Diese Kontemplationen schlugen eine Brücke zwischen der Lehre Buddhas und der zwischenmenschlichen Praxis und markierten den Beginn einer neuen Phase in deren Entwicklung. Obwohl mir das in seiner ganzen Tragweite noch nicht klar war, öffnete sich eine Tür zwischen dem Inhalt aller Weisheits-Traditionen und der Dialog-Praxis. Die grundlegenden meditativen Qualitäten dieser Praxis ließen sich bei der Kontemplation jedweder zentralen Aussage entwickeln. Die Aussagekraft dieser Inhalte – der Kontemplationen – klärte für mich die Beziehung zwischen Kontemplation und Meditation und zeigte mir den Weg zur Verdichtung der Meditationsanweisung auf drei simple Elemente: Innehalten – Entspannen – Öffnen; dem Entstehen vertrauen; tief zuhören – die Wahrheit sagen. Achtsamkeit und stille Besinnung waren das Fundament des meditativen Prozesses, während die Kontemplationen es möglich machten, dass die Praxis tief in unsere mentalen und emotionalen Konstrukte hinabreichte und sie mit einer Kraft transformierte, die ich mir niemals hätte träumen lassen. Auf diesem Fundament ruht heute der Einsichts-Dialog.
Seine gegenwärtige Entwicklungsphase begann damit, dass ich andere darin ausbildete, die Praxis weiterzugeben. Durch ihren Beitrag wurden die Retreats offener und boten mehr Zeit für die stille Meditation. Am wichtigsten ist, dass die neuen Lehrer ihr persönliches Verständnis des Dhamma und ihren individuell einzigartigen Lehrstil in die Dialogpraxis eingebracht haben. Weil diese Beiträge sich in den Kern der Praxis integrieren, ist dies nun auch eine Zeit des Blühens und Gedeihens.
Aus meiner Suche, wie sich die Lehren des Buddha so ehrlich wie möglich auf die Meditation wie auch auf menschliche Beziehungen anwenden lassen, ist ein neues Verständnis des Dhamma erwachsen. Diese Vision umfasst persönliche und gegenseitige Meditation und wird geleitet von einer Einsicht in die menschliche Verletzbarkeit und einer Vision des menschlichen Potentials zur Freiheit. Ein Weg, wie Menschen aufwachen und sich miteinander wohlfühlen können, hat sich aufgetan. Dieser Weg beinhaltet Gruppenpraxis im Retreat und in anderen organisatorischen Formen wie auch die Anwendung der Dialog-Leitlinien im Alltag, um ihn zu einem Prozess des Aufwachens und der Befreiung zu machen. Mein Weg dorthin schuldet vieles der Weisheit, dem Scharfblick und dem Rat anderer. Vor allem aber ist die Entwicklung des Einsichts-Dialogs der Spur des Dhamma gefolgt; ich versuche einfach, dem Geist dieser bemerkenswerten Entwicklung treu zu bleiben.
5 David Bohm, On Dialogue (London: Routledge, 1996). Deutsch: Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, hg. von Lee Nichol, Klett-Cotta, Stuttgart 1998
Ein waches menschliches Wesen
In den Lehren des Buddha geht es um das menschliche Leben. Um seine Lehren haben sich viele Rituale und Philosophien angesammelt – in jedem Land in anderer Form –, doch der Kern der Lehren hat damit nichts zu tun. Er hat damit zu tun, wie wir mit unserem allzu menschlichen Leben aus Leid und Freude klarkommen. Wir können Mut fassen angesichts der Tatsache, dass der Buddha ein Mensch war, kein Gott. Der Buddha lehrte, was er durch seine eigene menschliche Erfahrung gelernt hatte. Er bot seine Lehre anderen menschlichen Wesen an, die daraus Nutzen ziehen konnten, weil sie Menschen waren. Diese Menschlichkeit leugnet nicht die subtilen Aspekte unseres Wesens, diese Eigenheiten, die nur ein stiller, hellwacher Geist erkennt. Mit dem sensiblen Körper und Herz-Geist eines Menschen geboren zu werden, ist Geschenk und Herausforderung zugleich. Die Einsichten des Buddha sind von großer Tiefe und aktueller Relevanz, weil sie auf seiner direkten, im Körper verankerten Erfahrung beruhten. Er meisterte die Herausforderungen seines Lebens als Mensch und lehrte andere, es ihm gleichzutun. Es ist kein großer Unterschied, dass die Erde meine bloßen Füße jetzt ein paar tausend Jahre später berührt oder die Gedanken, die sich in meinem Kopf tummeln, vom Internet beeinflusst sind oder meine Emotionen ein modernes westliches Flair haben. Die Fakten unserer gemeinsamen Physiologie und der zartfühlenden Reaktionen des Herz-Geistes garantieren, dass diese menschlichen Lehren nach wie vor relevant sind.
Der Buddha erkannte, dass wir die meiste Zeit unseres Lebens in Stress und Verwirrung zubringen. Unser Schmerz wird genährt durch Hunger und Habenwollen und eine oft nahezu komplette Unkenntnis der Mechanismen von Ursache und Wirkung. Er sah, dass wir eine Fähigkeit zu Klarheit und Mitgefühl haben, die weitgehend ungenutzt bleibt, und dass wir fähig sind, frei zu sein von Ignoranz und irreführenden egoistischen Wünschen. Um diese Fähigkeiten zu realisieren, verordnete der Buddha einen tugendhaften Lebensstil und dazu eine Palette von, wie ich es nenne, außergewöhnlichen persönlichen Übungen. Das sind die Meditationspraktiken, die die meisten von uns kennen. Diese Praktiken verlangen von uns individuelle, persönliche Anstrengung (ob alleine oder in der Gruppe); sie unterscheiden sich von unseren gewöhnlichen Aktivitäten, und man übt sich in ihnen zu Zeiten und an Orten, die gezielt der Förderung von Qualitäten wie Achtsamkeit, stille Besinnung, Konzentration und Offenheit dienen. Diese Lehren entfalten sich in unserem alltäglichen Leben wie auch während der für die Praxis reservierten Zeiten. Wie die Lehren anderer Weisheitstraditionen sind sie verankert in Jahrtausenden von empirischer Forschung darüber, was moralisch vertretbares Verhalten ist und zu persönlicher Zufriedenheit führt. Wenn wir uns auf den Weg einlassen, machen uns diese klaren Resultate zuversichtlich und bilden auch die Basis für die weitere Entwicklung auf dem Weg.
Menschen aus unglaublich verschiedenartigen Kulturen haben die Lehren des Buddha ausprobiert und entdeckt, dass sie helfen. Während sie diese Lehren auf ihr Leben anwendeten und sich zu eigen machten, nahmen die Lehren den Geschmack und die Eigenarten verschiedener kultureller Formen und örtlicher Weisheitstraditionen an. Praktiken, Philosophien, Götter, Rituale, Entdeckungen blühten auf. Chinesische Einsiedler im 6. Jahrhundert gab es, Zen-Krieger im 12. Jahrhundert, und auf der tibetischen Hochebene praktizierte die Urbevölkerung eine Mischung aus Zauberei und Meditation. Von der Leerheit des Zen bis zur „Human-Potential“-Bewegung haben diese Versuche sich hauptsächlich auf individuelles und persönliches Wachstum konzentriert und ein breites Spektrum individueller und persönlicher Meditationsmethoden eingesetzt, um dieses Wachstum zu fördern – obwohl Meditation normalerweise im unterstützenden Umfeld einer Gruppe oder eines Klosters gelehrt wurde. In manchen Traditionen war das Leben in der Gemeinschaft eine zentrale transformative Praxis, aber sogar in diesen Traditionen war die Meditation selbst eine rein innerliche und persönliche Sache. Diese Konzentration auf das Individuelle zeigt sich auch heute, in der Erforschung der neurophysiologischen Basis von Emotionen und meditativen Zuständen. Während all dieser Entwicklungen sind zwischenmenschliche Ausprägungen individueller Praxis und zwischenmenschliche Formen der Praxis weitgehend außer Acht geblieben.
Viel von dem Stress in unserem Leben entsteht im Zusammenhang mit anderen Menschen; viel von unserer Abhängigkeit, Angst und Sehnsucht hat mit Beziehungen zu tun. Unsere Beziehungen sind oft ein Morast, in dem Ignoranz gefördert wird und gedeiht. Jemand verletzt zum Beispiel meine Ehre, und der Zorn kocht hoch. Ich verbeiße mich in meine scheinbare Verletzung und werde blind dafür, wie die Dinge sich wirklich verhalten. Aus solch einem zwischenmenschlichen Kontakt entstehen Gedanken und Emotionen, die wuchern und zu Auseinandersetzungen, Streit und Krieg führen. Wenn wir mit anderen in Kontakt treten und uns dabei hinter oberflächlich guter Laune oder einer Mauer des Hasses verstecken, denken wir nicht klar. Schnell sitzen wir in der Falle immer gleicher Gewohnheits-Kreisläufe. Da unser Potential zu mehr Unbefangenheit, Freude und Mitgefühl uns nicht bewusst ist, lassen wir die Früchte zwischenmenschlicher Freiheit links liegen – wir wissen nicht einmal, dass sie existieren. Wie das Leben wohl wäre ohne die zwischenmenschlichen Ängste und Sehnsüchte? Wie würden wir andere Menschen behandeln, wenn wir ihre Verwandtschaft mit uns erkennen und sehen würden, dass unser Herz genauso traurig und verletzt ist? Können wir unsere sozial konstruierten Selbstbilder wirklich aufgeben? Und wenn ja, wie könnte unser Leben aussehen? Wie könnte die Welt aussehen, wenn wir einander ohne die Verdrehungen von Stress, krampfhafter Fixierung und Habenwollen begegnen könnten? Was wäre, wenn wir – gemeinsam –