Vollkommene Liebe. John Welwood. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: John Welwood
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867812481
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all die Tragödien des menschlichen Lebens ergeben sich daraus.

      Wenn die Menschen nicht wissen, dass sie geliebt werden, bildet sich ein kaltes schwarzes Loch in der Psyche, wo sie anfangen, Glaubenssätze zu speichern, wie etwa dass sie bedeutungslos oder unwichtig und nicht schön und gut genug seien. Dieser eisige Ort der Angst führt zu terroristischen Anschlägen aller Art – nicht nur in der Form von explodierenden Bomben, sondern auch von emotionalen Angriffen, die sich in uns und in unseren Beziehungen abspielen.

      Äußerer Terror ist nur ein Symptom von innerem Terror. Wenn sich Menschen nicht geliebt oder schlecht behandelt fühlen, suchen sie nach jemandem, dem sie die Schuld geben können, jemanden, an dem sie ihre schlechten Gefühle auslassen können. Obwohl Krieg und Terrorismus gewöhnlich als politische Probleme betrachtet werden, ist es doch eine Tatsache, dass Menschen, in denen die Liebe frei fließt, keine Bomben werfen. Der Terrorismus ist wie der Krieg selbst ein Symptom für die Abgetrenntheit von der Liebe, die unsere Welt verseucht.

      Wenn wir diese Plage nicht dadurch ausmerzen können, dass wir die Stimmung von mangelnder Liebe heilen, die über Generationen hinweg weitergegeben worden ist, wird die Herrschaft von Furcht und Terror auf dieser Erde nie überwunden werden. Ein „Krieg gegen den Terrorismus“ ist ein Oxymoron, eine Unmöglichkeit, weil man Terror nicht durch Krieg eliminieren kann, sondern dadurch nur neuen Terror hervorruft. Nur in einer liebevollen Umgebung können wir uns jemals wirklich sicher vor Angriffen fühlen. „Wir müssen einander lieben oder sterben“4, schrieb W.H. Auden in einem Gedicht beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

      Mir ist klar, dass manche Leser es vielleicht als naiv und unrealistisch betrachten, Wahrheiten über die Liebe in Diskussionen über politische Themen wie Krieg und Terrorismus einzubringen. Natürlich erfordern Kriege, ethnische Konflikte und soziale Ungerechtigkeit politische Lösungen. Gleichzeitig zerschlagen sich politische Lösungen, denen es an echtem Interesse und Respekt für alle Parteien mangelt, am Ende doch und führen zu neuen Konflikten5.

      Führende religiöse und soziale Aktivisten haben oft die Neigung zum Krieg als ein Symptom der Entfremdung von der Liebe verstanden und die zentrale Rolle betont, die die Liebe bei der Lösung der Probleme auf der Welt spielen muss. Martin Luther King junior6 erkannte z.B. die Rolle, die Groll beim Entstehen von Kriegen spielt, und argumentierte, dass nur die Liebe diese Krankheit heilen könne: „Früher oder später werden alle Menschen auf der Welt einen Weg finden müssen, wie sie friedlich zusammenleben können… Wenn das erreicht werden soll, muss der Mensch für alle menschlichen Konflikte eine Methode entwickeln, bei der er Rache, Aggression und Vergeltung ablehnt. Die Grundlage einer solchen Methode ist die Liebe.“

      Das ist eine edle Ansicht. Wie kann die Menschheit aber wirklich ihre zwanghafte Neigung zur Gewalt und ihren Zynismus hinsichtlich der Liebe überwinden? In diesem Buch will ich darlegen, dass Krieg von dem Groll gegen andere kommt und dass dieser Groll seine Wurzeln in unserer Liebeswunde hat – für die wir andere schuldig erklären und es an ihnen auslassen. Dieses Buch beschreibt einen praktischen Weg, wie man dieses menschliche Kernproblem zutiefst verstehen und damit umgehen kann.

      Liebe und Groll

      Meine erste Reaktion auf die Terroranschläge von 2001 und das Kriegsfieber, das sie auslösten, war Wut und Entrüstung. Ich erkannte aber bald, dass meine Reaktion ein Teil des gleichen Problems war, das mir in der Welt generell Sorgen machte. Die Terroristen hatten ihren gerechtfertigten Groll gegen Amerika. Die amerikanische Regierung hatte ihren berechtigten Groll gegen die Terroristen. Und wie diese kriegsführenden Parteien hatte auch ich einen gerechtfertigten Groll – gegen eine Welt, die dem Krieg und der Rache anhing, und gegen Verbreiter von Hass auf allen Seiten. Trotz meines brennenden Wunsches nach einer friedlichen Welt legte auch ich mir den Kriegsmantel um, solange ich Terroristen und Kriegstreiber als eine Art Gegner betrachtete, denen zu grollen war. Als ich erkannte, dass meine Investition in den Groll das Gleiche war wie das, was allen Hass und alle Gewalt auf der Welt antreibt, katapultierte mich das in einen Prozess der Seelenerforschung und der inneren Entdeckung hinein.

      Mein Wunsch zu verstehen, wie sich das Gold der Liebe in Blei verwandelt, zwang mich, mir den Groll lange und genau anzuschauen. Als ich meine eigene Beteiligung am Groll und sein Wirken in meinen Beziehungen untersuchte, erkannte ich, dass etwas in mir große Befriedigung darin fand, ein Gegenüber – jemanden oder etwas gegen mich – aufzustellen und dieses Gegenüber dann ins Unrecht zu setzen, während ich mich selbst zur verletzten Partei machte, der das angemessene Urteil oblag. Ich muss zugeben, dass der Groll etwas an sich hatte, was wirklich ziemlich fesselnd war.

      Überall, wo wir hinsehen, finden wir Menschen, die die Geisteshaltung des Grolls pflegen. Unsere Ehen und Familien, Schulen und Arbeitsplätze sind alle zu Kampfplätzen geworden, wo die Menschen eine große Menge ihrer kostbaren Lebensenergie im Krieg gegeneinander verbrauchen, einander die Schuld zuweisen und miteinander abrechnen. Dann gibt es da noch die „Politik des Grolls“7, bei der politische Kampagnen die Menschen in ihrer Unzufriedenheit und Wut manipulieren, indem sie geeignete Sündenböcke zur Zielscheibe machen, um Stimmen zu gewinnen. Währenddessen sind auf der Weltbühne verschiedene religiöse und ethnische Gruppen in ständige gegenseitige Beschuldigung und Vergeltung verstrickt.

      Diese Tendenz, Gegner aufzustellen, gegen die man kämpfen kann, ist auch etwas, das in uns selbst abläuft. Vielleicht kämpfen Sie täglich gegen Ihre Arbeit und betrachten sie als ein schlingendes Monster, das Sie aufzufressen droht. Oder Sie kämpfen mit Ihren Aufgabenlisten, mit den verschiedenen Quellen von Druck in Ihrem Leben, dem Verkehr, dem Wetter, den schwierigen Gefühlen, die in Ihnen zirkulieren, oder sogar mit dem Leben selbst. Am schmerzhaftesten ist die innere Schlacht, die in Ihrem Geist und in Ihrem Körper tobt, wenn Sie sich selbst ins Unrecht setzen oder schlechtmachen – was einen enormen emotionalen Stress und Selbsthass verursacht. Manche Menschen stellen sich derart gegen sich selbst, dass sie schließlich das Monster töten, für das sie sich selbst halten.

      Warum unterliegen wir diesem Zwang, Gegner zu schaffen und Groll zu nähren, wenn es uns selbst und die Menschen um uns herum letzten Endes nur vernichtet? Als ich die verschiedenen Schichten meines Grolls gegen die Welt im Anschluss an die Terroranschläge genauer untersuchte, bemerkte ich das alte Gefühl, nicht zu dieser Welt dazuzugehören – ein Gefühl, das ich bis in meine Kindheit zurückverfolgen konnte. Ich hatte mich wie ein Außerirdischer gefühlt, als ich aufwuchs, weil die Erwachsenen in meiner Umgebung größeres Interesse daran zu haben schienen, mich für ihre eigenen Pläne zu benutzen, als herauszufinden, wer ich wohl sein mochte. Als Folge davon, dass ich meine Mutter beiseiteschieben musste, weil sie mich nicht ich selbst sein lassen konnte, hatte ich mich von der Liebe getrennt und war die ganzen frühen Jahrzehnte meines Lebens vor der Liebe auf der Hut geblieben.

      Als Folge davon hatte ich gelernt, meinen Intellekt, zumindest teilweise, als Mittel zu entwickeln, mich vom Schmerz dieser Getrenntheit von der Liebe abzuspalten. Aber viel tiefer als jedes Bedürfnis zu schreiben, etwas zu erreichen oder eine Spur auf der Welt zu hinterlassen, war da ein nicht zu leugnendes Verlangen, welches mich demütiger machte, wenn ich ihm in seiner nackten Einfachheit begegnete: An der Wurzel von allem, was ich tat, das musste ich zugeben, war mein größter Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden.

      Auf dem Grunde meines Grolls gegen eine verrückt gewordene Welt entdeckte ich das verletzliche Kind, das immer noch nicht wusste, dass die Liebe voll verfügbar oder wirklich verlässlich ist. Obwohl es augenscheinlich in meinem Leben viel Liebe gab und ich viele Jahre lang über intime Beziehungen geforscht und geschrieben hatte, entdeckte ich nichtsdestotrotz eine dunkle, versteckte Seite in mir, wo ich der Liebe nicht vollkommen vertraute. Und ich erkannte, dass der Groll hier seine Wurzeln schlug – an diesem Ort, wo ich gegen eine Welt stand, die nicht freundlich gesinnt zu sein schien. Hier stand ich in mir dem gleichen Groll von Angesicht zu Angesicht gegenüber, der die ganze Welt vergiftet und all die Schuldzuweisung und die Gegenbeschuldigungen hervorbringt, die am Ende zu Gewalt, Scheidung, Blutrache und Krieg führen. Das Erkennen dieses Zusammenhanges zwischen der Stimmung von mangelnder Liebe und der Stimmung des Grolls in mir selbst vermittelte mir ein tieferes Verständnis davon, warum die Liebe in zwischenmenschlichen Beziehungen ständig fehlschlägt.

      Da ich den Wunsch verspürte, dies noch mehr zu erforschen, beschloss