Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726885743
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man schrieb 1895; da sahen wir über Piazza di Spagna in Rom einen Herrn kommen. Es war ein Herr, neben ihm wurde jeder Beliebige weniger als das. Hierüber verständigten wir uns sogleich; wir hatten den wahrhaft herrschaftlichen Typ erblickt. Unverkennbar war er ein Brite.

      Im heimischen Deutschland war uns seinesgleichen nicht vorgekommen, existierte übrigens nicht. Um dieselbe Zeit, dies habe ich nie vergessen, trugen ein deutscher Gelehrter und meine Wenigkeit unsere Namen in das Fremdenbuch des Gasthauses von Tivoli ein. Unseren Beruf gaben wir mit »Globe trotters« an. Tags darauf fanden wir gleich darunter geschrieben: »Graf und Gräfin Sowieso, globe riders.« Sie betonen ihren Vorrang, weil sie nicht immer auf ihren Füßen tippelten, sondern zu Hause ihre Ackergäule ritten. Trotzdem hatte der Mann einen Bauch, die Frau keine Figur.

      Unnütz, den Herrn zu beschreiben. Hakennasen, aufgeschossene Gestalten ohne Fett kann man haben. Niemand, außer unserem Lord, der auch ein Kaufmann aus Birmingham sein durfte, besaß in Haltung, Gang und Mienen diese einfache Selbstgewißheit. Ungewollt ist sie da; ein Eigenlob wie »globe riders« widerspräche ihr. So frei von Neugier war nur das eine Gesicht: es verglich nicht. Es ließ das andere – das andere sein. Sich an Menschen und Dingen messen, lag keineswegs im Sinn des Herrn.

      Das alte römische Weltreich, über dessen Mittelpunkt er zur selben Stunde schritt, war aus seinen Gedanken abwesend. Nicht, daß er es verachtet hätte; Verachtung ist eine Abart von Interesse. Ihn ging es nichts an. Die selbstverständliche Tatsache des britischen Imperiums deckte alles Gewesene zu. (In Wahrheit ist es kleiner als das römische, die ganze bekannte Welt nimmt es nicht ein. Die Pax Romana hat zweihundert Jahre nach dem praktischen Ende Roms noch immer vorgehalten. Die Pax Britannica ist schon jetzt in hohem Grade der Revision bedürftig.)

      Das alte Weltreich, wenn er es dem seinen angenähert hätte, führte allerdings, einmal etabliert, dieselben Kriege mit kleinem Aufgebot: Kolonialkriege, die seinen Mittelpunkt nie berührten. Sein Prestige behauptete es weniger mit angewendeter Gewalt, als durch die kluge Suggestion, sie sei zum Gebrauch bereit.

      Der Herr, kann ich mich entsinnen, lächelte. Es war Ironie, oder weniger als das: eine Viertelsironie, die keinen bewußten Hochmut wiedergab. Nur ein Zustand und ein Sachverhalt verzog den Mund. So bewegte sich, ohne Aufsehen zu suchen, unter dem Gewühl der mittleren Zeitgenossen, an einer mehr oder weniger schätzbaren Örtlichkeit – der Herr.

      Es ist schon lange her, das freut uns um so mehr, wurde in einer vergessenen Oper gesungen. Zuletzt frommt es nicht, von den Taten seiner Ahnen die ewig stabilen Einnahmen zu haben. Das viktorianische Antlitz über Gebühr festzuhalten ist für niemand gut. Mächtig und nahezu unbestritten, da hinkt etwas. Ein Herr, aber leidenschaftslos, aber korrekt, setzt die Natur ins Unrecht.

      Die Briten dieses Krieges und Zeitalters sind unermeßlich größer als ihre nächsten Vorgänger, – die nicht übermütig geworden waren. Gearbeitet haben sie wie jeder, die viel berufenen Rohstoffe bekamen auch sie nicht umsonst. Ihr Ruhm, soviel ist richtig, war ein Nachleuchten.

      Die letzte wirkliche Gefahr Britanniens war Napoleon gewesen. Seit seinem Scheitern bei Trafalgar und Waterloo hat England immer zugenommen an Glanz, ohne daß seine Mühen wuchsen. Die anderen waren verhindert, durch eigene Schuld gewiß. England kassierte Erfolge für ganz Europa, zweifellos verdiente Erfolge.

      Sein Glanz erlaubte der Insel zeitweilig eine »glanzvolle Scheidung« vom Kontinent. Splendid isolation – kommt fortan nicht wieder. Sondern Abhängigkeit ist verordnet. Sondern Verantwortung ist auferlegt. Aus Europa etwas machen, heißt der Auftrag. Auf alle Fälle etwas aus ihm machen, – besser wird es schon werden, als was der gegenwärtige Inhaber des Kontinentes mit ihm beginnt und vorhat.

      Der Unglückliche siegt, wo immer es ihm glückt, ins Leere hinein: früher in Rußland seine Sommerschläge, denen der winterliche Rückschlag zu folgen pflegte. Jetzt klammert er sich, ohne Überzeugung, an das letzte Stück russischen Bodens. Wenn er trotzdem recht behielte? Wenn die Sowjetunion, sehr begreiflicherweise, es satt bekäme, sogar außerhalb der eigenen Grenzen ihre Menschen hinzuopfern? Gesetzt, die Invasion des Kontinents durch ihre westlichen Verbündeten wäre von ihr chimärisch befunden – oder nur zu langsam! Aber das ist vorbei.

      Die britische Zähigkeit muß auf der Höhe der russischen Geduld sein, – was sonst gewonnen würde, ist kein Friede; nur die Verzweiflung einer versklavten Welt, ihr chronischer Sklavenaufstand, ein Krieg ohne Ende, der nicht mehr den Namen verdient, eine Abdankung Europas, die keine ist, sondern mit Unheil schwanger geht.

      Dem Weltteil die Freiheit retten, heißt das Gesetz Britanniens, ein höheres war ihr nie gegeben. Sich selbst behaupten mit dem Zusatz, daß es auch Europa behauptet, das würde viel Stolz rechtfertigen, mehr Stolz als der Herr von 1895 besaß. Es bedingt ebensoviel Bescheidenheit.

      Bescheiden wird man durch Erkenntnisse, – die Vorgänger besaßen sie noch nicht. Eine tiefe Bekanntschaft ist nötig, mit unserer Fragwürdigkeit, unserer Gebrechlichkeit. Dieser Krieg hatte kürzlich eingesetzt, als das Schlachtschiff »Hood« versenkt wurde. Der Untergang des »Hood« fiel, der eindringlichen Mahnung wegen, auf den hundertzwanzigsten Jahrestag der Königin Viktoria.

      Ihr Zeitalter, das viktorianische, bleibt das berühmte, seit 2000 Jahren einmalige Beispiel, wie ein Weltreich, kaum bestritten, wächst, gedeiht, friedlich gedeiht, dies trotz Kriegen. Für einen Teil des Weltreiches, der es gerade erst werden sollte, war Krieg, ein anderer hatte ihn hinter sich, – niemals Großbritannien selbst. Von seinen fernen Feldzügen unberührt, ihrer meistens kaum anders bewußt als eines sportlichen Ereignisses, das sich anderswo begibt, aber Lloyd nimmt Wetten an: so herrschte das England der Königin. Das war das Gesicht seiner herrschenden Klasse.

      Der Herr von 1944

      Seit er der Regierung Seiner Majestät vorsteht, veröffentlichte der Schriftsteller Winston Churchill ein Buch, das von Blut, Schweiß und Tränen handelt. Was er tut, ist ebenso schmerzensreich. Der Minister hat dem Parlament, während es alle seine Rechte wahrnimmt, ganz offen erklärt, zu erwarten habe es nur Blut, Schweiß und Tränen. Auch Disraeli-Beaconsfield sprach seinerzeit zu dem Unterhaus im Stil seiner Romane, er selbst ihre Hauptfigur.

      Der Landoffizier und Seemann Churchill hat dem Frieden nie getraut. Als andere davon absahen, war ihm bekannt, daß England der Neuheiten viele werde erleben müssen, sich neu bedenken, kämpfen auf unerhörte Arten und für gründlich andere Ziele als je vorher. Der Abenteurer Churchill wurde allgemein zu kriegerisch befunden. Im vorigen Krieg hatte er ein Amt versehen. Zwischen den Kriegen, als der zweite noch vermeidbar war, aber einzig mit der brutalen Bereitschaft ihn zu wagen, – kam kein Churchill daran.

      Er wurde gerufen, als die Not ausbrach. Die hohe Tragödie gab endlich dem Edelmann Churchill seine vornehme Rolle. Sie bleibt die seine bis in Untergang oder Sieg, für ihren tragischen Stil ist jedenfalls gesorgt. Ob er über die Bösewichte der Welt (ihre billigen Bösewichte) triumphiert, oder in den verschiedenen Zonen der Erde seinen Hobby pflegt und Hüte kauft (mehr wert als die schlechten Gesellen), er bleibt, unter der Maske des Zeitalters, ein Held von Corneille.

      Er hat den Glauben, er hat auch die Geste, und tritt er auf wo immer, »il est un peu là«. Das macht: unterhalb seiner Berufung, die das Fatum selbst ist, liegt in seiner Brust eine Gleichgültigkeit ohne Namen. Ich bin, was ich bin; solange ich da bin, wird gehandelt bis zur Vernichtung der Feinde. Träfen sie mich früher als ich sie, es hilft ihnen nicht. Sie sind gerichtet, nicht erst von mir. Ich bin entbehrlich.

      Das ist aber die vollendete Form des Tragöden: »Sogar ich bin entbehrlich.« Daher fliegt er kreuz und quer über die Erdteile. Gibt bekannt wo er ist, gesetzt, es wäre nicht sowieso ausgespäht. Auf sein Flugzeug wird eine organisierte Jagd gemacht. Sein Weg von Afrika zurück nach London hat eigens abgeschossene Apparate gekostet, nur seinen nicht. Ein Schauspieler, Jude, aus Polen gebürtig, von Aussehen der perfekte Engländer, ist für Churchill gefallen. Wäre es nicht geschehen, bleibt es als ein Gleichnis wahr.

      Er selbst überstand noch mehr als eine Reise, deren Verlauf nicht verbürgt war, auch noch zwei Lungenentzündungen. Die hohe Luft hatte auf sein altes Herz gedrückt, wer sagt, daß er durchkommen mußte.