Mutterboden. Lotte Bromberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lotte Bromberg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783945611081
Скачать книгу

      »Das heißt, er hat Alika verschwiegen, daß er hier war?«

      Tanja nickte. »Und er verschwand von Berlin aus.«

      »Dann sollten wir mit den Kontakten seit seiner Ankunft anfangen. Hast Du die Telefondaten schon?«

      »Von seinem georgischen Handy noch nicht. Aber er hat das Hoteltelefon benutzt. Für ein Gespräch mit der georgischen Botschaft.«

      »Dann muß Focke sich um einen Termin beim Botschafter kümmern«, sagte Oskar.

      »Noch was«, sagte Tanja, »die Familie des Bodyguards …«

      »Der von dem zweiten Attentat? Mit dem gefüllten Konto?«

      »Sie hat Georgien inzwischen verlassen.«

      »Laß mich raten.«

      »Sie leben in Charlottenburg. Luftlinie fünfhundert Meter vom Stuttgarter Platz.«

      »Du mußt die Walnüsse aufspießen, so.«

      Alika saß mit Levi in der geschlossenen Apotheke und zeigte ihrem Sohn, wie er Tschurtschchela herstellen konnte. Ihre Blicke streiften durch den vor sich hin dösenden Raum mit den hochgestellten Stühlen. Kaum etwas wies noch auf die überstandene russische Invasion hin. Sie hatte die Russen nicht angezeigt. Kaukasisches Betriebsrisiko, das war eingepreist. Und es war ja dank der Hilfe und Treue ihrer Gäste fast alles wie zuvor. Einer ihrer kasachischen Spüler hatte einen Schneidezahn verloren. Und das Gemälde, gegen das der Angreifer die Wodkaflasche mit Igors Spülwasser geworfen hatte, war zerstört. Aber Alika hatte noch nicht die Kraft gefunden, es abzuhängen. Vielleicht schützte es auch ihr Lokal, als eine georgische Gedächtniskirche. Sie sah in die kleine Nische mit der Heiligen Barbara und lächelte. Sie hatte die wundervollsten Gäste der Welt.

      Levi hatte die Zunge seitlich herausgestreckt und gab sein Bestes, aber immer wieder brachen die Nüsse entzwei. Er schimpfte und versuchte es erneut. Alika sah auf seinen schwarzen Schopf, der sich konzentriert über die Arbeit beugte und hätte ihn vor Liebe zerquetschen können wie Levi die Nüsse.

      Alika liebte diese stillen Stunden mit ihm. Aber sie war abgelenkt. In die Sorge um ihren Vater mischte sich eine neue Stimme. Die Stimme von Jakob, dem sonderbaren Polizisten. Seit er dabeigesessen hatte, als sie den Kommissaren ihren verschwundenen Vater erklärte, ging ihr sein Gesicht nicht mehr aus dem Sinn. Die eindringlichen Augen, diese tiefe Entspanntheit, die Offenheit, die Fragen, die er nicht aussprach. War sie verliebt? Wenn ja, war das die ungewöhnlichste Verliebtheit, die ihr jemals widerfahren war.

      »Mama! »Levi war zornig. Er hielt ihr eine Reihe auf die Schnur gezogener Walnüsse entgegen und sie beachtete ihn nicht.

      »Wunderbar, mein Levi, das hast Du großartig gemacht.« Sie zog seinen Kopf zu sich und küßte ihn auf den Scheitel, er wand sich. »Dann kannst Du jetzt die Kuvertüre mit Igor machen.«

      Ihr Koch Igor kam aus der Küche. Er war damals Alikas erster Angestellter gewesen. War in der Apotheke aufgetaucht, weil er als gebürtiger Georgier von ihrer Küche gehört hatte und für sie kochen wollte. Alika hatte ihn an den Herd geschickt, ihm beim Kochen zugesehen und dann mit wachsender Begeisterung seine georgisch-berlinerischen Gerichte gegessen. Erst danach erfuhr sie seine Geschichte. Igor war ein auf Bewährung entlassener Totschläger. Und er war Koch. Der einen Gast seines Friedrichshainer Lokals erschlug, weil der ihm sein Essen vor die Füße warf und darauf spuckte.

      Alika stellte Igor ein und ließ ihn vorsichtshalber niemals zu ihren Gästen. Normalerweise, das Spülwasser in der Wodkaflasche war ein typischer Igor gewesen. Der Würgegriff danach leider auch. Aber solange sie acht gab, er auf sie hörte und niemanden erwürgte, war alles in Ordnung. Igor war Alikas rechte Hand und Levi wie ein Sohn für ihn.

      »Guck mal, Iggy«, Levi trug seine krumme Nußschnur wie einen Schatz in die Küche.

      Alika fragte sich, wie sie mit Levi hatte schwanger werden können. Sein Vater hatte sie zunächst mit seinem unbändigen Willen und seiner zur Schau gestellten Macht beeindruckt. Ihr war noch nie ein so männlicher und zugleich mächtiger Mann begegnet. Und er war ein beeindruckender Liebhaber.

      Sie war eine junge Kunststudentin und ahnte nicht, auf wen sie sich einließ. Als sie dann erfuhr, was für ein brutaler und skrupelloser Mann Jurij Iwanow war, empfand sie nur noch Verachtung für ihn und beendete sofort das Verhältnis.

      Selbstverständlich hatte sie verhütet, und verschwendete keinen Gedanken an eine Schwangerschaft, als nach der Beziehung ihre Regel ausblieb. Ohnehin hatte sie genug mit den Auswirkungen von Iwanows Wut zu tun, in dessen Weltbild keine Frau das Recht hatte, ihn zu verlassen. Er terrorisierte sie Tag und Nacht. Belagerte sie mit seinen Bodyguards, stand immer wieder unangemeldet vor der Wohnungstür ihrer WG und schlug schließlich zu, als sie ihm nicht nachgab.

      Als Alika dann plötzlich ein Bauch wuchs, war es zu spät für eine Abtreibung. Und Iwanow ging in seiner Egozentrik sofort davon aus, daß nur sein Kind in ihr entstehen konnte. Immerhin bedrohte er sie nun nicht mehr, sondern achtete darauf, daß sein Kind keinen Schaden nahm.

      Levi boxte sich auf die Erde. Und Alika war ihrem wundervollen Sohn unendlich dankbar dafür. Nichts an ihm erinnerte an seinen eiskalten und kriminellen Vater. Umsomehr dagegen an den kraftvollen Großvater.

      Guram war damals zu Levis Geburt gekommen. Zwei Tage danach, aber immerhin. Wenn er überhaupt kam, dann zu spät. Zu Alikas Abitur, dem UdK-Abschluß, der Restauranteröffnung. Immer war die Weltenrettung wichtiger gewesen, immer eine Krise dramatischer, ein Krieg drohender. Immer hatte Alika sich hinten angestellt. Hinter Georgien, diesen unbesiegbaren Gegner.

      Guram war Levi sofort verfallen. Er bestand darauf, das rotgesichtige, dralle und laut plärrende Bündel sähe genauso wunderschön aus wie seine Mutter Alika nach ihrer eigenen Geburt. Aber Guram hatte Sorge, auch Levi könnte aufhören zu gedeihen, blieb und hielt seinen Enkel, so fest er konnte.

      Zum ersten Mal seit der Flucht hatte Alika wieder einen Vater. Sie sprachen viel in dieser Zeit, über ihr verstrichenes und getrennt verbrachtes Leben. Sprachen über die Lawine, die Alika im Alter von sieben Jahren in den Bergen mitgerissen hatte. Ihr Vater hatte seine Erstgeborene mit bloßen Händen aus dem Schnee gegraben. Sie mit dem eigenen Atem wiederbelebt, an seiner Brust geborgen, atemlos in die Klinik gebracht und, als er erfuhr, daß Alika ein zweites Leben geschenkt worden war, erlitt er auf dem Flur der Kinderstation seinen ersten Herzanfall.

      Alikas Eltern hatten sich sehr geliebt, und sie liebten ihre aus dem Eis Wiedergeborene. Aber ihr Vater war, nachdem er die Lawine besiegt hatte, nicht mehr der Gleiche, nicht mehr der starke, durch nichts zu erschütternde Mann. Die Lawine hatte ihm die angeborene Zuversicht genommen, daß nichts Schlimmes geschehen könne, wenn er nur aufrecht und geduldig sein Ziel verfolgte und kämpfte. Das Schicksal hatte ihm gezeigt, wie verletzlich, wie gefährdet ein Mensch ist, der liebt. Die Narbe auf ihrer Stirn erinnerte Alika immer daran. Das Eis hatte ihr Gesicht und ihr Leben geteilt, ein Leben genommen und ein zweites geschenkt. Ihres und das ihres Vaters.

      Levi war drei Wochen alt, als Guram unruhig wurde. Über Alika klagte, mit ihr über Igor, den vorbestraften Koch, stritt, über Levis Vater, den brutalen und rücksichtslosen Russen, das Restaurant mit den Tischen aus alten Türen und den unübersichtlich bunten Gästen. Und über ihre zweite Heimat Berlin, diese krause Stadt, die Stadt ohne Berge, ohne georgischen Mutterboden, ohne eine ihm verständliche Seele.

      Sie war froh, als er schließlich aufbrach. Immer war sie froh, wenn er verschwand, ihr seit der Lawine ängstlicher und getriebener Vater.

      Aber nicht dieses Mal. Hagedorn, der sonderbare Polizist mußte ihn suchen. Er würde ihn finden, nur er. Da war ein Band zwischen ihnen. Sie kannten sich, gehörten zusammen, als wäre er ein Kaukasier. Vielleicht war er Jude wie ihre Mutter.

      Igor und Levi kamen aus der Küche, Levis Gesicht war mit Schokolade verschmiert, er grinste. Alika breitete die Arme aus. »Was hast Du ihm gegeben, Igor? Er wird noch kugelrund werden.« Sie wischte ihrem Sohn die Schokolade von den Wangen.

      »Hungrig soll er nicht losgehen«, sagte Igor, »wer weiß, was