven nicht zeitlebens unfrei, vor allem in den gehobenen römischen Haushalten, aber auch, wenn sie als Handwerker oder Dienstleister gearbeitet hatten. Da die Freilassung von Sklaven gesetzlich geregelt war, gehörten Freigelassene dann fast ohne Einschränkungen zur römischen Gesellschaft221.

      Die Basis der antiken Wirtschaft bildete die Landwirtschaft. Hinzu kamen als weitere zentrale Bereiche das Handwerk, der Handel sowie verschiedenste Dienstleistungen.

      Landwirtschaft

      Wie alle vorindustriellen Gesellschaften war auch das Römische Reich eine Agrargesellschaft222. Ca. 90% der Gesamtbevölkerung lebten auf dem Land223. Angebaut wurde überwiegend Getreide, das für die Grundversorgung der Bevölkerung, insbesondere der städtischen und militärischen Konsumzentren, eine Schlüsselstellung einnahm. Vor allem Nordafrika (mit Ägypten als Zentrum) galt als Kornkammer des Reiches. Missernten und Transportprobleme trafen vor allem die städtische Bevölkerung und führten immer wieder zu reichsweiten Hungersnöten224. Je nach Ernte konnte es einen Überschuss an Korn geben, der in den Scheunen gesammelt wurde (vgl. Lk 12,16–21), manchmal ging es aber auch um das nackte Überleben. Bäckereien mahlten das Korn und lieferten gebackenes Brot in die römischen Städte. Der Wein- und Olivenanbau war ein zweiter Schwerpunkt der Landwirtschaft, hinzu kamen Viehzucht, Weidewirtschaft, Obstanbau und Fischfang. Bienen lieferten Honig, Vögel Fleisch und Eier, Schafe, Ziegen und Vieh sorgten für Milch, Wolle, Fleisch und Häute. Die überschüssigen Erzeugnisse kleiner Bauernhöfe wurden gewöhnlich von den Landwirten selbst auf den Markt gebracht. Einige von ihnen dürften eigene Esel, Maultiere und Wagen besessen haben. Auf den Märkten, die auf den Plätzen der Städte sowie außerhalb der Stadttore abgehalten wurden, kamen am Ort produziertes Getreide, Früchte, Wein, Öl, Fleisch und Wolle zum Verkauf.

      Die Verteilung des Landbesitzes fiel sehr unterschiedlich aus; ein Großteil des Landes war im Besitz der römischen Eliten, ererbt oder von insolventen Nachbarn, Schuldnern oder als Kriegsbeute erworben. Offenbar dehnte sich auch im 1. Jh. n.Chr. der Großgrundbesitz von mehreren 1000 Hektar auf Kosten der freien Kleinbauern weiter aus225. Große Güter wurden in der Regel von Verwaltern geleitet und von Sklaven bearbeitet, große Flächen konnten aber auch in kleine Parzellen aufgeteilt und an Pächter vergeben werden (vgl. Mt 21,33–42). Waren die Pachtzinsen hoch und kam es zu Missernten, gerieten diese Pächter sehr schnell in noch größere Abhängigkeit zu ihren Herren (bis hin zur Sklaverei). Die freien Mittel- und Kleinbauern mit wenigen Hektar Land garantierten mit Feldanbau, Tierhaltung und Gemüsegarten die Selbstversorgung großer Teile der Landbevölkerung und trugen mit ihren Überschüssen auch zur Versorgung der kleineren Städte bei. Die Härte des Landlebens und die ständige Gefahr, durch Missernten und Schulden sozial und rechtlich vollständig abzusteigen, führten ab dem 2. Jh. v.Chr. zu einer andauernden Landflucht226.

      Handel, Handwerk und Dienstleistungen

      Handwerk, Handel und Dienstgewerbe nahmen in der frühen Kaiserzeit einen Aufschwung227. In diesem Wirtschaftssektor dominierten Kleinbetriebe, die von freien Bürgern, von Freigelassenen aber auch von Sklaven im Auftrag ihrer Herren betrieben wurden. In