Im nächsten Stadium, so berichtet James Oroc weiter, sieht er sein bisheriges Leben an sich vorüberziehen – und begegnet allen Wesen, mit denen er währenddessen Kontakt hatte. Lässt er sich dann ganz fallen und öffnet sich vorbehaltlos und vertrauensvoll, erlebt er den Zustand der umfassenden All-Einheit, »in dem es keinen Unterschied zwischen Gott, dem physikalischen Universum und mir gibt. (…) Und ich werde zu dieser Liebe, und ich weiß, dass alles eins ist, alles ist Gott.« (Ebd.: 9)
Für ihn zeigt sich hier – und dies eignet sich ganz hervorragend zur Charakterisierung jeglicher echten psychedelischen Erfahrung – der reine und universale Bewusstseinszustand, der ganz frei ist von Konstrukten wie dem Ego und dem Konzept eines separaten Selbst.
Während der Erfahrung können sich auch Angstzustände einstellen, die meist dann auftreten, wenn man sich wieder mit seinem Ego bzw. Selbst identifiziert. Oroc erklärt: »Ich existiere als reines formloses Bewusstsein, bis ›ich‹ diese Besonderheit realisiere und mich frage: ›Wie ist das passiert? Wie bin ich hierher gekommen?‹ Und dann zum Schluss der Killer: ›Wer bin ich?‹« (Ebd.: 11) Diese Wiedererinnerung an das eigene Selbst leitet die Phase des Coming Downs ein. In dem Augenblick, in dem die Erfahrung nicht mehr zur Gänze gelebt, sondern über sie nachgedacht wird, beginnt die Rückbesinnung auf die Alltagsrealität. Dann geht es sehr schnell, und man findet sich, häufig recht verwirrt, in seinem physischen Körper wieder, schildert James Oroc in seinem Werk, das bereits viele Psychonauten inspirieren konnte.
Der US-amerikanische Psychonaut, Privatforscher, Philosoph und Religionswissenschaftler Martin W. Ball hatte, genau wie James Oroc, eine lebensverändernde initiale 5-MeO-DMT-Erfahrung und wie Oroc einen direkten Kontakt mit Gott, der alleinheitlichen Schöpferkraft. Genau wie Oroc war auch Martin W. Ball zuvor Atheist und nach dem Erlebnis mit 5-MeO-DMT zu einem nicht nur gläubigen, sondern wie er es ausdrückt, wissenden Menschen geworden. Und genau wie James Oroc hat Martin Ball über seine Erlebnisse geschrieben. Sein transformativer Erkenntnisprozess auf 5-MeO-DMT hat Martin Ball dazu bewogen, das »Entheologische Paradigma« zu prägen, das konstatiert, dass es keine geistigen Realitätsebenen, keine anderweltlichen Dimensionen und keine fremdartigen Lebensformen gibt, sondern lediglich ein alleinheitliches Energiewesen, Gott, das sich in vielen verschiedenen Emanationen fleischlich manifestiert, um – zusammenfassend ausgedrückt – die dreidimensionale Realität erleben zu können. Sozusagen hautnah. Psychedelische Visionen von anderen fremden Wesen sind nach Ball lediglich Projektionen des eigenen Selbst und Egos. Im Abschnitt »Geister, Aliens, Entitäten: Fremde Welten oder Gehirnprojektion?« werden wir Martin W. Balls Entheologisches Paradigma und seine Erfahrungen und Bücher genauer unter die Lupe nehmen.
Über seine Erfahrungen mit 5-MeO-DMT schreibt Martin Ball in seinem Buch »The Entheological Paradigm«: »Es blies einfach alles aus allem, was ich jemals über alles dachte. Alles verschob und veränderte sich. Und, in Überstimmung mit Roc19, was wir hier haben, ist mit Abstand das mächtigste Werkzeug, das uns zur Verfügung steht, um unser Ego aus dem Weg zu räumen. Ich habe jetzt eine Menge Erfahrung mit diesem Zustand, und ich bin ebenfalls sehr erfahren darin, Menschen mit dieser Medizin zu helfen, und ich weiß genau, dass es immer eine sehr individuelle Angelegenheit ist. Es ist immer eine Reflexion desjenigen, der die Medizin einnimmt, und Leuten, deren Ego nicht loslassen kann, kannst du noch so viel Medizin geben …« (Ball 2011: 7) Martin Ball hat aus seiner ersten und den folgenden 5-MeO-DMT-Erfahrungen seine oben bereits zusammengefasste psychedelische Philosophie entwickelt, die er allerdings – und hier werden sich die sprichwörtlichen Geister scheiden – nicht bloß als Modell, sondern als absolute Wahrheit betrachtet: »Obwohl das Entheologische Paradigma einige Ähnlichkeiten mit verschiedenen religiösen, spirituellen Traditionen, Philosophien und anderen Weltanschauungen aufweist, ist es doch kein ›Glaubens‹-System, sondern eine umfassende Erklärung der fundamentalen, einheitlichen, energetischen Beschaffenheit der Realität.« (Ebd.: 18) Für Martin W. Ball ist 5-MeO-DMT der ultimative Schlüssel zum Gotteserleben und zur direkten Verbindung mit dem alleinheitlichen Geist. N,N-DMT betrachtet er als etwas schwerfälliger. Es sei nur in hohen Dosierungen sinnvoll und offenbare ansonsten eher die wenig nützlichen individuellen Projektionen des Selbst, die dann zu vermeintlichen Begegnungen mit Maschinen-Elfen, Geistern, Göttern usw. führen.
5-MeO versus Aya
Der Journalist und Medienkünstler Rak Razam, Autor des Buchs »Aya Awakenings: A Shamanic Odyssey« hat zusammen mit Tim Parish den Dokumentarfilm zum Buch »Aya: Awakenings« produziert, in dem auch eine Szene zu sehen ist, in der Razam 5-MeO-DMT raucht. »Heilige Mutter Gottes, ich zerschmelze in es … eine Energiewelle erfasst mich nach der nächsten und ich breche durch eine unendliche kaleidoskopische Matrix von unverfälschtem reinem Bewusstsein. Der Strom des Lebens fließt durch mich hindurch, es ist wie eine Erleuchtung Gottes. Und ich surfe, surfe auf Gottes Welle. (…) Reines Bewusstsein, das mit seinem Ursprung verschmilzt. Die Gottheit. Der Allgeist. Mutter Matrix. Vereinigung.« (St John 2015: 288)
Die Lebensgeschichte des mexikanischen Doktors Octavio Rettig Hinojosa liest sich wie ein Roman. Der 1979 geborene Octavio Rettig war über viele Jahre und bedingt durch sein, wie er es beschreibt, übermächtiges Ego einer polytoxikomanen Lebensweise und einer damit einhergehenden Crack-Kokain-Abhängigkeit verfallen. Mehr und mehr wurde er mit den dunkelsten Seiten seines Selbst konfrontiert. Als er vollkommen am Ende seiner Kräfte angelangt war, lernte er zunächst andere Psychedelika wie die Wahrsagesalbei Salvia divinorum und den meskalinhaltigen Peyotekaktus, LSD und Psilocybinpilze und später Otac20 und dessen 5-Methoxy-DMT-haltiges Sekret kennen – was sein Leben nicht nur rettete, sondern ihm eine komplette Wende seines Wegs ermöglichte. Rettig Hinojosa erkannte das Potenzial dieser Tryptaminmedizin der Kröte und heilte fortan viele andere Menschen damit. In seinem Buch »The Toad of Dawn« berichtet er von seiner Geschichte und seiner Mission, mit der Krötenmedizin durch die Welt zu reisen und Menschen von Substanzabhängigkeiten, Depressionen und anderen Leiden zu erlösen. Seine erste eigene Erfahrung damit beschreibt er folgendermaßen: »Ich sah elektrische Ströme, die durch mein Sichtfeld und meinen Körper rannen. Ich war überrascht, so viele Emotionen haben zu können. Ich war insgesamt sowohl erfreut als auch beängstigt. Ich dachte, die Substanz wirke ähnlich wie der Peak eines starken LSD-Trips oder wie eine gesteigerte Salvia-Erfahrung oder von mir aus wie der Höhepunkt eines Pilztrips. Ich hatte viele Fragen, aber auch große Angst, weil die Erfahrung so intensiv war. Ich dachte tatsächlich, dies wäre das letzte Mal, dass ich auf einer Substanz ›sterbe‹. Allmählich empfand ich in meinem Kopf eine Klarheit, die mich erstaunte. Alles löste sich in Luft auf, nur mein Bewusstsein blieb übrig. Ich fühlte, wie heilsame Energie meinen Körper durchströmte. Zur selben Zeit verließen alle Giftstoffe meinen Körper durch die Poren meiner Haut. Ich fühlte, dass ich einen zweiten Versuch hatte, mein Leben zu meistern. Und diesmal nahm ich mir vor, es auch durchzuziehen. Entschuldigt das Klischee, aber ich sah das Licht am Ende des Tunnels. Ich spürte, wie mein Herz wieder kräftig schlug, meine Augen klar und leuchtend glänzten und meine arme Lunge sich wieder mit Sauerstoff füllte. Ich erlebte einen Zustand von Frieden und Entspannung, wie ich ihn noch niemals zuvor erfahren hatte. In nur 15 Minuten war ich wiedergeboren. So unglaublich das auch zu sein scheint, es hat sich so abgespielt. Was ich geraucht hatte, war die Krötenmedizin.« (Rettig Hinojosa 2016: 106f.)
Octavio Rettig hat in seinem Buch auch eine kleine Phänomenologie des 5-MeO-DMT-Rauschs nach gerauchtem Material entwickelt (2016: 55):
– Auflösung in Fraktale und Verflüchtigung des Sinns für das Selbst
– das Gefühl, in Lichtgeschwindigkeit von einem weißen Licht fortgetragen zu werden; Auftauchen von Wesenheiten und Energiemanifestationen
– das Gefühl der Einheit mit dem schöpferischen Prinzip des Universums; die Intention, dass alles Leben diesem Feld entspringt; Erkennen der Notwendigkeit, die Identität