Und damit sind wir bereits beim Begriff der Dienstleistung. Sie ist eine Leistung, die für oder mit dem Kunden erbracht wird. Dabei ist der Begriff in seiner Weite zu sehen. Er bezieht sich auch auf Leistungen, die den Kunden als sogenannten „externen Faktor“ in die Erstellung mit einbinden müssen. So ist eine Beratung ohne den Klienten nicht möglich. Der Kunde ist damit Ko-Produzent der Leistung. Zugleich wird daran das „Uno-actu-Prinzip“ deutlich, dass Erstellung und Nutzung der Leistung durch den Kunden zeitlich zusammenfallen (im Gegensatz z. B. zur Herstellung von Autos, die auch gelagert werden können) und dass Dienstleistungen durch immaterielle Anteile dominiert werden (z. B. Atmosphäre der Beratung). Daraus folgt, dass eine Organisation (z. B. Caritas) Fähigkeiten (Potentiale) bereit halten muss, um z. B. eine Beratung durchführen zu können. Mit dem Kunden wird dann die Dienstleistung erbracht (Prozess), um eine nutzenstiftende Wirkung (meist immateriell) beim Kunden zu erreichen (Ergebnis). Die Potential-, Prozess- und Ergebnisdimension sind typische Merkmale einer Dienstleistung.205
Im Falle der Pastoral gibt es sowohl Angebote, die man konsumieren kann (z. B. ein Vortrag), bis hin zu Angeboten, bei denen der sogenannte externe Faktor größtes Gewicht entfaltet (z. B. bei Exerzitien oder Andachten). Das Mitwirken der Gemeindemitglieder spielt eine wichtige Rolle, damit Kirche ihren Auftrag erfülltder Glaube muss von den Gläubigen selbst angeeignet und vollzogen werden. Nichtsdestoweniger liegt es an der Pfarrgemeinde, wie der Rahmen dazu gestaltet wird. Eine Andacht, bei der die Impulse nicht verstanden werden können oder die Musik falsch spielt, stellt eine Geduldsübung dar. Oder wenn Menschen im Internet nach Gottesdienstzeiten am Sonntag suchen und nach vier, fünf Klicks immer noch nicht das Gesuchte auf der Homepage der Pfarrei finden, womöglich sogar veraltete Termine, dann kann auch an diesen Rahmenbedingungen gearbeitet werden.206
Es muss also im Blick behalten werden, dass gerade im Fall der Kirche der Kunde nicht Konsument einer vorher erstellten Dienstleistung ist. In den allermeisten Fällen ist er in den Leistungserstellungsprozess mit eingebunden - mehr als das z. B. beim Friseur der Fall ist, bei dem man nur den Kopf still halten muss. Ähnlich ist es vielleicht im Schützenverein, der darauf angewiesen ist, dass die Mitglieder auch wirklich schießen, zumindest zeitweise. Vergleichbar ist eine Musikkapelle, die auf das Mitwirken der Musiker angewiesen ist. Spricht man also von Dienstleistung in einer Pfarrei, dann geht es nicht um Konsumismus.
Unter dieser Voraussetzung kann „Kunde“ für Kirche als Begriff brauchbar sein. Aber nicht im Sinne eines Menschenbildes oder einer Instrumentalisierung oder auch nur im Sinne einer reinen Konsumhaltung. Diese Reduzierung ist auch nicht das ökonomische Verständnis von „Kunde“. Kunden werden immerwieder in Produktionsprozesse eingebunden, um wirklich das Bedürfnis der Menschen zu erreichen.
Ganz allgemein gilt auch für NPOs207:
„Im Gegensatz zu Sachgütern dominiert bei NPOs der immaterielle Charakter der Verrichtung einer Leistung. (…) Dienstleistungen entziehen sich der Vorproduktion und der Lagerfähigkeit, da sie die unmittelbare Anwesenheit des Kunden bei der Inanspruchnahme erfordern. Der Beitrag des Leistungsempfängers kann situationsabhängig aus
• der Präsenz der Person oder des Objekts, an dem die Verrichtung erfolgt, und/oder
• der Integrationsfähigkeit und -Willigkeit zur Mitwirkung an der Leistungserstellung und/oder
• der Erbringung einer Eigenleistung oder der Duldung von Handlungen bestehen.“208
Damit unter diesen Voraussetzungen Qualität möglich wird, müssen von der NPO ausgehend Potentialfaktoren gestaltet werden: Personen, die zur Leistungserbringung beitragen (z. B. Kompetenz, Erfahrung, Sozialverhalten von Ehrenamtlichen); materielle Hilfsmittel und das Umfeld (z. B. Räumlichkeiten, Ästhetik, Unterlagen, Ausstattung); Prozesse,
„die ähnlich einem Drehbuch die beiden anderen Dimensionen in der Phase der Leistungserstellung sinnvoll verbinden (z. B. die Organisation, alle Abläufe und Interaktionen mit dem Patienten, die bei einem Spitalsbesuch stattfinden)“209.
Natürlich heißt eine Orientierung am Menschen nicht, dass alles gemacht wird, um den Menschen zufrieden zu stellen. Das wäre ein Missverständnis und wäre gegen den eigenen Auftrag. So ist z. B. auch das prophetische Element Teil der Kirche und beinhaltet immer wieder eine kritisch-korrigierende Kraft, was aber nicht als Abschottung gegen eine schwierige Moderne verstanden werden darf. Die kirchlichen Hilfswerke sind ein Beispiel für Sozialkritik, wenn sie immer wieder auf die Notwendigkeit veränderter Lebensweisen in den Industrieländern hinweisen und damit wahrscheinlich nicht immer auf offene Ohren stoßen.210 Zugleich ist deutlich, dass die „Kunden“ der Kirche nicht nur die sein dürfen, die Einfluss haben oder über Mittel verfügen - im Gegenteil: gerade die an den Rand Gedrängten muss Kirche in den Blick nehmen. Es gilt geeignete Wege zwischen menschlichen Wünschen bzw. Bedürfnissen und dem kirchlichen Auftrag zu finden.
Nimmt man das zusammen, dann kann mit Blick auf das Tätigkeitsfeld einer Pfarrei folgende beispielhafte Differenzierung innerhalb der Begriffe „Dienstleistung“ bzw. „Kunde“ (als „externer Faktor“) vorgenommen werden:
Abbildung 4: Anteile an der Leistungserbringung
Dieses Schaubild veranschaulicht, welches Spektrum der Begriff Dienstleistung in Abhängigkeit der Mitwirkung der einzelnen Person abdeckt. Das Beispiel „persönliches Glaubensleben“ liegt maximal in der Hand des Einzelnen. Der pfarreiliche Anteil daran ist niedrig und beschränkt sich auf einen angebotenen Rahmen. Gemeint sind hier vielmehr die Tätigkeitsbereiche einer Pfarrei, in denen es entweder eine Leistung durch die Pfarrei gibt oder die Pfarrei einen Anteil an der Leistungserbringung hat. Beim Bibelkreis hat die Pfarrei bereits einen wesentlich höheren Anteil in der Leistungserbringung. Hier wird deutlich: Mit einem landläufigen Verständnis von Dienstleistung scheint ein Bibelkreis schwer vereinbar, nicht aber mit dem hier dargestellten211. Im Bibelkreis wird ein Potential der Pfarrei (z. B. durch einen Mitarbeitenden) in die Zusammenstellung und Einrichtung eines Bibelkreises eingebracht, die Durchführung ist aber auch vom externen Faktor der Nutzer und Teilnehmenden („Kunden“ im weiten Sinne) abhängig (Prozess), und das Ziel ist, eine nutzenstiftende Wirkung für die Teilnehmenden zu generieren (Ergebnis), in diesem Fall eine spirituelle Vertiefung. Zugleich ist klar, dass die Pfarrei nicht für die innere Erfahrung der Teilnehmenden verantwortlich sein kann, sondern nur für den Rahmen, mit Hilfe dessen die spirituelle Vertiefung und die Verbindung zwischen Alltag und Schrift vorbereitet wird. Im Falle einer Trauerbegleitung hat der Begleitende neben der Bereitschaft des Trauernden, sich auf die Begleitung einzulassen, durchaus aufgrund seiner vorher ausgebildeten Kompetenz einen hohen Einfluss auf den Wert, d. h. das „Ergebnis“ der Begleitung. Hier werden entsprechende Haltungen benötigt. Agiert der Begleitende besserwisserisch, wird die Trauerbegleitung wohl eher negativ wahrgenommen. Beim Gottesdienst wirkt eine abschweifende Predigt, unverständliches Sprechen oder schlechte Musik störend. Mit dem Pfarrbrief wendet sich die Pfarrei an ihre Mitglieder. Diese Leistung liegt zum Großteil in der Hand der Mitarbeitenden der Pfarrei. Sie haben den größten Einfluss darauf, wie der Pfarrbrief nach außen wirkt. Auch ein Pfarrfest wird von Mitarbeitenden gestaltet. Ein Team bestimmt, wen es damit letztlich ansprechen will und wen nicht. Andere Beispiele könnten angeführt werden. Insgesamt zeigt sich, dass solche Leistungen für eine Qualitäts-Betrachtung relevant sind. Der