Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726885743
Скачать книгу
kommt, fällt der Schein weg und gilt kein Name.«

      Kapitän Langsdorf hat weiter erkannt, daß alles zwecklos gewesen war von Anfang her, sein Amt und Dienst, das feindselige, heimliche Schweifen in Weiten und Gebreiten, wo er nur den Wehrlosen begegnen durfte, um sie zu vernichten. »Wofür? für wen? Mein Land kann mir nichts danken, jeder meiner Dienste hat nur seine Lage verschlechtert. Dies Deutschland kommt zu spät, mit allem was jetzt los ist, um Hunderte von Jahren zu spät, und handelt daher falsch, und nicht ehrbar, sondern verhaßt. Seekrieg – wir, und jetzt, und auf unsere Art! Wer war ich? Nicht einmal ein Korsar. Es ist an dem, ich fahre aus, aber Tote will ich nicht mehr, außer einem vielleicht. Der Mensch in Berlin hat nicht nötig gehabt, mir groß zu befehlen, wer der sein soll. Mich internieren sie hier nicht. Die draußen auf mich warten, die Ritterlichen, die von meinesgleichen die Meere säubern und den Dank der Welt haben, weil sie die Angenehmen sind, und nicht sind wie ich, – die kriegen mich auch nicht. Die sollen diesmal nichts zu tun bekommen. Was übrig ist, kann ich allein.«

      Auch die verlängerte Frist lief ab, sie wurde nicht nochmals erneuert. Neun einheimische Arbeiter flickten an dem großen Schiff, das weder fahren noch kämpfen konnte. Langsdorf setzt der Behörde auseinander, die Küche sei nicht fertig, – ein ironisches Schriftstück, so breit wie möglich, damit sie lesen sollten und die Zeit verginge. Zur Not wäre er über die Bucht bis Buenos Aires gelangt. Ein Aufschub; aber an diesem 17. Dezember war ihm danach nicht zumute. Ihn verlangte es, abzuschließen.

      Um 11 Uhr abends verließ der Kreuzer »Admiral Graf Spee« den Hafen von Montevideo. Fünf Seemeilen entfernt, versenkte er sich selbst, vor den Augen des überlegenen Feindes, der zusehen mußte, und von zweihundertfünfzigtausend Gaffern, die auf eine große Seeschlacht gehofft hatten. Da war es vier Uhr früh, die Sonne ging auf. Die Verwundeten waren vorher ausgeschifft. Tausend von der deutschen Mannschaft gingen an Bord eines deutschen Frachtdampfers, sind dann interniert worden, wie auch das Handelsschiff. An der Sprengung des Kreuzers beteiligten sich Freiwillige. Auf Deck waren alle Offiziere und der Kommandant. Als die Lunte schwelte, haben sie das letzte Boot bestiegen. Niemand ist umgekommen, bei der Versenkung niemand. Argentinier haben sie abgeholt. Die Matrosen sagten: »Für uns ist der Krieg aus«. Der Kommandant erklärte sich befriedigt.

      Die Sache scheint unblutig verlaufen, wenn das genug ist, um sich befriedigt zu finden. Das Ende war dann doch die Internierung samt und sonders, für die Dauer des Krieges, – ganz entgegen der Propagandaehre. Die Propagandaehre verbot indessen noch dringender einen großartigen Sieg der Gegner, eine zum Voraus verlorene Seeschlacht und das Schaustück, wie so viele deutsche Seeleute sterben. Wofür denn auch, und für wen! Der Kommandant hatte vor der Versenkung einen Auftritt mit den Offizieren, die kämpfen und fallen wollten. Dagegen hat er die Mannschaft befragt. Ein Glück, daß sie nein sagte. Sie war seit Monaten auf der Fahrt ins Ungewisse. Täglicher Alarm, kaum noch Nahrung, aber mit drei britischen Schiffen hatten sie und ihr Kommandant es aufgenommen. Sie hatten genug getan, oder ihre Nerven genug gelitten.

      Die erste Meldung war, Kapitän Langsdorf habe Selbstmord verübt. Vorgehabt hat er mehr oder weniger die Schlacht, die Explosion, den Selbstmord und das Entkommen mit heiler Haut. Er hat es darauf ankommen lassen. Ein Deutscher, dem Hitler die Entscheidung und Verantwortung zuschiebt, was er tun will, schuldet seinem Hitler alles andere, nur nicht den festen, inneren Befehl, nur das Gewissen nicht. Die sind von Hitler verdorben, da gähnt die Lücke in diesen Deutschen. Das Ende des »Graf Spee« wird unrühmlich genannt. Man erinnert daran, der Admiral, dessen Namen der Kreuzer trug, habe zu seiner Zeit wirklich gekämpft und den Untergang nicht überlebt. Damals aber scheinen die handelnden Personen sich mühelos selbst bewertet zu haben, wofür sie lebten und wann sie besser starben. Ihre sittliche Welt stand sicher.

      Jetzt zeigen sich merkwürdige Zweifel hinsichtlich des Lebens und Sterbens. Dieser Krieg enthüllt. Er enthüllt allerseits, – wenn auch die deutsche Tragödie der Gewissen die anschaulichste ist. Halte doch einer auf verlorenem Posten, wie der Kreuzer »Admiral Graf Spee«. Ich habe mit ihm gefühlt und sein Abenteuer, eine Einzelheit schließlich, dennoch der Hervorhebung höchst würdig befunden. Besonders aber den Nachtrag drei Tage darauf. Kapitän Langsdorf hat sich erschossen. Er hinterläßt die Mitteilung, daß es schon an Bord seine Absicht gewesen ist. Der Tote spricht die Wahrheit. An Bord, während der fünf Stunden vor der Sprengung und wohl noch als die Lunte schwelte, hat er vieles vorgehabt. Zuletzt wurde es der Selbstmord, die Kugel in die rechte Schläfe, des Nachts in dem trostlosen Zimmer des »Einwandererhotels«, Buenos Aires.

      Am Abend hatte er dort selbst noch einmal seine Leute gesehen, erteilte ihnen Weisungen, die schon posthum waren. Dann Gott befohlen, da von allen Menschen nichts zu hoffen bleibt. Deutschland hat ihn aufgegeben, der Führer horcht. In seinem Schloß auf dem Obersalzberg allein mit seiner geliebten Person, horcht der Führer auf den Schuß. Daß er nur trifft und ihm die Ehre erweist! »Dem Manne kann geholfen werden.« Die Flagge, es ist die alte schwarzweißrote, liegt über den Boden gebreitet, damit sie dieses Blut trinkt.

      Am 17. machte Langsdorf sich über Hitler und sein Deutschland die Gedanken, die hier aufgezeichnet stehen. Je einfacher der Seemann war, um so eher ist ihm der Sinn geöffnet worden. Er hat begriffen: Was ihm zum Abschluß seiner Wirrnisse auch immer zu tun blieb, den hochgeehrten Seemannstod erreichte er nie mehr. Hochgeehrt ist ein Admiral Graf von Spee, der kämpfte und in die See versank. Der Kerl dort drüben hätte auch ihn zum Selbstmord verurteilt – dachte der Verurteilte bei einbrechender Nacht.

      Er hatte die letzten Menschen gesehen, das »Einwandererhotel« wurde still. Er nahm die Waffe, er bat Weib und Kind um Verzeihung für ein solches Ende. »Glaubt meinetwegen, daß ich die Ehre der Flotte rette, weil einer darauf lauert! Die Zeitungen heute abend konnten es auch nicht erwarten. Geduld! Selbstmörder wird es bei uns billig geben. Vivant sequentes!« Und den Revolver angesetzt: »Folgt mir nicht nach! Bleibt leben!«

      England, wunderbar und einfach

      Das heißt scheinbar eine taktische Maßnahme wie jede andere: das europäische Gleichgewicht fallenzulassen. Indessen war es die Existenz Großbritanniens als einer Friedensmacht: der einzigen Friedensmacht. Der europäische Friede, insofern er bestanden hat, war eine Pax britannica. Die britische Macht war herangewachsen, bis eine Welt sie als Wohltat empfand: zum wenigsten das Viertel der Erde, das dem Commonwealth angehört. Man sei vorerst selbst überzeugt, daß man der Welt eine Wohltat ist, eher als ein Abscheu. Umgekehrt käme man nicht weit.

      England hat, um das Gleichgewicht zu wahren, Ungerechtigkeiten begangen, die letzte zwischen den beiden Kriegen, zum Schaden Frankreichs, aber Deutschland sollte die Vorteile des britischen Friedens erkennen. Umsonst, Deutschland bleibt unzugänglich. In dem Maße, wie es ihm nachsichtig erlaubt wird, drängt es in die Stellung Englands – nicht, um der Welt eine Wohltat, sondern um ihr Abscheu zu sein, dies starr und dünkelhaft, als ob es das Höhere entdeckt hätte.

      Hier läßt England das Gleichgewicht fallen; oh! nicht unvermittelt, es ist schwer, aus einer schon ausgereiften Friedensmacht noch einmal das kriegerische Land zu werden. Gleichwohl ist seither beschlossen, daß der Friede, wenn er eintritt, nicht mehr durch Überredung erhalten werden soll. Er wird auf Macht beruhen. Keine gleichberechtigten Gruppen verhandeln. Nur die eine hat das Recht gerüstet zu sein, sie allein verfügt über einen Willen und über die Mittel, ihn durchzusetzen. Sie diktiert, aber wehe dem, der diesmal über Diktate weint.

      (Was alles dazwischenkommen kann, bleibt hier beiseite. Auf die Dauer verlangt der Friede das Einverständnis aller Teile, aber es ist auf keinem der jetzt gangbaren – oder denkbaren – Wege zu erreichen. Der Vorwand, Krieg zu führen, war diesmal der Faschismus. Es sieht nicht aus, als sollte er verschwinden. Seine Niederlage angenommen, übt er vielleicht auf einen Teil der Sieger die Anziehung, vor der ein Unterlegener sich hüten würde. »Kriege wird es immer geben«, sagt Stalin. Traurig genug. Noch trauriger, daß die Vorwände so schlecht und mehrmals dieselben sein dürfen.)

      In Rede steht das Britannien, das für die Dauer des Krieges, wie Gott es nachher auch füge, sein Schicksal selbst verantwortet, bis an die Grenze, wo die Bestimmung über unsere Kraft geht. Britannien läßt das Gleichgewicht fallen. Es wählt seine Verbündeten für seinen künftigen Frieden der – gerechten