Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846346068
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nahm Tiberius streng und gewissenhaft wahr, indem er als kluger Verwalter des ihm zugefallenen Erbes planmäßig und zielstrebig die Politik seines Vorgängers fortsetzte. Auf Tiberius folgte Gaius Caligula, der bei Übernahme der Regierung (37–41 n.Chr.) erst 24 Jahre alt war. Im Unterschied zu seinem Vorgänger gebärdete er sich wie ein hellenistischer Herrscher und umgab sich mit einem Kreis junger hellenistischer Fürsten, unter denen sich auch Herodes Agrippa befand, der durch die Gunst des Caligula zu Einfluss und Herrschaft in Palästina gelangte. Als erster Kaiser ließ sich Caligula von der römischen Aristokratie als Gott verehren (Sueton, Cal 22,3)192. Ihm kam es offenbar darauf an, die senatorische Führungsschicht Roms zu erniedrigen und seine absolutistischen Tendenzen durchzusetzen. Sein ausschweifendes Leben und sein übersteigertes Streben nach göttergleicher Überhöhung der herrscherlichen Stellung hinderten Caligula an der Erfüllung der Aufgaben seines Amtes. Er schreckte auch nicht davor zurück, von den Juden zu fordern, sein Standbild im Tempel von Jerusalem aufzustellen (s. o. 3.3). In den wenigen Jahren seiner Herrschaft hatte er sich so viele Feinde gemacht, dass eine Palastrevolution sein Regiment beseitigte (41 n.Chr.).

      Claudius

      Nero

      Die Prätorianergarde rief Claudius zum neuen Caesar aus (41–54 n.Chr.). Im Gegensatz zu Caligula war er zurückhaltend gegenüber der göttlichen Verehrung seiner Person (vgl. Suet, Claud 12). Er wollte die römische Religion neu beleben und war ein Verehrer des Griechentums193. Seine Stellung gegenüber dem Judentum scheint schwankend gewesen zu sein; einerseits sicherte er zu Beginn seiner Herrschaft die Rechte der Juden in Alexandria194, andererseits vertrieb er 49 n.Chr. die Juden aus Rom (vgl. Apg 18,2). Das Claudius-Edikt (s.u. 6.5) war für das frühe Christentum von großer Bedeutung, denn die damit verbundene Vertreibung von Judenchristen aus Rom (vor allem nach Kleinasien) veränderte die Zusammensetzung der römischen Gemeinde und hatte Einfluss auf die paulinische Mission. Claudius wurde 54 n.Chr. durch seine Gemahlin Agrippina vergiftet, die so Nero (54–68 n.Chr.) den Weg auf den Thron bahnte195, ihrem Sohn aus erster Ehe. Der neue Herrscher war erst 17 Jahre alt, so dass die Amtsgeschäfte zunächst vom Prätorianerpräfekten und dem Philosophen Seneca geführt wurden, einem der wohlhabendsten und einflussreichsten Männer in Rom196. Die Jahre ihrer Regentschaft verliefen glücklich. Als Nero selbst die Regierung übernahm, entwickelte er sich zum unberechenbaren Despoten und Selbstdarsteller. Er liebte es, öffentlich als Künstler aufzutreten, gebärdete sich als Freund und Förderer griechischer Kultur197 und suchte seine herrscherliche Stellung mit göttlichem Glanz zu umkleiden. Dabei überschritt er bewusst moralische und politische Grenzen und ließ ohne Bedenken Menschen aus dem Wege schaffen, die ihm hinderlich sein konnten. Im Jahr 68 n.Chr. kam es zu einer Verschwörung gegen ihn und er nahm sich das Leben. Bedeutsam für das frühe Christentum wurde Nero durch den Brand Roms (64 n.Chr.) und die sich daran anschließende erste größere Christenverfolgung (s.u. 12.2). Neros plötzliches Ende wurde von vielen Menschen bejubelt; andere aber waren fassungslos und vermuteten, sein Tod könne nicht sein und er lebe an einem verborgenen Ort weiter. So entstand die Erwartung, er werde aus dem Osten an der Spitze der Partherheere wiederkehren. Auf diese im Volk verbreiteten Vorstellungen vom ‚Nero redivivus‘ (vgl. Sib 4f; Tacitus, Historien II 8f) könnte in Offb 13,1–18; 17,11–17 angespielt werden, wo das Tier aus dem Abgrund als Schreckenskaiser der letzten Zeit gezeichnet wird.

      Die Flavier

      Trajan und Hadrian

      Mit dem Tode Neros ging die Herrschaft des julisch-claudischen Hauses zu Ende, es begann die Zeit der Flavier (s.u. 9.3). Im Jahr 69 n.Chr. gelang es Vespasian, die Herrschaft an sich zu bringen und, gestützt auf das Heer, Ruhe und Ordnung zu schaffen. Vespasian setzte die Erneuerung des von Augustus geschaffenen Prinzipats durch und sicherte die Erbfolge seiner Söhne. Als er 79 n.Chr. starb, wurde sein Sohn Titus Kaiser, der Jerusalem erobert hatte; 81 n.Chr. folgte ihm sein Bruder Domitian (81–96 n.Chr.). Er scheint im Verlauf seiner Herrschaft immer mehr zum Tyrannen geworden zu sein (s.u. 12.3), der die Macht und Heiligkeit seiner Person öffentlich demonstrierte. Mit Nerva (96–98 n.Chr.) beginnt die Reihe der Caesaren, die sich den Lehren der Philosophen verpflichtet wussten und sie zum Wohl des Gemeinwesens zu verwirklichen suchten. Das stoische Herrscherideal setzte sich durch, nach dem der Beste regieren und sein Amt als Diener der Allgemeinheit führen sollte. Nerva adoptierte den General Trajan, der dann als sein Nachfolger 98 n.Chr. die Regierung übernahm und sie bis 117 n.Chr. ausübte. Durch das Adoptionsverfahren wurde gesichert, dass man aus dem Kreis der in Betracht kommenden Kandidaten den tüchtigsten auswählen und ihn zum Herrscher bestimmen konnte. Auf Trajan folgte Hadrian (117–138 n.Chr.), der sich als kosmopolitischer Herrscher verstand198. Er reiste viel im Reich umher, weilte gern in Griechenland, ließ überall prachtvolle Bauten errichten und war um die Wohlfahrt der Provinzen bemüht. In die Regierungszeit Hadrians fällt der Bar Kochba Aufstand (132–135 n.Chr.), der den endgültigen Untergang des Judentums bewirkte (s. o. 3.3).

      Ludwig Friedländer, Sittengeschichte Roms I, Leipzig 91919. – Géza Alföldy, Römische Sozialgeschichte, Stuttgart 42011. – Peter Garnsey/Richard Saller, The Roman Empire: Economy, Society, and Culture, Berkeley 1987. – Andrea Giardina (Hg.), Der Mensch der römischen Antike, Frankfurt 1991. – Ekkehard Stegemann/Wolfgang Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, 17–94. – Frank Kolb, Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike, München 22002. – Leonhard Schumacher, Sklaverei in der Antike, München 2001. – Hans-Joachim Drexhage/Heinrich Konen/Kai Ruffing, Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.–3. Jahrhundert), Berlin 2002. – Elisabeth Herrmann-Otto, Soziale Schichten und Gruppen, in: Kurt Erlemann u. a. (Hg.), Neues Testament und antike Kultur II, 86–99. – Ulrich Fellmeth, Pecunia non olet. Die Wirtschaft der antiken Welt, Darmstadt 2008. – Elisabeth Hermann-Otto, Sklaverei und Freilassung in der griechisch-römischen Welt, Hildesheim 2009. – Kai Ruffing, Wirtschaft in der griechisch-römischen Antike, Darmstadt 2012. – Josef Fischer, Sklaverei, Darmstadt 2014.

      Aufgrund der Größe des Römischen Reiches, der zumeist dürftigen Quellenlage und der sehr unterschiedlichen Verhältnisse in Stadt und Land sowie zwischen den einzelnen Provinzen ist es nur sehr eingeschränkt möglich, exakte Aussagen (im neuzeitlichen Sinn) über die Sozial- und Wirtschaftsstruktur des frühen Kaiserreiches zu ermitteln199. Dennoch lassen sich Grundstrukturen erkennen.

      Führungsschicht

      Die Gesellschaft des Imperium Romanum war durch eine relativ starre vertikale Struktur gekennzeichnet200. An der Spitze stand die imperiale Führungsschicht, deren Leitungsfunktionen das gesamte Imperium umfassten. In ihren Händen lagen alle entscheidenden Kompetenzen in Politik, Kriegführung, Administration und Rechtsprechung, lediglich in den Bereich der Wirtschaft wurde nur selten direkt eingegriffen. Zur imperialen Führungsschicht zählten nicht nur der Kaiser und seine Familie, sondern auch jene Senatoren, die mindestens einmal das Konsulat bekleidet hatten. Führende Militärs, Verwaltungsbeamte, Juristen und Freunde, die zumeist dem Adel angehörten und den Kaiser kontinuierlich berieten, sind ebenfalls der imperialen Führungsschicht zuzurechnen. Unter einzelnen Herrschern (z.B. Claudius, Nero, Domitian) konnten schließlich Sklaven bzw. Freigelassene, die das besondere Vertrauen des Kaisers besaßen, zentrale Verwaltungsämter innehaben201.

      Oberschicht

      Im Unterschied zur imperialen Führungsschicht verfügte die imperiale Oberschicht nicht über aktive reichsweite Leitungsfunktionen. Sie war durch Herkunft, Besitz und Vermögen202 privilegiert. Zu dieser Schicht zählten neben den Vasallenkönigen bzw. -fürsten vor allem Angehörige des Senatoren- und Ritterstandes (‚Stand‘ = ordo)203. Die Senatsmitglieder mussten seit Augustus aus alten Familien (Roms) stammen und für ihre Bewerbung um dieses Amt ein beträchtliches Vermögen vorweisen204. Nach den Senatoren (ordo senatorius) bildeten die Ritter (ordo equester) den zweiten Stand; es handelt sich dabei um – vom Kaiser geförderte – vermögende und erfolgreiche Personen