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Esther Berner
«Verbundpartnerschaft» – Schlagwort oder Erfolgsrezept?
Zur Steuerung der schweizerischen Berufsbildung
Die Steuerung von dual-korporatistischen Berufsbildungssystemen (Greinert, 1995, 2004) – Systemen also, die wie das schweizerische betriebliche und schulische Ausbildungsanteile kombinieren und sich durch eine starke Einbindung von Berufs- und Wirtschaftsverbänden charakterisieren – ist hochkomplex. Die Feststellung gilt nicht erst für die Gegenwart, sondern reicht bis auf die Konstituierung der Berufsbildung als staatlicher Politiksektor unter Beteiligung von Bund, Kantonen und Berufsverbänden/Sozialpartnern im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück. Das erste eidgenössische Berufsbildungsgesetz von 1930, das dem Bund die oberste Regelungskompetenz übertrug, bedeutete historisch ohne Zweifel eine Zäsur in der Begründung der Rolle der drei Akteure. Tatsächlich wurde damit aber nicht ein eindeutig hierarchischer Steuerungmodus eingeführt, vielmehr war die Konzeption der Beziehung zwischen den drei Mitspielern, also zwischen dem Bund, den Kantonen und den Berufsverbänden beziehungsweise Sozialpartnern von Beginn weg kooperativ und koordinativ, also auf Zusammenarbeit und gegenseitigen Interessenausgleich hin angelegt. Dies erklärt sich weitgehend daraus, dass es zwischen 1880 und 1910 zuerst vor allem Berufs- und Branchenverbände und etwas später die Kantone waren, die sich der normierenden Regelung der Berufslehre annahmen, während der Bund zunächst lediglich über Subventionen steuernd eingriff (Berner, Gonon & Ritter, 2011). Der Wunsch, der Bund möge in der beruflichen Ausbildung eine massgebliche Rolle einnehmen, wurde bereits seit Ende der 1880er-Jahre laut.
Es sind die genannten drei Akteure – Bund, Kantone und die neu unter dem Begriff «Organisationen der Arbeitswelt» (OdA) zusammengefassten Berufsverbände und Sozialpartner –, die die Verbundpartnerschaft in der schweizerischen Berufsbildung ausmachen. Der Ausdruck verweist auf eine lange Tradition und ist somit geeignet, trotz Kompetenzverschiebungen mit augenfälligen Auswirkungen auf die Steuerung des Gesamtsystems Kontinuität zu evozieren und zu integrieren.
«Steuerung» bildet innerhalb des vorliegenden Sammelbandes insofern ein Querschnittsthema, als es in anderen Beiträgen behandelte Aspekte wie zum Beispiel die Finanzierung der Berufsbildung oder die Ausgestaltung von Berufsbildern und Bildungsverordnungen in Teilen mit einschliesst. Ziel dieses Beitrags soll es nun sein, in systematischer Weise, das heisst ausgehend von einer einheitlichen und umfassenden Perspektive, Einblick in die Besonderheiten von Steuerungsmodi und -prozessen innerhalb der schweizerischen Berufsbildung zu geben. Das der Analyse zugrunde gelegte Steuerungskonzept basiert auf dem Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus (grundlegend: Mayntz & Scharpf, 1995; Mayntz, 2009), wobei dem Regelungsaspekt von Institutionen zentrale Bedeutung beigemessen wird. Institutionelle Regeln umfassen formelle und informelle Verfahren, Routinen, rechtliche Normen, die in den Strukturen des politisch-administrativen Systems festgelegt sind, die Machtbeziehungen zwischen den Akteuren widerspiegeln und den Zugang zu Entscheidungsarenen vordeterminieren (Knoepfel et al., 2011). Die Handlungsmöglichkeiten der involvierten Akteure sind weitgehend durch institutionelle Regeln definiert. Während gewisse institutionelle Regeln formeller und informeller Art den Handlungsspielraum von Akteuren direkt begrenzen, bieten andere ihnen neue Möglichkeiten, sich an der Erarbeitung und/oder Umsetzung einer Politik zu beteiligen und Einfluss zu nehmen (Knoepfel et al., 2011). Institutionelle Regeln sind dabei nicht sakrosankt, im Gegenteil: Es liegt im Interesse der in Steuerungsprozessen interagierenden Akteure, institutionelle Regeln ihren Zielen entsprechend zu transformieren.
Im Wesentlichen lassen sich zwei Ebenen von Normen und Institutionen bzw. Regeltypen unterscheiden (vgl. Knoepfel et al., 2011). Konkret handelt es sich um:
1. die konstitutionelle Ebene: Regeln, die in der Verfassung verankert sind
Verfassungsregeln haben Gültigkeit für die Gesamtheit aller öffentlichen Politiken im Staat und dienen der Festlegung der Rahmenbedingungen einer demokratischen Austragung konkreter Interessenkonflikte. Ihrer Kodifizierung auf Verfassungsebene entsprechend, sind solche Regeln vergleichsweise stabil. Rahmengebend für die Berufsbildungspolitik sind etwa Bestimmungen zur Staatsform und zum Verhältnis zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten, das Subsidiaritätsprinzip, aber etwa auch die Verflechtung von Wirtschaft und Staat.
2. Regeln der Verwaltungsorganisation
Eine Stufe tiefer bestimmen institutionelle Regeln die Verwaltungsorganisation. Verwaltungsorganisationen existieren in der Berufsbildung sowohl auf Bundes- wie auf kantonaler Ebene, aber auch im parastaatlichen Bereich. Formelle und informelle Regeln des Einbezugs parastaatlicher Akteure und korporatistischer Interessenträger sind hier von zentraler Bedeutung.
Die aktuelle und gegenwärtig noch in Umsetzung begriffene Reform der Berufsbildung nahm ihren Ausgangspunkt in Problemwahrnehmungen Mitte der 1990er-Jahre und mündete in das neue Bundesgesetz über die Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz, BBG) von 2002. Ein Kernanliegen dieser Reform bezieht sich auf die Optimierung der Steuerung der Berufsbildung. Die jüngste Berufsbildungsreform ist damit, bezogen auf die Steuerungsthematik, in zweifacher Hinsicht ein interessanter Untersuchungsgegenstand: Einmal lässt sich anhand des Reformprozesses nachvollziehen, welche institutionellen Regeln und Akteure die berufsbildungspolitische Arena und damit die Entwicklung des Systems massgeblich prägen. Zum anderen enthält das neue BBG als wesentliches Ergebnis der Reform eine Reihe neuer Steuerungsnormen, vor allem auch dort, wo es die Kompetenzen der «Verbundpartner» definiert.
Im Untersuchungsgang dieses Beitrags wird die Revision des Gesetzes damit als Transformation steuerungsrelevanter institutioneller Regeln aufgefasst. Zur Disposition stehen dabei in erster Linie Regeln der zweiten Ebene und der nachgeordneten berufsbildungsspezifischen Behördenarrangements, während die Regeln der ersten Ebene die prozeduralen Leitplanken vorgeben.
Die in der Berufsbildung als einem spezifischen Politikfeld massgeblichen Verfassungs- und Verwaltungsregeln sollen als Erstes zur Darstellung gelangen. Der Frage, welche Akteure und institutionellen Regeln das Zustandekommen des neuen Normtextes – des BBG von 2002 – in welcher Weise gesteuert haben, ist das folgende Kapitel gewidmet. Hier wird also untersucht, wie Berufsbildungspolitik in der Gegenwart «gemacht» wird. Der materielle Gehalt des BBG 2002 mit Fokus auf die neuen steuerungsrelevanten Bestimmungen ist Gegenstand des daran anschliessenden Kapitels. Ein zentrales Steuerungselement bilden die Verordnungen über die berufliche Grundbildung (Bildungsverordnungen, BiVos; früher Ausbildungsreglemente), deren Erneuerung das BBG anordnet. Der Prozess der Ausgestaltung dieser Normtexte, die am Beispiel der MEM-Berufe analysiert wird, ist weitgehend geprägt durch formelle und informelle Verwaltungsregeln und Behördenarrangements. Diese haben in jüngerer Vergangenheit einige Änderungen erfahren. Verwaltungs- und Vollzugsverfahren sind oftmals unterhalb der Ebene demokratischer Legitimation angesiedelt; Revisionen sind somit möglich, ohne dass sie einen Niederschlag in Gesetzen, Verordnungen und