Meine Studenten empfanden es als aufschlussreich zu erkennen, wie ihre Anspannung in allen Fällen daraus erwuchs, dass sie zu etwas nein sagten, das sie als Gegner behandelten. Als Nächstes bat ich sie zu überprüfen, ob sie in diesem Kampf einen altbekannten Groll gegenüber anderen finden konnten, der über ihr ganzes Leben zurückreichte. Und ich bat sie, diesen Groll in einem Satz in der Gegenwart auszudrücken, beginnend mit „Du…“. Hier sind einige der Groll-Sätze, die sie sagten:
„Du willst mich ausnutzen.“
„Du schätzt mich nicht als das, was ich bin.“
„Ich bin dir nicht wichtig. Du bist nur an dir selbst interessiert.“
„Du willst mich beherrschen.“
„Du siehst mich nicht.“
„Du respektierst mich nicht.“
„Du willst mich fertigmachen.“
„Du akzeptierst mich nicht, wenn ich nicht in dein Programm passe.”
„Du benützt mich zu deinen Zwecken.“
„Du schenkst mir deine Zeit und Aufmerksamkeit nicht.“
„Du erklärst meine Bedürfnisse für unberechtigt.“
„Du erkennst nicht, dass ich gut bin.“
Als die Studenten der Reihe nach ihren Groll ausdrückten, wurde klar, dass dies alles verschiedene Formen derselben Klage waren, des grundlegendsten Kummers, den es gibt: Du liebst mich nicht. Genauer: Du liebst mich nicht so, wie ich bin. Das ist die universelle Wunde, die den Treibstoff für unseren Kampf mit der Welt liefert.
Liebe ist das Erkennen von Schönheit. Jeder von uns sehnt sich danach, die Schönheit und das Gute in sich zu kennen und Vertrauen darin zu haben. Besonders als Kinder brauchten wir jemand anderen, der die Schönheit unserer Seele sah und uns diese Schönheit gleich einem Spiegel widerspiegelte, so dass wir sie selbst sehen und wertschätzen konnten. Wenn die Schönheit in uns nicht erkannt wurde, empfanden wir ein Fehlen von Liebe, und unser System erlebte einen Schock und verschloss sich.
Aus uns unbegreiflichen Gründen schienen andere Menschen, Gott oder das Leben selbst uns die Anerkennung und das Verständnis vorzuenthalten, von denen wir instinktiv wussten, dass wir sie brauchten, um zu gedeihen. Das machte uns verrückt. Wir wussten, dass uns Liebe zustand und dass wir eins mit ihr sein mussten, dass wir fühlen mussten, dass sie uns erfüllte und vollkommen durchdrang. Es gab bestimmt jemanden oder etwas, dem man die Schuld geben konnte! So entwickelten wir einen Groll gegen andere Menschen oder gegen das Leben selbst, weil sie uns nicht die Liebe boten, die wir brauchten, oder gegen uns selbst, weil es uns nicht gelungen war, diese Liebe zu gewinnen.
Große Liebe
Es ist wahr, dass wir ein Recht auf vollkommene Liebe haben. Das ist unser Recht von Geburt an. Das Problem ist aber, dass wir sie an den falschen Orten suchen – außerhalb von uns selbst, in unseren unvollkommenen Beziehungen mit unvollkommenen Menschen, die ebenso verwundet sind wie wir selbst. Das frustriert und enttäuscht uns unvermeidlich. Obwohl die vollkommene Liebe in einzelnen Augenblicken in Beziehungen durchscheinen kann, können wir uns nicht auf andere Menschen als stetige Quelle dafür verlassen.
Obwohl sich die menschliche Liebe gewöhnlich als unvollkommen zeigt, gibt es eine andere Dimension von Liebe, welche vollkommen, ununterbrochen und immer verfügbar ist. Sie fließt aus der letztendlichen Quelle von allem – ob wir es nun Gott, Tao oder die Buddha-Natur nennen – direkt in unser Herz. Das ist großartige Liebe, absolute Liebe – reine, bedingungslose Offenheit und Wärme – welche in der Tat dem innersten Kern unseres Wesens innewohnt.
Wenn die großartige Liebe wie die Sonne ist, ist unsere Verletztheit wie eine Wolkendecke, die vorübergehend die Sonnenstrahlen blockiert. Glücklicherweise kann die uns angeborene Fähigkeit zu Wärme und Offenheit nicht zerstört werden, ebenso wenig wie der Sonne von den Wolken Schaden zugefügt werden kann. Deshalb erfordert die Heilung der Wunde des Herzens nicht, dass man etwas Kaputtes repariert. Ein verwundetes Herz zu besitzen ist wie sich verirrt zu haben – verirrt in den Wolken, die den Zugang zur Sonne, die immer scheint, zeitweise blockieren. Obwohl wir ein ganzes Leben lang in diesen Wolken verloren bleiben können, bedeutet das nicht, dass die Sonne selbst verloren gegangen oder beschädigt worden wäre. Das Heilen der Liebeswunde erfordert deshalb, dass wir uns der Sonne aussetzen, damit sie das tun kann, was sie von Natur aus will: über uns scheinen.
Die Liebe hereinlassen
Die meisten Religionen versuchen das Problem der menschlichen Lieblosigkeit dadurch zu lösen, dass sie uns ermahnen, großzügiger zu lieben. Der Weg dahin, geliebt zu werden, bestehe darin, zuerst zu lieben. „Demjenigen, der hat, wird gegeben werden.“ „Es ist besser zu geben als zu nehmen.“
Dieses Kernprinzip des spirituellen Lebens enthält sicherlich eine tiefgründige Wahrheit. Dennoch gibt es parallel dazu noch eine andere Wahrheit: Wir können nicht geben, was wir nicht nehmen können. So wie die Erde aufgrund ihrer Fähigkeit, (Licht von der Sonne und Regen vom Himmel) zu empfangen und aufzunehmen, Überfluss bietet, können wir Liebe im Überfluss nur geben, wenn wir sie annehmen, aufsaugen und uns von ihr nähren lassen können. Wenn wir uns innerlich nicht geliebt fühlen, wie können wir dann jemals wirklich lieben? Wenn uns unsere Verletztheit daran hindert, die Liebe einzulassen, wie viel haben wir dann zu geben?
„Lieben bedeutet Licht auszusenden“8, schreibt Rilke, während „geliebt zu werden bedeutet, in Flammen zu stehen.“ Wer kann sagen, dass in Flammen stehen weniger heilig sei, als Licht auszusenden. Und wie können wir reines Licht ausstrahlen, wenn wir nicht in Flammen stehen?
Der Schlüssel zum Lieben besteht also darin, durchlässiger für die Liebe zu werden, sie ganz in uns einzulassen, so dass sie von innen her aus uns leben und atmen kann. Selbst wenn wir glauben, dass Gott Liebe sei oder dass wir moralisch verpflichtet seien, unseren Nachbarn zu lieben, werden solche Glaubenssätze nur wenig Wirkung haben, solange unser Kanal im Innern verschlossen oder eingeengt ist und dadurch verhindert, dass große Liebe frei in uns ein- und durch uns hindurchfließen kann.
Es sind zahllose Bücher darüber geschrieben worden, wie man besser liebt. Dieses Buch ist anders, weil es Ihnen helfen wird, sich stattdessen auf Ihre Fähigkeit, Liebe anzunehmen, zu konzentrieren und darauf, wie Sie diese Fähigkeit entwickeln können.
Bei der menschlichen Liebe gibt es ein Geheimnis, das gewöhnlich übersehen wird: Sie zu empfangen ist viel Angst einflößender und bedrohlicher, als sie zu geben. Wie oft im Leben haben Sie die Liebe eines anderen nicht in sich einlassen können oder sogar weggestoßen? So sehr wir auch den Wunsch ausdrücken, wirklich geliebt zu werden, so sehr haben wir oft Angst davor und finden es deshalb schwierig, uns der Liebe zu öffnen oder sie ganz einzulassen.
Eine Art und Weise, wie Paare oft mit ihrer Angst, Liebe anzunehmen, umgehen, besteht darin, dass sie sich in zwei Pole aufteilen – ein Partner wird der Verfolger und der andere der Abstandsucher. Obwohl es so aussieht, als sei der Abstandsucher der, der Angst davor hat, die Liebe hereinzulassen, wählen in Wirklichkeit beide Seiten Kontrolle statt Empfänglichkeit. Die Verfolger behalten die Kontrolle, indem sie fordern, verführen oder jagen – was sie samt und sonders davor bewahrt, schmelzen und sich öffnen zu müssen. Sie haben oft Angst davor, annehmen und reagieren zu müssen – weshalb sie lieber jagen. Abstandsucher behalten die Kontrolle durch Zurückhaltung. Während sich beide Seiten über einander beklagen, tun sie in Wirklichkeit das Gleiche: Sie betreiben eine Strategie, mit der sie das Risiko vermeiden, sich ganz der Liebe zu öffnen.
Eine psycho-spirituelle Herangehensweise
Bei meiner Arbeit als Psychotherapeut