Mit diesen fünf „Hand in Hand“-Strategien des Zuhörens haben Sie perfekte Ausdrucksmittel für die tiefe Liebe zu Ihren Kindern und stärken dadurch Ihr Familienleben. Viel Vergnügen!
KAPITEL 3
Wunschzeit
Ein Gefühl von Verbundenheit gibt Ihrem Kind Rückenwind für sein Leben. Es gewährt ihm die Fähigkeit, zu reflektieren, zu koope- rieren und sich in der eigenen Haut und mit den Menschen in seiner Umgebung wohlzufühlen. Auch eröffnet es ihm den Zugang zum Lernen und hilft ihm bei der Entwicklung seines Urteilsvermögens. Soll Ihr Kind anderen ein guter Freund sein? Dann bauen Sie sein Gefühl der Verbundenheit auf. Soll es tapfer sein? Fördern Sie sein Gefühl der Verbundenheit. Soll es sich ab und zu gut allein beschäftigen können? Füttern Sie sein Verbundenheitsgefühl. Soll es zwischen Gut und Böse unterscheiden können? Erneuern Sie immer wieder sein Gefühl der Verbundenheit. Dann wird Ihr Kind lernen, sich noch rechtzeitig zu fangen, bevor es seinem Freund aus Wut eine knallt oder das Meerschweinchen heimlich mit aufs Zimmer nimmt, wo es ihm entwischt. Wunschzeit, die erste Zuhörstrategie, wird Ihnen helfen, dieses Band der Verbundenheit dauerhaft zu stärken.
Für die Wunschzeit legen Sie einen bestimmten Zeitraum zwischen drei Minuten bis zu einer Stunde fest, und Ihr Kind zeigt Ihnen, wie Sie den Zugang zu ihm finden. Sie geben vor, wann und wo Sie Zeit haben, sich mit ihm zu verbinden. Ihr Kind wird Ihnen das „Wie“ mitteilen. Je nach den familiären Bedingungen kann Wunschzeit gelegentlich stattfinden oder zum täglichen Ritual werden. Auf jeden Fall dient sie dazu, „Die Tasse Ihres Kindes mit dem Gefühl der Verbundenheit zu füllen“, wie Dr. Lawrence J. Cohen schreibt.
Was zeichnet Wunschzeit aus?
Sie denken vielleicht: „Aber meine Kinder bekommen doch schon viel Wunschzeit! An den Wochenenden gehen wir in den Park, in der Badewanne dürfen sie planschen und spielen; ich singe mit ihnen. Sie dürfen viel öfter herumtoben, als ich früher. Wir machen zusammen viel Spaß!“ Sie haben Recht! Diese Zeiten sind wichtig. Sie haben aber nicht dieselben Auswirkungen wie die Wunschzeit. Sie freuen sich am Planschen Ihrer Kinder in der Badewanne, aber wenn das Telefon klingelt, nehmen Sie den Anruf entgegen. Wenn Ihre Lebensgefährtin das Badezimmer betritt, weil sie wegen der lauten Musik des Nachbarn Gesprächsbedarf hat, reden Sie mit ihr. Den ganzen Tag über gibt es potenzielle und tatsächliche Ablenkung. In der Wunschzeit lassen Sie das aber nicht zu. Sie sind nur bei einem einzigen Kind. Die anderen werden vorher versorgt und das Telefon ist tabu.
Im Gegensatz zum normalen Alltag übernimmt in der Wunschzeit das Kind die Führung. Sie aber setzen die Rahmenbedingungen fest, zum Beispiel: „Die Wunschzeit dauert fünfzehn Minuten, wir können drinnen oder draußen bleiben, fahren aber heute nicht mit dem Auto und geben kein Geld aus.“ Alles Übrige liegt beim Kind, und Sie werden merken, wie sein Einfallsreichtum im Scheinwerferlicht Ihrer Aufmerksamkeit wächst. Bei jedem Mal gibt es Neues, das seine Fantasie anregt. Wenn Ihnen an manchen Tagen die Geduld fehlt, können Sie eine kürzere Wunschzeit festsetzen und dafür an entspannten Tagen großzügiger sein.
Anfang und Ende der Wunschzeit sind immer festgelegt. Ihr Kind freut sich auf den Anfang. Viele Eltern freuen sich dagegen auf das Ende. Aber während einer begrenzten Zeit werden Sie sogar die besonders interessanten Vorschläge Ihres Kindes leichter ertragen können. Angenommen, Ihr Kind möchte im Garten Kekse zerkauen und dann Krümelschnee in die Luft pusten. Obwohl Sie sehr auf Ordnung pochen, gelingt Ihnen ein Kichern und Sie bestaunen den Einfallsreichtum Ihres Kindes. In weiser Voraussicht haben Sie ihm nur zehn Minuten Wunschzeit versprochen, also können Sie sich für den Kekskrümelschnee auf dem Rasen beinahe begeistern. Sie beglückwünschen sich – ja, Ihr Kind matscht zwar gern, aber jedenfalls ist es kreativ! Und zehn Minuten lang halten das sogar Sie aus.
Stellen Sie sich das Zusammensein im normalen Erziehungsalltag als nährende Milch für Ihr Kind vor. Die Wunschzeit gleicht dann der Sahne obendrauf. Sie bereichert Ihre Beziehung um eine wichtige Qualität, nämlich um emotionale Sicherheit. Aber Sahne allein wäre auf Dauer für Sie beide zu reichhaltig!
Bald werden Sie entdecken, was Sie mit Wunschzeit alles erreichen können. In diesem Buch gibt es viele Beispiele, dennoch werden Sie mit Ihrem Kind einen ganz eigenen Weg gehen. Ich kenne Familien, da genügten fünf Minuten Wunschzeit und ein Kind mit anklammerndem Verhalten konnte anschließend auf einer Kinderparty problemlos mit den anderen Kindern spielen gehen. Fünf Minuten reichten aus, und die Faszination eines Kindes für Streichhölzer war ein für alle Mal befriedigt, was den Familienalltag wesentlich sicherer machte; auch die Gereiztheit eines Kindes auf einer Familienfeier wurde mit kurzer Wunschzeit vertrieben. Kindern wurde bei der Bewältigung ihrer Ängste geholfen; ein Kind kam wieder in Verbindung zu dem Elternteil, von dem es lange getrennt war, und kindliche Traumata wurden geheilt. Einem Kind wurde dabei geholfen, sich auf das Neugeborene einzustellen, ein aggressives Kind bekam über die Wunschzeit ein Ventil für überschüssige Energie und die Angst eines Kindes vor ärztlicher Behandlung wurde aufgelöst. Wunschzeit ist eine absolut flexible Möglichkeit. Sie können damit beinahe jedes verwirrende oder ärgerliche Verhaltensproblem mildern.
Hier lesen Sie, wie einer frustrierten Mutter mithilfe der Wunschzeit notwendige Veränderungen gelangen.
Mir graute vor jedem Morgen. Täglich hinterließ er bei mir eine seelische Narbe. Niemand wollte sich beeilen. Null Kooperation. „Bitte geh Zähneputzen“, bat ich. Als Antwort kam dann: „Ich gehe nicht in die Schule.“ - „Ich putze mir nicht die Zähne.“ Dann rutschten mir all die Sätze heraus, die ich unbedingt vermeiden wollte: „Du putzt dir jetzt die Zähne, sonst …“, „du gehst in die Schule – und zwar sofort – und ich will nichts mehr davon hören!“ Worte und Tonfall meiner Mutter. Mir war zum Kotzen. Was machte ich da bloß?!
Nachdem ich jede mir bekannte Drohung und Strafe ausprobiert hatte, versuchte ich es schließlich mit dem „Hand in Hand“-Ansatz. Von nun an standen wir jeden Tag eine halbe Stunde früher auf, damit wir Zeit zum Spielen hatten! Und ich meine, richtiges Spielen! Wir fingen mit der Wunschzeit an. Mein Mann und ich wechselten uns bei den Mädchen ab, damit jede mit Mama und Papa Wunschzeit verbringen konnte. Wir beschränkten uns auf zwanzig Minuten, gleich nach dem Frühstück und noch vor den gefühlten endlosen Pflichten, die die Mädchen zu erledigen hatten. Es klappte tatsächlich! Sie putzten sich ohne Druck die Zähne und machten sogar selbständig ihr Bett. Ganz erstaunlich. Nur wenige Minuten mit jeder Tochter allein hatten genügt, ihnen den „Tank“ neu mit Liebe und Aufmerksamkeit aufzufüllen. Klar muss man Mühe und Zeit investieren, aber die sind es wert! Diese morgendlichen zwanzig Minuten haben mir viele Stunden voller Frieden und Liebe verschafft.
Dies ist eine sehr einfache Strategie. Durch Ihren Einsatz werden Sie mit Verhaltensänderungen und größerem Vertrauen belohnt. Die Wunschzeit gewöhnt Ihr Kind an ein stabiles Gefühl der Verbundenheit. Zugleich werden auch Sie besser auf Ihr Kind eingestimmt, sodass Sie nach einer Weile schwierige Momente schneller vorhersehen können und sich darauf einzustellen lernen. Sie haben Ihr elterliches Ziel erreicht, sobald Ihr Kind es selbst merkt, wenn es sein Gleichgewicht zu verlieren droht und um Wunschzeit bittet, damit es sich wieder mit Ihnen verbinden kann, anstatt in eine Abwärtsspirale schwierigen Verhaltens zu geraten.
Abgesehen von ihrem praktischen Nutzen, bereichert diese Strategie Ihre gegenseitige Beziehung. Sie werden Ihr Kind damit durch und durch kennenlernen. Es wird Ihnen während der Wunschzeit zeigen, was ihm gefällt, was es nicht leiden kann und