21 Vgl. H.-J. GOERTZ, Unsichere Geschichte, 50f.
22 Vgl. E. CASSIRER, Versuch über den Menschen, Hamburg 1996, 291: „Geschichtswissenschaft ist nicht Erkenntnis äußerer Fakten oder Ereignisse; sie ist eine Form der Selbsterkenntnis.“
23 Vgl. CHR. LORENZ, Konstruktion der Vergangenheit, 17ff.
24 ‚Fiktion‘ bezeichnet nicht einfach im umgangssprachlichen Sinn die Negation der Wirklichkeit, sondern ist in einem funktional-kommunikativen Sinn gemeint und kommt damit der ursprünglichen Bedeutung von ‚fictio‘ nahe: Bildung, Gestaltung. Vgl. W.ISER, Der Akt des Lesens, München 31990, 88: „Wenn Fiktion nicht Wirklichkeit ist, so weniger deshalb, weil ihr die notwendigen Realitätsprädikate fehlen, sondern eher deshalb, weil sie Wirklichkeit so zu organisieren vermag, daß diese mitteilbar wird, weshalb sie das von ihr Organisierte selbst nicht sein kann. Versteht man Fiktion als Kommunikationsstruktur, dann muß im Zuge ihrer Betrachtung die alte an sie gerichtete Frage durch eine andere ersetzt werden: Nicht was sie bedeutet, sondern was sie bewirkt, gilt es nun in den Blick zu rücken. Erst daraus ergibt sich ein Zugang zur Funktion der Fiktion, die sich in der Vermittlung von Subjekt und Wirklichkeit erfüllt.“
25 Cicero, Orator 2, 54 (der Historiker Antipater wird lobend herausgestellt, „die anderen erwiesen sich als Leute, die Geschichte nicht wirkungsvoll gestalten, sondern nur erzählen konnten“); Lk 1, 1–4; Plutarch, Alexander 1, 1(οὔτε γὰρ ἱστορίας γράφομεν ἀλλὰ βίους = „denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder“) zeigen deutlich, dass auch antike Autoren ein klares Bewusstsein von diesen Zusammenhängen hatten (vgl. ferner Thucydides, Historiae I 22, 1; Lukian, Historia 51; Quintilian, Institutio Oratoria VIII 3, 70).
26 Vgl. die problem- und forschungsgeschichtlich orientierten Überlegungen bei H.-J. GOERTZ, Unsichere Geschichte, 16ff; ferner M. MOXTER, Erzählung und Ereignis, in: J.Schröter/R.Brucker (Hg.), Der historische Jesus, BZNW 114, Berlin 2002, (67–88) 80: „Schon aufgrund ihrer zeitlichen Distanz ist die Erzählung gegenüber dem Ereignis überschüssig.“
27 Dieser konstruktive Zug des Erkennens trifft auch für die Naturwissenschaften zu. Konstruktivität und Kontextualität bestimmen die Fabrikation von Erkenntnis, die Naturwissenschaften sind immer eine interpretierte Rationalität, die zunehmend in den Sog externer politischer und ökonomischer Interessen gerät; vgl. dazu K. KNORR-CETINA, Die Fabrikation von Erkenntnis. Zur Anthropologie der Naturwissenschaft, Frankfurt 1991.
28 Vgl. H.-J. GOERTZ, Umgang mit Geschichte, 87: „Nicht die reine Faktizität konstituiert also eine ‚historische Tatsache‘, sondern ihre Bedeutsamkeit, die sich erst nach und nach einstellt und die einem Ereignis, das sonst ohne viel Aufhebens in der Vergangenheit versunken wäre, eine besondere Qualität verleiht. Nicht zu seiner Zeit, sondern erst nach seiner Zeit wird aus einer bloßen Tatsache eine historische Tatsache.“
29 Vgl. dazu grundlegend A.SCHÜTZ, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Tübingen 1974.
30 G.DUX, Wie der Sinn in die Welt kam und was aus ihm wurde, in: K.E. Müller/J. Rüsen (Hg.), Historische Sinnbildung, Reinbek 1997, (195–217) 195.
31 Vgl. dazu A. SCHÜTZ/TH. LUCKMANN, Strukturen der Lebenswelt II, Frankfurt 31994, 139–200. Sie gehen von der unbestreitbaren Alltagserfahrung aus, dass die Welt jede individuelle Existenz notwendigerweise immer überschreitet und deshalb die Existenz ihrerseits ohne Transzendenzen nicht lebbar ist: Wir leben in einer Welt, die vor uns war und nach uns sein wird. Die Wirklichkeit entzieht sich zum allergrößten Teil unserem Zugriff und das Dasein des Anderen mit seiner bleibenden Fremdheit ruft die Frage nach unserem Selbst hervor.
32 Vgl. TH. LUCKMANN, Religion – Gesellschaft – Transzendenz, in: H.-J.Höhn (Hg.), Krise der Immanenz, Frankfurt 1996, (112–127) 114: „Sinntraditionen transzendieren die Nur-Natürlichkeit des Neugeborenen.“
33 Vgl. J. RÜSEN, Was heißt: Sinn der Geschichte, in: K.E. Müller/J. Rüsen (Hg.), Historische Sinnbildung, Reinbek 1997, (17–47) 38.
34 Vgl. a.a.O., 36.
35 Vgl. TH. LUCKMANN, Die unsichtbare Religion, Frankfurt 1991, 93, wonach die Weltansicht als Sinnmatrix den Rahmen bildet, in dem menschliche Organismen Identität ausbilden und dabei ihre biologische Natur transzendieren.
36 Zum Begriff der Identität vgl. B.ESTEL, Art. Identität, HRWG III, Stuttgart 1993, 193–210; J.STRAUB (Hg.), Erzählung, Identität und historisches Bewusstsein, Frankfurt 1998; A. ASSMANN/H.FRIESE (Hg.), Identitäten, Frankfurt 21999.
37 J. STRAUB, Temporale Orientierung und narrative Kompetenz, in: J.Rüsen (Hg.), Geschichtsbewusstsein, Köln/Weimar 2001, (15–44) 39f.
38 A. SCHÜTZ/TH. LUCKMANN, Strukturen der Lebenswelt II, 195.
39 Vgl. dazu a.a.O., 161–177.
40 Zum Begriff der Sinnwelten vgl. P. L. BERGER/TH. LUCKMANN, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt 172000, 98ff.
41 Vgl. a.a.O., 66.
42 Vgl. TH. LUCKMANN, Die unsichtbare Religion, 108.
43 Vgl. P. L. BERGER, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, Frankfurt 1988, 32: „Sie (sc. die Religion) gibt den zerbrechlichen Wirklichkeiten der sozialen Welt das Fundament eines heiligen realissimum, welches per definitionem jenseits der Zufälligkeiten menschlichen Sinnens und Trachtens liegt.“
44 P. RICOEUR, Zufall und Vernunft in der Geschichte, Tübingen 1985, 14.
45 Vorausgesetzt wird ein weiter Erzählbegriff, der nicht auf bestimmte literarische Gattungen fixiert ist. Ausgehend von der grundlegenden Einsicht, dass Erfahrung von Zeit narrativ bearbeitet werden muss, liegt es nahe, „die Erzählung als eine bedeutungs- oder sinnhafte bzw. Bedeutung oder Sinn stiftende Sprachform aufzufassen. Dies soll heißen: Schon die narrative Form menschlicher Selbst- und Weltthematisierungen verleiht Widerfahrnissen und Handlungen Sinn und Bedeutung – unabhängig vom jeweiligen Inhalt der erzählerischen Präsentation“ (J. STRAUB, Über das Bilden von Vergangenheit [s.o. 1.1] 51f); zu einem weiten Erzählbegriff vgl. auch R. BARTHES, Das semiologische Abenteuer, Frankfurt 1988, 102ff.
46 Vgl. J. STRAUB, Temporale Orientierung und narrative Kompetenz (s.o. 1.2), 26f; D. FULDA, Sinn und Erzählung – Narrative Kohärenzansprüche der Kulturen, in: F. Jaeger/B. Liebsch (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften I, Stuttgart 2004, 251–265.
47 J. STRAUB, Temporale Orientierung und narrative Kompetenz (s.o. 1.2), 30.
48 Vgl. TH. LUCKMANN, Religion-Gesellschaft-Transzendenz (s.o. 1.2), 120.
49 Vgl. A. ASSMANN, Zeit und Tradition. Kulturelle Strategien der Dauer, Köln/Weimar 1999, 15: „Als Handlungen, die auf Wiederholung angelegt sind, konstituieren Riten Dauer, indem sie das Identische im Wandel hervorheben. Sie tilgen Zeit nicht, sondern konstituieren sie, indem sie Kontinuitäten schaffen.“
50 Vgl. A. ASSMANN, Zeit und Tradition, 4: „Durch Zeitkonstruktionen werden Sinnhorizonte entworfen“.
51 Vgl. J. STRAUB, Geschichten erzählen, Geschichte bilden. Grundzüge einer narrativen Psychologie einer historischer Sinnbildung, in: J.Straub (Hg.), Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein, Frankfurt 1998, (81–169) 124ff.
52 Vgl. dazu K. J. GERGEN, Erzählung, moralische Identität und historisches Bewußtsein, in: J.Straub (Hg.), Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein, a.a.O., 170–202.
53 Jesus von Nazareth befindet sich dabei in guter Gesellschaft, denn auch von Sokrates gibt es keine schriftlichen Überlieferungen; für Dio Chrysostomus, Or 55, 8f, ist dies kein Mangel, sondern Ausweis der überragenden Persönlichkeit des Sokrates.
54 E. REINMUTH, Neutestamentliche Historik, ThLZ.F 8, Leipzig 2003, 47–55, gebraucht den Begriff ‚Nachträglichkeit‘.
55 So aber der Vorwurf