»Von Geldwäsche verstehen die was«, sagte Oskar.
Tanja strafte ihn mit Blicken. »Fragst Du sie bitte, Rusudan, ob sie Kontakt zu Guram Geladse hatte?«
Die Mutter schüttelte heftig den Kopf. Ein Wortschwall ergoß sich über Tanja.
»Sie wollte diesem Mann, für den mein Vater starb, niemals begegnen.« Rusudan sah Tanja an. »Und auch sonst niemand aus unserer Familie.«
Die Mutter schlug wieder die Hände vor das Gesicht und weinte schluchzend.
Ihre Tochter stand auf und sah Tanja an. »Wir haben niemandem etwas getan«, sagte sie. »Mein Stipendium gibt uns ein besseres Leben.« Sie sah zum Flügel. »Meine Musik hat uns hierher geführt.« Ihr Blick wanderte zu ihrer Mutter und zu Tanja zurück. »Die Welt, aus der wir kommen, ist sehr arm.« Sie streckte den Rücken, hob das Kinn und sah Oskar an. »Wir werden alles tun, bleiben zu dürfen.«
»Wo soll ich bloß anfangen?« Hanna ließ den Lappen sinken und starrte seufzend auf den Berg von angelaufenem Silber. Sie saßen am Eßtisch in Hannas Wohnung. Ihre Mitbewohnerin Grete hatte einen Grundputz ausgerufen, Hanna polierte das Besteck. Die Alte stand am Bügelbrett und spuckte auf die Unterseite eines Vorkriegsbügeleisens. Auf einer Leiter vor dem Fenster saß der Hauswart Gregor und wartete auf den nächsten Vorhang. Gretes Spucke zischte, sie nickte zufrieden, versprühte mit dem Zerstäuber Wassernebel und senkte das Bügeleisen. »Am besten vorne«, sagte sie.
Grete war, nachdem Hannas Mutter verschwunden und ihre Schwestern in die eigenen Leben zurückgekehrt waren, an den Rüdesheimer Platz in die nun vor Leere traurige Wohnung gezogen. Hanna war gerade im zweiten Semester ihres Medizinstudiums gewesen, nicht einmal neunzehn Jahre alt und brauchte Halt. Und für Halt war Grete zuständig. Sie hatte ihr Berufsleben als Lehrerin damit verbracht, in Kreuzberger Kinderhirnen für Ordnung zu sorgen und sie für ihre Heimatstadt Berlin zu öffnen. Es war ihr oft geglückt und ihre Schüler hatten sie geliebt. Noch Jahre nach der Pensionierung wurde sie eingeladen zu Tankstellenpächtern, Versicherungsmaklerinnen, Friseurinnen und Automechanikern, und auf türkischen, bosnischen, kroatischen und urdeutschen Hochzeiten mit Köstlichkeiten abgefüllt. Grete hatte dankbare und hilfsbereite ehemalige Schüler für alle Lebenslagen und in sämtlichen Berliner Berufszweigen.
»Beschreib mir, wie Deine Mutter war«, sagte Jakob.
»Wie sie ist«, korrigierte Hanna.
Es war ein Minenfeld, Hanna nach ihrer verschwundenen Mutter zu fragen. Aber Jakob hatte versprochen, sie zu suchen. Erst hatte er sich in seinem Sterbezimmer zurechtfinden müssen, aber jetzt war es an der Zeit, diesen Liebesdienst anzugehen. Und der Außentermin in dem georgischen Restaurant änderte an seinem Vorhaben gar nichts. Er war offiziell nicht an dem Fall Guram Geladse beteiligt, der gehörte Oskar und Tanja. Jakob dagegen war immer noch in der Wiedereingliederung und vier Tage die Woche Insasse des Archivs, Außenstelle Kellerende. Und jetzt würde er Tilla finden. Er war sich nur nicht sicher, ob das für seine Hanna gut war.
»Ich meine damit nicht, daß sie tot ist«, sagte er sanft. »Um sie suchen zu können, muß ich sie verstehen. Und das geht am besten, wenn Du in Deiner Kindheit anfängst. Wie war sie?«
Hanna lächelte. »Meine Mutter ist eine stolze, lebendige und sehr große Frau. Sie war Professorin an der FU und hat ganz allein sechs Mädchen großgezogen.«
»Also hat sie viel Energie?«
»Mehr als irgendjemand sonst.« Hanna polierte einen Löffel. »Ich weiß gar nicht, wie sie das alles geschafft hat. Wir Mädchen waren ein Hühnerhaufen. Alles war chaotisch, aber es war auch voller Leben und Liebe.«
»Ihre Kraft kommt aus Ostpreußen«, sagte Grete.
Jakob sah sie fragend an.
»Sie ist tief verwurzelt, das hat sie stark gemacht. Ostpreußen ist eine sehr mächtige Heimat«, sagte Grete. »Durch diese Herkunft wurde sie, wer sie ist. Nur wer seinen Mutterboden kennt, die Scholle, aus der er erwachsen ist, kann frei leben.«
Für Hanna waren ihre Mutter und die fünf älteren Schwestern dieser Mutterboden. Bevor sie Berlin als ihre ruppige und pralle Heimat eroberte, hielt die kleine Hanna die Welt für einen Frauenort. Überall Mädchenstimmen, alles plapperte, lachte, schrie, tanzte, sang, raufte miteinander, floh voreinander. Immer kochte irgendjemand, las den anderen etwas vor, schminkte eine Schwester, lackierte deren Nägel. Und über all dem thronte Tilla, machtvoll und stark, die wundervollste Mutter von ganz Berlin. Groß gewachsen und mager, mit lachenden blauen Augen und hohen Wangenknochen. Einer viel zu langen Nase und blondem, von der Sonne ausgebleichtem Haar. So wild, daß sie es immerzu mit Gummis bändigte. Bis sie es eines Tages kurz schnitt und springen ließ, wohin es wollte.
Tilla knisterte vor Lebensfreude und Tatkraft. Sie schien zwölf Hände zu haben, die in Töpfen rührten, über Köpfe strichen, Haare kämmten, Kinder fütterten. Sie blies auf gefüllte Kochlöffel und korrigierte nebenher Vokabeln. Ertrug die ihre dreibeinige Streifenmaus in der Küche spazieren führende Kleine genauso wie die pubertierenden Großen, die ihre Mutter abwechselnd wegstießen oder an ihrer Brust über böse Jungs schluchzten.
Im Flur hingen sechs Pinnwände mit den Terminen der Mädchen, darunter sechs Paar Schuhe wie Orgelpfeifen, dazwischen sechs Jacken an Haken. Sechs Stullenpakete, sechs Äpfel jeden Tag. Sechs Ranzen, sechs Mützen, zwölf Handschuhe.
»Sie war der Mittelpunkt einer Hummelhorde«, sagte Hanna. »Und außerdem noch Botanikprofessorin.«
»Und Euer Vater? Ist er gestorben?«
Grete brachte Hauswart Gregor den nächsten Vorhang und verschwand mit ihrem Bügeleisen in der Küche, um es im Backofen wieder aufzuwärmen.
»Jede von uns hat ihren eigenen Vater. Meine Mutter war eine gewollte Alleinerziehende.«
»Mochte sie keine Männer?«
Grete schlurfte wieder ins Eßzimmer. »Sie war scharf wie ein Rasiermesser.« Sie ließ sich auf einen Stuhl gegenüber Hanna fallen und zog eine Eieruhr auf. »Nur, damit das hier nicht zu idyllisch wird.«
»Willst Du weitererzählen?« Hannas Augenbrauen zogen zu.
Minenfeld dachte Jakob, als er von einer Frau zur anderen sah. Ein eingespieltes Team.
»Wenn Jakob sie richtig kennenlernen will, wäre das vielleicht besser.«
»Du hast sie immer beneidet.«
Kopf einziehen, Jakob.
»Geliebt habe ich sie«, sagte Grete, »wie sich das gehört als beste Freundin. Was mich aber nicht so blind für ihre Fehler gemacht hat wie ihr Nesthäkchen.« Sie strich Hanna über die Hand. »Tilla hat Männer begehrt. Aber als Familienmitglieder, gar als Haushaltsvorstand, hat sie nichts von ihnen gehalten.«
Krachend schoß der Vorhang von der Stange. »ʼtschuldigung«, sagte Gregor.
»Du bist natürlich die Ausnahme von der Regel«, sagte Grete lachend. »Gregor ist unser Mann für alles. Wenn Tilla ihn gekannt hätte, hätte sie ihn sofort geheiratet.«
Gregor war für einen Hauswart ein auffallend zarter Mann. Mit breiten Schultern allerdings und ausgearbeiteten Händen, die jetzt den Vorhang zurück auf die Stange schoben. Jakob dachte an seine Sterbezimmerschreibtischmuskulatur und gelobte Hanteltraining. Spätestens ab nächstem Monat. »Hat Tilla schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht?«, fragte er.
»Sie war Kriegskind«, sagte Grete. »Ihre Mutter verstand sich als Künstlerin, war völlig unpraktisch veranlagt, und ihr Vater war nie da, wenn sie ihn gebraucht hat. Das Gut in Ostpreußen mußte Tilla als Heranwachsende im Krieg zusammen mit einem Verwalter führen.«
»Ihr Vater war Soldat?«
»Ihre älteren Brüder. Papa hat sich um den Familienbesitz in Übersee gekümmert. Bis der Adolfspuk