Wenn sich Ihr Kind verbunden fühlt, kann es denken
Wenn sich Ihr Kind verbunden fühlt, versteht es, dass die auskühlenden Plätzchen auf dem Küchentisch für den Besuch bei Tante Mae sind, und begnügt sich stattdessen mit Käsekräckern. In Verbindung mit Ihnen kann es friedlich abwarten, bis Sie zuerst das Baby eine Runde huckepack getragen haben. Wenn sich Ihr Kind verbunden fühlt, wird es bei seinen ersten Versuchen des Rollschuhfahrens über die Stolperer lachen und trotz der Herausforderung beharrlich bleiben. Wenn das Bedürfnis nach Verbundenheit befriedigt ist, dann lernt Ihr Kind.
Und während sein Gefühl der starken Verbundenheit zu Ihnen wächst, ist Ihre ständige Nähe irgendwann nicht mehr notwendig und Ihr Kind kann das Verbundenheitsgefühl mit ins Klassenzimmer nehmen, hin zu den spielenden Nachbarskindern oder ins Ferienlager, und wird dabei nicht aufhören, zu lernen und Spaß zu haben.
Unterbrochene Verbindung: der unsichtbare Ausschaltknopf
Hier geht es ja um Kinder, also kann nicht immer alles glattgehen! Die Verbindung zu Ihrem Kind wird oft unabsichtlich unterbrochen werden. Sobald es sich bedroht, oder frustriert fühlt oder von einer anderen Emotion überflutet wird, verliert es das Verbundenheitsgefühl. Und zack! Der präfrontale Kortex macht dicht. Ihr Kind kann dann wirklich nicht denken. Das geschieht blitzschnell und Sie haben es schon unzählige Male erlebt.
• Sie erlauben vor dem Essen eine halbe Stunde Fernsehen, weil sich Ihr Kind während des Fütterns des Babys engelgleich verhielt. Aber nach der Fernsehsendung reagiert es störrisch. Es weigert sich, beim Tischdecken zu helfen, und bleibt kaum eine Minute still sitzen. Es macht ein großes Theater.
• Sie verlassen das Zimmer, um zu kochen, nachdem die Kinder eine ganze Weile zufrieden in Ihrer Nähe gespielt haben. Wenige Minuten später haben sie miteinander Zoff.
• Sie fahren mit Ihrem Kind kurz zum Supermarkt. Den ganzen Vormittag über war es zufrieden. Vor dem Einkauf fahnden Sie nach Ihren Schlüsseln, füttern die Katze, telefonieren und tanken noch schnell. In der Gemüseabteilung angekommen, nörgelt Ihr Kind weinerlich und besteht auf Gummibärchen, die Sie ihm sonst nie kaufen.
Was solche Situationen schwierig macht, hat mit dem Aufbau des Gehirns zu tun. Dieses ist nämlich zur beständigen Kommunikation mit anderen bestimmt und braucht zum Funktionieren eine kooperative und förderliche Umgebung. Wenn das Kind zum Beispiel allein vor dem Fernseher sitzt oder ein Elternteil das Zimmer verlässt, kann sein Gefühl, gesehen zu werden und erwünscht zu sein, empfindlich gestört werden. Und sogar ein zufriedenes Kind kann durch den langen Verbindungsabbruch auf dem Weg zum Supermarkt völlig aus dem Gleichgewicht geraten.
Ein sich verletzt fühlendes Kind kann nicht denken
Sobald die gefühlte Verbundenheit des Kindes zu Ihnen oder seiner Betreuungsperson unterbrochen wird, fühlt es sich sofort verunsichert. Das limbische System sendet ein Alarmsignal: Hier ist es gerade nicht sicher! Sofort schaltet der präfrontale Kortex ab – das Zentrum des logischen Denkens, Planens, der Impulskontrolle und Aufmerksamkeit.
Ein sich verunsichert oder verletzt fühlendes Kind, das nicht denken kann, zieht die Schwester vielleicht an den Haaren oder zerbricht bei Hausaufgabenbeginn seinen Bleistift aus Protest.
Hier sind einige einfache Signale, die Ihr Kind vielleicht sendet, wenn es sich verunsichert fühlt und nicht denken kann:
• Es kann Ihrem Blick nur sekundenlang standhalten.
• Es kooperiert nicht.
• Es wirkt teilnahmslos oder unglücklich.
• Sein Verhalten wirkt festgefahren. Es lutscht am Daumen, schnappt anderen die Sachen weg, kann trotz Müdigkeit nicht einschlafen, will Unerlaubtes haben, weist Hilfe ab, schlägt oder kränkt andere, zieht sich zurück und spürt ganz offensichtlich Ihre Liebe nicht.
Durch diese wichtigen Signale rufen unsere Kinder um Hilfe. Jetzt sind wir gefragt und müssen sie wieder auf den richtigen Kurs bringen, wo sie eigentlich auch selbst gern wären.
Ihr Kind will kein Theater machen
Wenn das Verhalten Ihres Kindes entgleist, dann ist es so, weil ihm etwas so schwer zu schaffen macht wie ein Beinbruch. Mit einem gebrochenen Bein kann Ihr Kind nicht laufen oder rennen, bevor der Bruch gerichtet wurde und abgeheilt ist. Ein Kind, dessen Gefühl der Verbundenheit zu Ihnen abgebrochen ist, verliert die Impulskontrolle und sein Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht. Logisches Denken ist nicht möglich. Ihr Kind will nicht absichtlich Theater machen. Seine Quengelei ist keine bewusste Manipulation. Lieber wäre es fröhlich und kooperativ, aber wenn es das Gefühl der Verbundenheit verliert, gerät sein ganzes System aus den Fugen.
Man könnte meinen, in Ihrem Kind gäbe es einen Ausschaltknopf. Ein denkendes Kind kann sich großzügig verhalten, doch wenn das Denken abgeschaltet ist, darf keiner seine Sachen anfassen. Mit der kleinen Schwester liebevoll umzugehen ist kein Problem, solange das Kind klar denken kann. Wenn nicht, wird seine Umarmung zu heftig oder sein Kuss wird zum Biss. Ein denkendes Kind kann ein wenig abwarten, bis es Ihre Aufmerksamkeit bekommt, wenn aber die Verbindung zu Ihnen unterbrochen ist, wird es sein Geschwisterchen sogar umrennen, um als Erster bei Ihnen zu sein. Wenn Kinder nicht denken können, versuchen sie verzweifelt, die Verbundenheit wiederherzustellen, und wir bekommen es an ihrem Verhalten zu spüren.
Ab und zu gelingt es einem Kind tatsächlich, seine Bedürfnisse noch in Worte zu fassen, bevor es das Gefühl der Verbundenheit verliert. Doch selbst das geschieht dann nicht gerade sehr höflich. Die Tochter einer Freundin war bei der Geburt ihrer Schwester vier Jahre alt. Mehrere Monate lang verhielt sie sich dem Neugeborenen gegenüber ausgesprochen liebevoll und aufmerksam. Doch schließlich wurde die gefühlte Verbundenheit zur Mutter aufgerieben. Da baute sie sich vor ihr auf und schrie: „Mami, leg das Scheiß-Baby weg und kümmere dich um mich!“ So viel Geistesgegenwart besaß das Mädchen, dass sie noch ein Signal senden konnte, bevor ihr Denken ganz aussetzte.
Ihr Kind weiss instinktiv, wie es sich von Verletzungen erholt
Das Leben birgt viele Anlässe, die im Kind das Gefühl der Verbundenheit unterbrechen, seine Gefühle verletzen, sein Denken anhalten und es aus dem Gleichgewicht werfen. Zum Glück wurde Ihr Kind mit einem robusten seelischen Reparaturmechanismus geboren. Die aufgewühlten Gefühle brauchen ein Ventil und das Kind muss unbedingt wieder Ihre Fürsorge spüren. Es gibt nur eine einzige Handlung, die ihm einerseits erlaubt, seine Gefühle auszudrücken, und gleichzeitig Ihre liebevolle Zuwendung übermittelt: das Zuhören. Ja, Zuhören kann tatsächlich die Verletzung heilen.
Halten Sie einfach inne, suchen Sie die Nähe zum Kind und unterbrechen Sie sanft das unerwünschte Verhalten. Machen Sie dabei nicht viel Worte: Ihr Kind kann Anweisungen ohnehin nicht folgen, wenn sein Denken nicht funktioniert! Greifen Sie sanft, aber bestimmt ein, damit es keinen Schaden mehr anrichten kann oder nicht mehr einfach vor den Hausaufgaben wegrennt. Dann legen Sie Ihrem Kind sanft die Hand auf den Rücken oder setzen sich zu ihm auf den Boden, falls es dort liegt und Tritte verteilt. Hören Sie allem zu, was es sagt und zeigt. Nehmen Sie die Bedeutung seiner Körpersprache auf. Ihr Kind braucht jemanden, der seine schwierigen Gefühle versteht. Während Sie zuhören, werden die Gefühle des Verletzt-Seins durch Weinen, Wutanfälle, Lachen oder dem Angst abbauendem Schwitzen und Zittern geheilt.
Vielleicht dauert es eine Weile, bis sich Ihr Kind ausgetobt hat. Wahrscheinlich werden Sie die ersten Male, bei denen Sie Ihre üblichen Disziplinierungsmethoden durch das Zuhören ersetzen, sogar denken: „Wird mein Kind jemals zur Ruhe kommen? Das kann doch nicht gut tun!“ Wir sind solch leidenschaftliche Zurschaustellung von Emotionen nicht gewohnt! Aber halten Sie durch. Das alles geschieht nicht ohne Ziel. Denn zum Vorschein kommen genau jene Emotionen, die das Verhalten Ihres Kindes beeinträchtigt haben! Zwar offenbart Ihr Kind damit, wie schlecht es sich fühlt, aber es wird