Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846346068
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des Hiobbuches (5./4. Jh. v.Chr.), wo sich der Fromme unvermutet, unverschuldet und unverstanden der Feindschaft Gottes ausgesetzt sieht und die Logik des Tun-Ergehen-Zusammenhanges nicht mehr greift183. Die Glaubwürdigkeit Gottes und der von ihm gesetzten Ordnung steht auf dem Spiel: Warum ist der Frevler glücklich und weshalb leidet der fromme Gerechte, obwohl er sich nicht verfehlt hat? Während bei Hiob das Vertrauen in Gottes Macht und Walten wiederhergestellt wird (vgl. Hi 38–42,6), findet sich im Predigerbuch (Kohelet) um 200 v.Chr. eine andere Position184. Auch hier wird der Zusammenbruch des Tun-Ergehen-Zusammenhanges konstatiert (vgl. Pred 7,15f; 8,12–14), aber die Schlussfolgerung ist eine andere als bei Hiob: Gott ist unberechenbar, seine gerechte Ordnung ist nicht erkennbar und deshalb gilt: ‚alles ist nichtig/absurd‘ (vgl. Pred 1,2; 8,14; 12,8 u.ö.). Es herrscht ein religiös-philosophischer Pessimismus vor, der eine deutliche Nähe zum griechischen Skeptizismus, aber auch zu Epikur zeigt. Es gilt, die wenigen Momente der Lebensfreude und des Glücks zu ergreifen (vgl. Pred 5,17– 19; 9,7–10; 11,9), die einem zufällig vergönnt sind. Dieses ‚carpe diem‘ vertraut nicht mehr der unerschütterlichen Ordnung Gottes, sondern weiß sich in einer von Nichtigkeit geprägten Welt auf sich selbst gestellt.

      Das Judentum in den beiden Jahrhunderten um die Zeitenwende herum war durch eine innere Differenzierung und Pluralisierung gekennzeichnet, die sich vor allem in den Gruppenbildungen zeigte. Mit diesem Prozess verbanden sich massive innere und äußere Machtkonflikte: Einzelne Gruppen kämpften um die Deutungshoheit jüdischer Existenz, was vor allem durch die römische Präsenz in Palästina verstärkt wurde. Das Auftreten Johannes d. Täufers und Jesu von Nazareth müssen als ein Teil dieser Entwicklung verstanden werden.

400–300 v.Chr.Bildung des hebräischen Kanons in Hauptzügen abgeschlossen
3. Jh. v.Chr.äthHenoch 1–36 (1Hen: Wächterbuch)
3. Jh. v.Chr.äthHenoch 72–82 (1Hen: astronomisches Buch)
3. Jh. v.Chr.Tempelrolle (11QT)
~ 250 v.Chr.Beginn der Septuaginta-Übersetzung
~ 200 v.Chr.Prediger Salomos
200–150 v.Chr.Jubiläenbuch
~ 190 v.Chr.Testament der zwölf Patriarchen
~ 180 v.Chr.Jesus Sirach
~ 170 v.Chr.Kriegsrolle (1QM)/Sprüche Salomos
165/164 v.Chr.Endredaktion des Daniel-Buches
~ 100 v.Chr.Gemeinschaftsregel (1QS)/Damaskusschrift (CD)/1Makkabäerbuch
~ 50 v.Chr.Psalmen Salomos
~ 0–30 n.Chr.Himmelfahrt Mosis
~ 15–45 n.Chr.Schriften Philos
~ 50–70 n.Chr.slawisches Henochbuch (2Hen)
~ 100 n.Chr.4Esra
~ 120 n.Chr.syrBaruch

      Das römische Kaiserreich als globaler Politik-, Wirtschafts- und Kulturraum ist eine entscheidende geschichtliche Voraussetzung für die Entstehung des frühen Christentums. In diesem relativ einheitlichen Bereich fand das frühe Christentum innerhalb des politisch und wirtschaftlich stabilen 1./2. Jh. n.Chr. beste Voraussetzungen für seine Verbreitung.

      Theodor Mommsen, Römische Kaisergeschichte, hg. v. Barbara u. Alexander Demandt, München 2005 (= 1882/86). – Jochen Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des römischen Kaiserreiches I–II, Paderborn 31989–1994. – Karl Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 42002. – Heinz Bellen, Grundzüge der römischen Geschichte II: Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian, Darmstadt 1998. – Heinrich Schlange-Schöningen, Augustus, Darmstadt 2005; Ralf von den Hoff/Wilfried Stroh/Martin Zimmermann, Divus Augustus, München 2014.

      Die römische Republik185 befand sich seit dem ausgehenden 2. Jh. v.Chr. in einer schweren Dauerkrise, die ab 52 v.Chr. eskalierte. Aus dem Bürgerkrieg 49 v.Chr. ging Julius Gaius Caesar als Sieger hervor, 48 v.Chr. starb sein hartnäckiger Rivale Pompeius. In dem Augenblick, als Caesar die Hand nach der Alleinherrschaft ausstreckte, wurde er ermordet (15.3.44 v.Chr.)186. Die Mörder Caesars konnten sich jedoch nur für kurze Zeit behaupten. Dann machten Octavian und Antonius, die sich zum Kampf gegen die Caesarenmörder verbündet hatten, ihrem Regiment ein Ende (42 v.Chr.). Die Sieger teilten sich das Reich: Antonius übernahm die Herrschaft im Osten, lebte in Alexandria und bestimmte von dort auch die Geschicke Syriens und Palästinas; Octavian regierte in Rom über Italien und den Westen des Reiches. Doch diese Regelung sollte nicht von Dauer sein, da es bald zum Zerwürfnis zwischen den beiden Herrschern kam. Nach dem Sieg in der Seeschlacht bei Actium (31 v.Chr.) war Octavian alleiniger Herrscher über das Römische Reich.

      Augustus

      Die Stellung des Octavian wurde gefestigt187, indem sein Adoptivvater Caesar auf Beschluss des Senats unter die Götter erhoben wurde; Octavian nannte sich fortan Sohn des göttlichen Caesar. Obwohl die alte römische Verfassung wieder in Kraft gesetzt worden war, lag die tatsächliche Regierungsgewalt allein bei Octavian. Als er im Jahr 27 v.Chr. in einem öffentlichen Staatsakt alle ihm übertragenen Sondervollmachten niederlegte und sie dem Senat zurückgab, damit die alte Ordnung wiederhergestellt werde, ersuchte ihn der Senat, seine Stellung zu behalten, damit er den Frieden schütze und weiterhin für die Wohlfahrt des Staates sorge. Daraufhin nahm Octavian die Vollmachten, die er soeben abgelegt hatte, wieder vom Senat entgegen. Damit entstand eine neue Regierungsform. Zwar blieb der Senat oberste Behörde Roms, aber Octavian war der erste Bürger des Staates, der als der Princeps seine Geschicke lenkte. Zugleich wurde ihm der Name ‚Augustus‘ (= „der Erhabene“) verliehen, der seiner Herrschaft eine sakrale Aura verlieh. Zwar hütete sich Octavian mit der römischen Tradition zu brechen, die streng zwischen Göttern und Menschen unterschied, aber indem er sich Augustus nennen ließ, brachte er unmissverständlich die unvergleichliche Hoheit seiner Machtstellung zum Ausdruck. Zugleich gelang es Augustus aber, diese Machtfülle als ein unentwegtes Dienen für Rom erscheinen zu lassen. Es setzte ein umfassendes Programm der Sakralisierung ein, das sich in Bauten (in Rom und überall im Reich), auf Münzen und nicht zuletzt in Literaturwerken zeigte (Ovid, Vergil, Horaz)188. Nachdem im Jahre 12 v.Chr. Augustus auf Grund einer Volksabstimmung das höchste priesterliche Amt des pontifex maximus übertragen worden war, wurde schließlich die Reihe der Ehrennamen nochmals vermehrt, als ihn 2 v.Chr. der Senat als pater patriae (= „Vater des Vaterlandes“) bezeichnete. Die kluge und maßvolle Politik, mit der Augustus das Reich regierte, fand nahezu allgemeine Zustimmung189. Nach den lange währenden Schrecken der Kriege war endlich Friede eingekehrt und im ganzen Reich wurde Augustus als Friedensherrscher gefeiert190. Überall im Reich wurden neue Städte gegründet, Bauten von Tempeln, Theatern, Wasserleitungen und anderen öffentlichen Einrichtungen durchgeführt und vor allem Verkehrswege angelegt. Wirtschaft und Handel blühten auf und weiteten sich auch über die Grenzen des Reiches bis an den Atlantik, die Ostsee und nach Afrika aus. Das römische Bürgerrecht wurde über Italien hinaus auch auf verdiente Einwohner in den Provinzen ausgedehnt. Jeder Bürger des Reiches durfte frei umherreisen, nur an den Provinzgrenzen wurde ein geringer Zoll erhoben. Die Bevölkerung des ganzen Reiches erlebte ein zuvor nicht gekanntes Gefühl von Sicherheit, endlich war man frei von Bedrohung an Leib und Leben. Die Neuordnung des Reiches, die während der langen friedlichen Regierungszeit des Augustus getroffen wurde, war am Ende seines Lebens so gefestigt, dass sie über seinen Tod hinaus Bestand hatte.

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       Das römische Reich in ntl. Zeit

      Tiberius

      Caligula

      Als Augustus 14 n.Chr. im Alter von 76 Jahren starb, übernahm sein Adoptivsohn Tiberius (14–37 n.Chr.) die Regierung, ein erfahrener Feldherr und besonnener Politiker, der schon im Alter von 55 Jahren stand191. Die Einrichtung des Prinzipats hatte sich so bewährt, dass Tiberius die Nachfolge ohne Widerspruch des Senats antreten konnte. Zwar