Äussere Faktoren erschweren das Leben mit Kindern
Tatsächlich gibt es mächtigere Einflussfaktoren, die das Leben mit Kindern erschweren – gesellschaftliche Zwänge, die uns die so nötige Zeit für Geborgenheit mit unseren Kindern streitig machen. Hier folgt zusammengefasst die Situation in den USA:
• Man braucht über 200.000 USD und darüber hinaus unermesslich viel Nestwärme, Großzügigkeit und Weisheit, um in den USA ein Kind bis zum 18. Lebensjahr gut zu versorgen. Aber die Eltern erhalten keine Vorbereitung, finanzielle Unterstützung oder Schutz vor erdrückenden Lebensumständen. Die Kindererziehung hat damit den wirtschaftlichen Stellenwert eines Hobbys.
• Die üblichen Erziehungsgewohnheiten und arbeitsrechtlichen Regelungen halten Väter eher von ihren Kindern fern.
• Armut, Rassismus, Sexismus und andere diskriminierende Faktoren verschlimmern die Mühen und den Stress der Eltern und verletzen unsere Kinder.
• Eltern sind öffentliche Zielscheibe für Kritik.
Wir wollen nun jede dieser Belastungen genauer betrachten:
Das Aufziehen von Kindern ist Privatsache, ein 24-Stunden-Job, der schlagartig mit dreijähriger Intensivpflege des Kindes beginnt. Daran schließen sich noch mindestens 15 weitere Jahre an, in denen Folgendes von uns Eltern erwartet wird: Hingabe, Führung, Forschung, Fürsprache, Diplomatie, Nachtarbeit, Toilettentraining, Körperpflege, Nachhilfeunterricht, Kochen, Fahrdienst, Erste Hilfe und vieles mehr. Vor allem sollen wir täglich und jederzeit ein Vorbild an Fürsorge und Weisheit sein, im Großen wie im Kleinen.
Außerdem braucht Ihr Kind zum Gedeihen reichlich Aufmerksamkeit. Es braucht Spiel – und wie viel! Und Eltern, die von ihm hingerissen sind. Liebe steht im Mittelpunkt dieser Aufgabe und die von Ihrem Kind zurückfließende Liebe wird Ihr Leben bereichern. Dafür müssen Sie mit ihm bis zu seinem zweiten Lebensjahr aber auch mindestens zehn Erkältungen durchstehen. Es wird Sie nachts oft aufwecken, in endlose Sorgen treiben und zu guter Letzt wird es Ihnen wahrscheinlich eines Tages unverblümt sagen, für wie doof es Sie hält. Und doch braucht es weiterhin Ihre Liebe. Das eigene Kind aufzuziehen ist nun wirklich kein Hobby!
Hohe Arbeitsbelastung und die überholte Vorstellung, dass für Kinder hauptsächlich die Mutter zuständig sei, kann Väter von ihren Kindern entfremden, was beiden die elterliche Fürsorge erschwert. Spielt der Vater trotz seiner Anwesenheit nur eine untergeordnete Rolle, leiden alle darunter. Das heißt aber natürlich nicht, dass die Familie „zerrüttet“ ist, wenn es Vater oder Mutter nicht gelingt, ihre Elternrolle voll und ganz einzunehmen. Die Resilienz-Forschung bestätigt den gesunden Menschenverstand: Dem Kind genügt eine liebende Person, damit es die für einen gelingenden Start ins Leben notwendige positive Beachtung erhält. Aber diese eine Person braucht unbedingt selbst Unterstützung!
Ungerechtigkeit zehrt an der Kraft vieler Eltern. In den USA gilt jedes fünfte Kind als arm (Anmerk. d. Verlags: in Deutschland in 2015 vergleichbar). Mit dieser Armut gehen das Aufwachsen in gefährlicher Umgebung, Hunger, schlechter Gesundheitszustand und niedrige Schulbildung einher. Eltern führen unter solchen Bedingungen ein aufreibendes Leben. Ihren Kindern fehlt oft die Gelegenheit, unbeschwert zu spielen und sich in der Freude der umgebenden Erwachsenen zu sonnen. Und wenn eine Familie auch noch zur Zielscheibe von Rassismus, Homophobie oder ähnlicher Diskriminierung wird, dann steht das Potenzial aller Familienmitglieder auf dem Spiel.
Schließlich haben Sie wahrscheinlich entdeckt, dass Sie wegen Ihrer Art der Kindererziehung von Bekannten und sogar völlig Fremden kritisiert werden. Erwachsene haben kleinen Kindern gegenüber oft wenig Geduld. In der Öffentlichkeit gehen viele von uns deshalb aus Angst hart mit den eigenen Kindern um und schelten beispielsweise die Sprösslinge lautstark, damit bloß nicht irgendjemand anderes auf diese Idee kommt oder wir als unfähig angesehen werden.
Wenn sich Kinder danebenbenehmen, werden die Eltern dafür verantwortlich gemacht. Auch wenn sich die Kinder in der Schule schwertun, wird die Schuld bei den Eltern gesucht. Aber alle Eltern, denen ich jemals zugehört habe, gaben ihr Bestes. Alle Eltern sind mit Herausforderungen konfrontiert, die sie nicht selbst zu verantworten haben.
Wir sind auch mit inneren Herausforderungen konfrontiert
Abgesehen von diesen gesellschaftlichen Hürden, stehen wir auch inneren Herausforderungen gegenüber. Unser Erziehungsstil wird teilweise von den besten Erfahrungen mit unseren eigenen Eltern geprägt. Unwissentlich werden wir zur Schlafenszeit zur liebenswürdigen Kopie unseres Vaters oder wir begleiten unser Kind beim Versuch, einen Nagel in die Wand zu schlagen, ebenso geduldig wie unsere Mutter. Aber manche unserer Erziehungsstrategien spiegeln auch den Druck der belastenden Lebensbedingungen unserer Eltern wider, den sie durch ihre Erziehung an uns weitergegeben haben. Also werden wir nach einem frustrierenden Tag so beißende Drohungen ausstoßen wie früher unser Vater oder unser Kind so am Arm zerren, wie das unsere Mutter mit uns gemacht hat. Und wahrscheinlich haben Sie bemerkt, dass Sie es nicht verhindern können, dass manchmal nackte Emotionen die Oberhand bekommen, obwohl Sie sich geschworen haben, weder zu brüllen noch zu prügeln oder ein Donnerwetter loszulassen. Wir sind gute Eltern, aber wir schleppen eben auch einigen Ballast mit uns herum.
Das leben mit Kindern ist Arbeit an den Emotionen
Sie können nicht vorhersagen, wie Sie sich fühlen, wenn Sie zu Eltern werden. Aber ausbleiben werden die Gefühle sicher nicht! Sie werden von außergewöhnlichen Hoffnungen und tiefsitzenden Ängsten hin- und hergerissen, von überfließender Dankbarkeit und bitterem Groll, Liebe und Hass. Da sind Sorgen, da ist Freude. Stolz und zuversichtlich beobachten Sie, wie Ihr Kind auf dem Spielplatz spontan Freundschaft schließt. Aber wenn es um zwei Uhr morgens wegen Ohrenschmerzen weint, werden Sie von Hilflosigkeit überfallen. Wenn Gefühle aufkommen, dann gleich heftig.
Allerdings werden diese von den Gefühlsausbrüchen unserer Kinder weit übertroffen! Gute Kinder weinen nicht bloß, sie werden von Schluchzern durchgeschüttelt. Sie legen keine Beschwerde ein, sie bekommen einen Wutanfall. Völlig normale Kinder kreischen und werfen mit Gegenständen um sich. Sie rennen schreiend durchs Haus, teilen Tritte aus und beben vor Zorn. Wenn Sie mit einem Kind leben, dann haben Sie es mit einem Beethoven der Emotionen zu tun, einem Genie in den Gefilden leidenschaftlichen Ausdrucks.
Die Arbeit an den Emotionen lässt sich im Leben mit Kindern nicht vermeiden. Ob Sie Ihren Ärger herunterschlucken und geduldig zu bleiben versuchen oder vor der Familie ausrasten, alles gehört zur emotionalen Arbeit. Sie können versuchen ruhig und vernünftig zu bleiben, aber Gefühle herunterzuschlucken tut uns Menschen auf Dauer nicht gut. Wir können die viel gepriesenen zehn tiefen Atemzüge nehmen und Ärger zurückhalten. Aber nach einer Weile reizt es uns, unter einem Vorwand die wahren Gefühle zu zeigen, und wir explodieren am Ende doch noch. Für den Umgang mit dieser emotionalen Arbeit haben sich bisher noch keine guten Strategien etabliert. Nur eines ist sicher: Wozu wir uns auch entschließen, keinesfalls dürfen wir unsere Gefühle ignorieren.
Was kann nun in einer Durchschnittsfamilie zu einer erheblich stressbelasteten Eltern-Kind-Beziehung führen? Was Eltern manchmal so alles begegnet, kann ich bereits anhand einiger Erfahrungen aus meiner Verwandtschaft demonstrieren: Im Kindesalter stieß mein Mann seinen Bruder auf der Golden Gate Bridge aus dem fahrenden Auto. Die Mutter musste mitten auf der Fahrspur anhalten, zurückrennen und ihren Sohn von der Schnellstraße auflesen. Meine Schwester fiel in ihrer Entwicklung bis zu schwerster geistiger Behinderung zurück und nach einem Jahr erkannte sie uns nicht mehr und konnte nicht einmal mehr willentlich ihre Körperglieder bewegen. Mein Bruder schoss mit einem Luftgewehr seinem Freund um Haaresbreite ein Auge aus. Meine Cousine erkrankte mit zwölf Jahren an einer chronischen Gelenkentzündung und saß monatelang im Rollstuhl. Mein Onkel, ein Pilot der Luftwaffe, kehrte so schwer traumatisiert aus dem Vietnamkrieg zurück, dass er es weder mit Frau und Tochter noch mit sonst jemandem aushielt. Nirgendwo fand er Trost und nahm sich schließlich das Leben.
Sie können sich vorstellen,