Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846346068
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Zentren der Diaspora waren Syrien (Antiochia, Damaskus), Zypern, Griechenland mit Kreta, Rom und die Kyrenaika124. Insgesamt lebten in der Diaspora weitaus mehr Juden als in Palästina, im 1. Jh. n.Chr. ca. 5–6 Millionen Menschen125. Die meisten Juden außerhalb Palästinas lebten in Ägypten, deren Zahl Philo mit rund einer Million angibt126. Die jüdischen Diaspora-Gemeinden hatten eine weitgehende interne Selbstverwaltung, dennoch hing ihr Wohlergehen immer auch vom Wohlwollen der Herrscher und der jeweiligen nichtjüdischen Bevölkerung ab. Grundsätzlich galt auch für die Diaspora das Ziel, nach den ‚Gesetzen der Väter‘ und den jüdischen Sitten zu leben, d.h. speziell die Ehe- und Speisegesetze sowie den Sabbat einzuhalten. Obwohl die Pilgerreisen nach Jerusalem ein wichtiges Band zwischen Palästina und der Diaspora waren, förderte die Entfernung zum Jerusalemer Tempel die Entstehung der Synagoge (images = „Versammlung“) als neuem kulturellen und religiösen Zentrum der jüdischen Gemeinden. Erste Spuren finden sich ab dem 3. Jh. v.Chr. in Ägypten, seit dem 1. Jh. v.Chr. setzte sich die Synagoge auch langsam in Palästina durch127. Die Dominanz der griechischen Sprache und der kulturelle Einfluss des Hellenismus erforderten nicht nur eine Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische (Septuaginta), sondern es entstand mit den jüdisch-hellenistischen Schriften der Diaspora ein eigener Literaturzweig, der sich griechischem Denken teilweise stark öffnete.

      Die Geschichte des Judentums im 1. Jh. vor und im 1. Jh. nach der Zeitenwende lässt sich nur unter Einbeziehung der Auseinandersetzungen um die Hellenisierung im 2. Jh. v.Chr. verstehen. Der Seleukide Antiochius IV. Epiphanes (175–164 v.Chr.) betrieb eine aggressive Hellenisierungspolitik. Er plünderte 169 v.Chr. den Tempel und betrat das Allerheiligste (vgl. 1Makk 1,21–23; 2Makk 5,15f.21); 168 v.Chr. erließ er Religionsedikte, die faktisch ein Verbot der Ausübung der jüdischen Religion darstellten (vgl. 1Makk 1,44–50). Darüber hinaus führte er 167 v.Chr. den Kult des Gottes Zeus Olympos im Jerusalemer Tempel ein (vgl. Dan 9,27; 11,31: ‚Greuel der Verwüstung‘) und ließ auf dem Land überall Altäre aufstellen, an denen jeder der fremden Religion opfern konnte. Ziel des Seleukiden war eine vollständige Hellenisierung und damit Integration Judas in das seleukidische Weltreich.

      Makkabäer

      Gegen diese gewaltsamen Assimilationsbestrebungen bildete sich innerhalb des Judentums eine Opposition. Die Befürworter der Zwangshellenisierung innerhalb des Judentums dürften eine Minderheit gewesen sein, die vor allem in Jerusalem lebte und von der Entwicklung persönlich profitierte128. Die meisten Juden hingegen – insbesondere auf dem Land – standen diesen Hellenisierungsbestrebungen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Von dem Beginn des offenen Widerstandes gegen Antiochius IV berichtet 1Makk 2,15–28, wonach ein jüdischer Priester namens Mattatias aus Eifer für das Gesetz einen anderen Juden erschlug, der ein Opfer vor einem heidnischen Altar darbringen wollte. Zusammen mit ihm erschlug er auch den königlichen Beamten, der sie zum Opfer zwingen wollte und riss den Altar nieder. Danach floh er mit seinen Söhnen in die Berge und organisierte den Widerstand. Bald nach dem Beginn der Erhebung im Jahre 167 v.Chr. starb Mattatias und sein Sohn Judas trat an die Spitze der Bewegung; er wird in 2Makk 5,27 allein als Heerführer erwähnt und erhielt den Beinamen ‚der Makkabäer‘ (images)129, nach dem die ganze Bewegung genannt wurde.

      Schon bald verbanden sich mit der makkabäischen Bewegung die gesetzestreuen ‚Frommen‘ (gr.: images), von denen es in 1Makk 2,42 heißt: „Damals schloss sich ihnen auch die Gemeinschaft der Hasidäer an, das waren tapfere Männer aus Israel, die alle dem Gesetz treu ergeben waren“ (vgl. 1Makk 7,13; 2Makk 14,6). Die Wendung images („Gemeinschaft der Hasidäer“) weist darauf hin, dass diese Gruppe bereits längere Zeit existierte und sich schon vor den Makkabäern gebildet hatte. Ihr dürften Priester und maßgeblich Schreiber/Schriftgelehrte (gr.: images images) angehört haben (vgl. 1Makk 7,12f), die vor allem seit der Perserzeit als Überlieferungsträger für die jüdische Identität eintraten und apokalyptische Schriften verfassten, in denen der politische und theologische Protest gegen den Assimilationsdruck durch Großmächte unübersehbar ist (s.u. 3.3.1).

      Im Umfeld dieser Bewegung wird zumeist auch der gemeinsame Ursprung von Pharisäern und Essenern vermutet130, denn wie diese zeichneten sich die Hasidäer offenbar durch einen besonderen Toragehorsam und eine entschiedene Abwehr von Überfremdungserscheinungen des jüdischen Glaubens aus131. Josephus scheint diese Interpretation zu bestätigen, denn er erwähnt für die Zeit des in den Kreisen der Toratreuen sehr umstrittenen nicht-zadokidischen Hohepriesters Jonathan (152–143 v.Chr.) die Existenz der drei jüdischen Schulrichtungen der Pharisäer, Sadduzäer und Essener (vgl. Josephus, Antiquitates 13,171–173).

      Pharisäer

      Konturen gewinnen die Pharisäer132 zur Zeit des Johannes Hyrkan (135/134–104 v.Chr.), wo sie als eine gegen den König eingestellte festgefügte Gruppe erscheinen, die über ein großes Ansehen beim Volk verfügt (vgl. Josephus, Antiquitates 13,288–292). Die Pharisäer verlangten von Hyrkan die Aufgabe des Hohepriesteramtes, möglicherweise weil seine Mutter einmal in Kriegsgefangenschaft geraten war. Hier zeigen sich Übereinstimmungen mit den ursprünglichen Idealen der makkabäischen Bewegung, die zuallererst an einem legitimen Tempelkult und der korrekten Einhaltung der Tora interessiert war. Eine dominierende Stellung nahmen die Pharisäer z. Zt. von Salome Alexandra ein (76–67 v.Chr.), Josephus betont ihren stets wachsenden Einfluss auf die Königin (vgl. Bell 1,110–112). Unter Herodes d. Gr. (40–4 v.Chr.) dürfte der Einfluss der Pharisäer eher geringer gewesen sein133. Josephus gibt ihre Zahl für diese Zeit mit 6000 an (Antiquitates 17,42)134, sie stellten eine einflussreiche Minderheit innerhalb der jüdischen Bevölkerung dar. Gegen Ende der Herodeszeit wandelten sich die Pharisäer von einer politischen Gruppe zu einer Frömmigkeitsbewegung135.

      Zeloten

      Bedeutsam war die Abspaltung einer radikalen Richtung innerhalb der Pharisäer, die sich selbst im Anschluss an Pinhas (Num 25) und Elia (1Kön 19,9f) Zeloten (images images = „die Eiferer“) nannten. Diese Gruppe bildete sich 6 n.Chr. unter Führung des Galiläers Judas von Gamala und des Pharisäers Zadduk (vgl. auch Apg 5,37)136. Die Zeloten zeichneten sich durch eine Verschärfung des ersten Dekaloggebotes, strenge Sabbatpraxis und eine rigorose Einhaltung der Reinheitsgebote aus. Sie strebten eine radikale Theokratie an und lehnten die römische Herrschaft über das jüdische Volk aus religiösen Gründen ab137.

      Eine eher entgegengesetzte politische Haltung nahmen die Sadduzäer ein (s.u. 5.4), die vornehmlich aus den aristokratischen Familien Jerusalems stammten und ihre herrschende Stellung im politischen und religiösen System des Judentums (vor allem im Synedrium) durch die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Großmächten zu sichern suchten.

      Essener

      Wie in der Anfangszeit der Pharisäer spielte auch bei den Essenern die Legitimität des Hohepriesteramtes und damit die Reinheit des Tempelkultes eine entscheidende Rolle. Die Übernahme des Hohepriesteramtes durch den Nichtzadokiden Jonathan im Jahr 152 führte wahrscheinlich zum Eintritt des Lehrers der Gerechtigkeit (als bisherigen Hohepriester) in die schon seit ca. 20 Jahren bestehende Bewegung des ‚Neuen Bundes‘ (vgl. CD I 5–11)138. Diese chassidische Gruppe bildete nun zusammen mit dem Leher der Gerechtigkeit und