Im Grunde genommen sind die meisten Dinge, um die wir uns bemühen – wie Sicherheit, Erfolg, Reichtum, Status, Macht, Anerkennung, Bestätigung und Lob –, Mittel, mit denen wir versuchen, ein gähnendes Loch in uns zu füllen, ein Loch, das durch unsere Trennung von der Liebe entstanden ist. Als Mittel, mit denen wir diese Liebe indirekt zu gewinnen versuchen, nähren uns die Arten von Ersatzbefriedigung nicht wirklich, weil sie nicht das Eigentliche liefern. In diesem Sinne sind sie wie Junkfood. Ihr Unvermögen, uns wirklich zu nähren, verstärkt unseren inneren Hunger und treibt uns an, im Hamsterrad des Erfolgs nur noch schneller zu rennen, in der verzweifelten Hoffnung, eine Belohnung zu bekommen, die uns wirklich sättigen wird.
Wenn die Liebe jedoch von so zentraler Bedeutung für uns ist, warum fühlen wir uns dann so oft so getrennt von ihr? Alle großen spirituellen Traditionen haben sich mit der Frage beschäftigt, warum die Menschen einander so schlecht behandeln und die Welt sich in solch einem Chaos befindet. Sie haben verschiedene Erklärungen dafür gegeben, wie z.B. Unwissenheit, schlechtes Karma, die Erbsünde, Ichbezogenheit oder das Versäumnis, die Liebe als unsere ureigenste Natur zu erkennen. Was ist aber nun die Ursache dieses Leidens?
Die Wunde des Herzens
Wenn wir ehrlich nach innen schauen, stellen wir vielleicht eine gewisse Reserviertheit um unser Herz herum fest. Bei manchen Menschen ist dies eine dicke, undurchdringliche Barrikade. Bei anderen ist es ein dünneres, subtileres Schutzschild oder eine Verhärtung, zu der es nur unter bedrohlichen Umständen kommt. Und nichts löst dieses Gefühl der Bedrohung so stark aus wie der vorhin erwähnte Verdacht, dass wir nicht wirklich geliebt werden oder nicht akzeptabel sind, so wie wir sind. Die Betäubung oder das Verschließen des Herzens ist ein Versuch, den Schmerz hiervon abzuwehren.
Nicht zu wissen, dass wir einfach so geliebt werden können, wie wir sind, hindert uns daran, der Liebe selbst zu vertrauen, und das wiederum bewirkt, dass wir uns vom Leben abwenden und daran zweifeln, dass das Leben es gut mit uns meint. Wir sagen uns dann vielleicht, dass Liebe nicht wirklich erreichbar sei. Aber die tiefere Wahrheit ist die, dass wir ihr nicht ganz vertrauen und es uns deshalb schwerfällt, uns ihr gegenüber ganz zu öffnen oder sie ganz in uns einzulassen. Das trennt uns von unserem eigenen Herzen ab und verschlimmert unser Gefühl von der Knappheit der Liebe.
Diese Getrenntheit von der Liebe kommt meistens von dem Gefühl, in unserer Ursprungsfamilie nicht ganz angenommen oder akzeptiert zu sein – sei es aufgrund von Vernachlässigung, mangelndem Eingehen auf uns oder direkten Missbrauch. Da wir uns nicht sicher gehalten fühlen in den Armen der Liebe, fallen wir in die Klauen der Angst. Ungenügende Liebe und mangelhaftes Genährtwerden haben direkte Auswirkungen auf das Nervensystem des Kindes und führen zu einer Art von Schock oder Trauma, die uns das ganze Leben lang beeinträchtigt.
Manchmal geschieht die Verwundung oder die Trennung von der Liebe auf subtilere Weise. Manche Eltern scheinen liebevoll genug zu sein, aber sie schenken ihre Liebe insgeheim oder unbewusst auf beherrschende, manipulative Weise. Oder sie behandeln das Kind nicht wie jemand von ihnen Verschiedenen, wie ein separates Wesen in seinem eigenen Recht. Solche Kinder fühlen sich vielleicht wegen mancher Eigenschaften geliebt – aber nicht als der, der sie wirklich sind. In ihrem Bedürfnis, ihren Eltern Freude zu machen und um dazuzugehören, beginnen sie, die Liebe als etwas außerhalb von ihnen selbst Gelegenes zu sehen, das sie sich verdienen müssen, indem sie gewissen Standards genügen.
Kinder versuchen sich selbst von Natur aus, so gut sie es können, vor dem Schmerz von fehlender Liebe zu schützen. Sie lernen, sich von dem zu trennen und zu distanzieren, was ihnen Schmerz verursacht, indem sie sich verhärten oder verschließen. Der Fachbegriff hierfür ist Dissoziation.
Dissoziation ist die Weise, auf die unser Geist nein sagt und sich abwendet von unserem Schmerz, unserer Empfindsamkeit, unserem Bedürfnis nach Liebe, unserem Kummer und unserer Wut darüber, nicht genug davon zu bekommen, und auch von unserem Körper, in dem diese Gefühle leben. Dies ist eine der grundlegendsten und effektivsten aller Verteidigungsstrategien im Repertoire des Kindes. Sie hat aber auch einen wesentlichen Nachteil: Sie engt den Zugang zu zwei Hauptbereichen unseres Körpers ein oder versperrt ihn: zum Zentrum der Lebenskraft im Bauch3 – der Quelle der Energie des Begehrens, des Eros, der Lebenskraft und des instinktiven Wissens – und zum Herzzentrum – wo wir auf die Liebe reagieren und die Dinge am tiefsten fühlen. Indem wir nein sagen zum Schmerz mangelnder Liebe, blockieren wir die Wege, durch die die Liebe im Körper fließt, und berauben uns selbst genau desjenigen Nährstoffs, der unser ganzes Leben aufblühen lassen würde. Und so durchtrennen wir schließlich unsere Verbindung zum Leben selbst.
Das lässt uns in einem merkwürdigen, schmerzhaften Dilemma zurück. Auf der einen Seite hungern wir nach Liebe – daran können wir nichts ändern. Dennoch wehren wir sie gleichzeitig auch ab und weigern uns, uns ihr ganz zu öffnen, weil wir ihr nicht vertrauen.
Dieses ganze Verhaltensmuster – nicht zu wissen, dass wir geliebt werden, so wie wir sind, dann unser Herz zu betäuben, um diesen Schmerz abzuwehren, und dadurch die Wege zu versperren, durch die die Liebe in uns hinein- und durch uns hindurchfließen kann – ist die Wunde des Herzens. Obwohl diese Liebeswunde von der Konditionierung in der Kindheit stammt, wird sie mit der Zeit zu einem viel größeren spirituellen Problem – zu einer Loslösung von der liebevollen Offenheit, die unsere ureigenste Natur ist.
Diese universelle menschliche Wunde zeigt sich im Körper als Leere, Angst, Trauma oder Depression und in Beziehungen als die Stimmung von mangelnder Liebe mit der sie begleitenden Unsicherheit, der Reserviertheit, dem Misstrauen und dem Groll. Und alle Beziehungsprobleme folgen nach.
Die Liebe und die Wunde des Herzens scheinen immer Hand in Hand zu gehen, so wie Licht und Schatten. Gleichgültig wie sehr wir uns in jemanden verlieben, überwinden wir selten lange unsere Angst und unser Misstrauen. In der Tat aktiviert es den Schatten unserer Verletztheit um so mehr und bringt ihn um so mehr ans Licht, je mehr uns ein anderer Mensch entflammen lässt. Sobald es zu Konflikten, Missverständnissen und Enttäuschungen kommt, steigt eine gewisse Unsicherheit aus den dunklen Winkeln unseres Geistes auf und wispert: „Siehst du, du wirst doch nicht wirklich geliebt.“
Auf kollektiver Ebene führt diese tiefe Wunde in der menschlichen Psyche zu einer Welt, die von Kampf, Stress und Uneinigkeit zerrissen ist. Gemeinden und soziale Einrichtungen auf jeder Ebene – Ehen, Familien, Schulen, Kirchen, Unternehmen und Nationen auf dem ganzen Erdball – befinden sich nicht in Harmonie und sind in sich gespalten. Die größten Übel auf unserem Planeten – Krieg, Armut, wirtschaftliche Ungerechtigkeit, ökologische Schäden – stammen alle von unserer Unfähigkeit, einander zu vertrauen, Unterschiede zu respektieren, respektvolle Dialoge zu führen und zu gegenseitigem Verständnis zu gelangen.
So kommen alle Schönheit und aller Schrecken dieser Welt aus derselben Wurzel: dem Vorhandensein oder dem Fehlen von Liebe. Sich nicht geliebt zu fühlen und das dann zu verinnerlichen, ist die einzige Wunde, die es gibt. Es verkrüppelt uns und lässt uns zusammenschrumpfen und uns verhärten. Wenn man von einigen biochemischen Ungleichgewichten und neurologischen Störungen absieht, könnte das Diagnosehandbuch für psychische Leiden, das (in Amerika, Anmerkung der Übersetzerin) als DSM bekannt ist, gut mit dem folgenden Satz beginnen: „Hierin ist all das Elend beschrieben, wie sich Menschen fühlen und verhalten, wenn sie nicht wissen, dass sie geliebt werden.“ All unser Hass auf uns selbst und auf andere, all unsere Angst, unser Egoismus, unsere Kommunikationsprobleme und unsere sexuellen Unsicherheiten, all die Krankhaftigkeit, die Neurosen und Destruktivität auf der Welt und der gesamte Albtraum der Geschichte mit all seinem Blutvergießen und seiner Grausamkeit lassen sich auf einen einfachen