Bei Betrachtung, Analyse und Einordnung der Vielzahl von Veröffentlichungen im Bereich christlicher und postchristlicher Frauenliturgien und Rituale fällt jedoch auf, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in pastoraltheologischen oder liturgiewissenschaftlichen Diskursen bislang kaum stattgefunden hat (vgl. Enzner-Probst 116). Es handelt sich bestenfalls um ein Randthema. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Problemlage als solche noch gar nicht wahrgenommen wird. Allerdings sehen (einige) Frauen dieses Problem schon, so etwa Barbara Baumann, die in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Gottesbildern fragt: „Hat Kirche überhaupt ein Interesse an diesen Bildern? Ist sie bereit, nur zu hören, sich erzählen zu lassen, unvoreingenommen anzunehmen, wie Menschen, Frauen und Männer, Gott offenbaren? Lässt Kirche Gott in Beziehung geraten zu Menschen oder versucht sie, ihn/sie abzuschotten, abzusichern? Eine Menge von Fragen, die erahnen lassen, dass der hier beschriebene Weg Konsequenzen hat, für die Frau, die Kirche und Gott. […] Kirche täte gut daran, diesen Weg mitzugehen, denn nur so entsteht eine Gemeinschaft von BeziehungspartnerInnen Gottes, die auf die Frage Jesu ‚Für wen aber haltet Ihr mich?‘ nicht nur Erlerntes, Gehörtes und Wiederholtes antworten können“ (Baumann 1998, 65 f.).
Es ist noch weiter zu fragen: Was bedeutet es für die Kirche, wenn Frauen die Orte der gemeindlichen Liturgien verlassen und sich eigene Orte der spirituellen und rituellen Auseinandersetzung schaffen? Welche Konsequenzen haben solche Prozesse langfristig für das Verhältnis von Frauen und Kirche? Auf welche Probleme im Innern der Kirche weist dieser Exodus der Frauen hin?
Die bisherige Darstellung lässt die Behauptung zu, dass sowohl die Frauen wie die Kirche vor einem Ausschließungs- bzw. Trennungsproblem stehen. Die Rituale der Frauen schließen die Kirche aus. Und Frauen fühlen sich ihrerseits in den liturgischen Formen der Kirche nicht adäquat repräsentiert. An diesem Punkt ist eine deutliche Differenz zwischen Frauenliturgiegruppen und verfasster Kirche feststellbar. Beide Größen stehen unverbunden nebeneinander und sind in Bezug auf den jeweils anderen Ort sprachlos. Die Kirche ist angesichts der Frauenliturgien sprachlos und die Frauenliturgiegruppen sind über ihre kirchliche Bedeutung sprachlos. Diese Anfragen zeigen, dass die Differenz von Frauen und Kirche kein nebensächliches Thema ist. In diesem Thema stecken indessen Macht und verändernde Kraft. In den verschiedenen Ortskirchen der Welt gibt es Frauenliturgien. Sie sind insofern verschieden, als sie auf den jeweiligen Ort und Kontext reagieren und auf dieser Basis Liturgien entwickeln und feiern. „There is also by now a distinctive Feminist Liturgical Movement in the so-called Third World. Obviously, emphases differ according to geographical and social location. Latin American Feminist liturgies are developed in the context of a strong tradition of Liberation Theology done by male theologians. African women have a particular interest in cultural factors, for example, African tribal rituals and their significance for women. Asian Feminist theologians work in the context of Christianity as a tiny religion. Their particular interest is focused on non-Christian religious traditions, myths and stories and their importance in, or usability for, Christian Feminist Liturgies“ (Berger 1999a, 115 f.). Vor diesem Hintergrund kommen im empirischen Teil der Arbeit Frauen zu Wort,14 die
• Frauenliturgien im Rahmen institutionalisierter Religion öffentlich feiern,
• Frauenliturgien und Rituale bewusst außerhalb von institutionalisierter Religion entwickeln und feiern,
• Rituale für sich alleine an markanten Punkten ihres Lebens entwickeln,
• Frauenliturgien und Rituale in einem geschlossenen, privaten Kreis feiern,
• Frauenliturgien in einer Metropole Brasiliens feiern,
• Liturgien in einer kontemplativen Ordensgemeinschaft feiern.
Diese Auswahl ist als Stichprobe in einem äußerst pluralen Feld zu verstehen. Dennoch lässt das Sample der Arbeit signifikante Aussagen über die Differenz von Frauen und Kirche, ihre gegenseitigen Ausschließungsmechanismen und die wechselseitige Sprachlosigkeit zu. An diesen unterschiedlichen Orten und in den verschiedenen Kontexten stecken gleichwohl Aspekte von grundsätzlicher Bedeutung, denn sie verweisen auf die Sehnsüchte und Hoffnungen von Frauen in der Kirche und an ihren Rändern.
1.2 Zweiheiten pastoraler Ortsbestimmung heute – zum Zusammenhang von Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsmethodik
1.2.1 Pastorale Ortsbestimmungen
Die Pastoral ist von den Begegnungen mit Menschen und von den Orten und Differenzen geprägt, an denen und in denen sie stattfinden. An diesen Orten begegnen sich Menschen und an ihnen kann auch Gott erfahren werden. Dies gibt den Orten eine Autorität, der die Pastoral nicht ausweichen kann. Dabei setzen die Orte einen Rahmen und sie spielen eine wichtige Rolle in den Diskursen, die geführt werden. Es spielt eine Rolle und hat eine Bedeutung, ob Frauen sich z. B. in einem Seminarraum, privat oder in einem Sakralraum treffen, um miteinander Liturgien zu feiern. Mit den Orten kommen jeweils eigene Perspektiven in den Blick und die Orte markieren zugleich Positionen. Der gewählte Ort zeigt, wofür man steht und worauf man sich bezieht. Die Orte stehen für Standpunkte, Perspektiven und Traditionen. Und jene, die sich an diesen Orten aufhalten, sie wählen und aufsuchen, verhalten sich unweigerlich dazu. Sie beziehen zu diesem Raum Stellung, bewusst oder unbewusst. All dies macht deutlich, dass die Ortsfrage keine Nebensächlichkeit ist, sondern von zentraler Bedeutung. Wer ich bin und was ich tue, leitet sich nicht zuletzt auch von dem her, wo ich bin. „Eine Größe über das Wo zu identifizieren, führt unweigerlich zu einer Auseinandersetzung mit dem Wer; umgekehrt aber besteht im Modus des Wer die Versuchung und auch die Chance, dem auszuweichen, was bedrängend und prekär ist“ (Sander 2007, 112).
Im Duktus dieser Arbeit wird die Frage nach den Menschen in Verbindung mit der Ortsfrage gestellt. Dieser Ansatz geht über den allgemeinen pastoraltheologischen Duktus hinaus, der sich an Institutionen und den Menschen orientiert.15 Die Orientierung an den Menschen ist richtig und gut und hat sich auch bewährt, allerdings können in Verbindung mit der Ortsfrage neue Aspekte in den Blick kommen und für die Pastoral genutzt werden (vgl. Sander 2005a, 190–194).
Jede Theologie ist von den Orten und den Menschen an diesen Orten herausgefordert. Das, was Kirche zu sagen hat, ergibt sich aus der Konfrontation mit denen, denen sie etwas sagen will. Insofern sie den (möglichen) Differenzen zwischen der eigenen Botschaft und der Realität der Orte nicht ausweicht, gewinnt sie Autorität. Dann kann sie zu einer eigenen Sprache für das Evangelium finden wie für das, was die Menschen hier und heute bewegt und betrifft. Auf dem Boden ihrer Tradition werden so Neuinterpretationen für den Glauben möglich, die Zukunft verheißen. Die Orte, zu denen sich die Kirche aufmacht, und die Orte, an denen Begegnungen stattfinden, verschärfen (oder entschärfen) die Problemlage durch die Differenzen, die dabei in den Blick kommen. Unterschiedliche Orte provozieren je verschiedene Anfragen und verlangen nach spezifischen Antworten, wenn der Autorität des jeweiligen Ortes nicht ausgewichen werden soll. An diesen Orten muss sich zeigen, ob die jeweilige Sprache für das Evangelium sich behaupten kann.
In diesem Sinn sind die Frauen ein pastoraler Ort mit Autorität in der Kirche. Sie sind Personen, die mit ihrer spirituellen Not und ihrer eigenen rituellen Praxis die Kirche, ihre Liturgien und ihren rituellen Glaubensvollzug anfragen. Frauen und die Erfahrungen, die sie machen, sind eine Anfrage an die Kirche und ihre Verkündigung. Inwiefern sie sich ihnen stellt, zeigt sich vonseiten der Kirche nicht zuletzt darin, welche Orte und damit Repräsentanz in ihr selbst sie ihnen ermöglicht. Vonseiten der Frauen ist es entscheidend, ob sie Orte in der Kirche einklagen, weil sie zum Volk Gottes gehören, oder ob sie sich zurückziehen in den privaten Raum und so der Anfrage durch die Kirche ausweichen. Die Ortsfrage ist in