Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726885743
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nur zu. Der Neid wird tausendfach. Als sie uns überflogen, hätte der Himmel von ihnen gelb sein müssen, quittengelber Neid allein setzt die Deutschen instand zu hassen, wie uns wenigstens niemand gehaßt hatte, zu vernichten um des Vernichtens willen, ja, die Existenz des Menschen zu leugnen. Es gibt nur neidische Deutsche.

      Dagegen muß etwas geschehen. Viel muß geschehen, bedenkt man die erbärmliche Nichtigkeit des Anlasses, weshalb sie über London kamen. Wir hatten ihnen nichts nehmen, ihr Reich beileibe nicht auflösen wollen. Wir ließen sie nur allzu theoretisch wissen, daß wir ihre Überfälle auf kleinere Nationen für unanständig hielten. Das heißt dann eine Kriegserklärung, indessen ließen wir Krieg noch immer Krieg sein: eines Tages hätte man verhandelt. Ihre Einnistung in Frankreich, die gleichfalls unrühmlich enden wird, und die Battle of Britain haben gezeigt, was sie wirklich wollen. Vernichtung eines jeden, der sie nicht angreift, sie nur warnt.

      Sie wollen nicht ihr Gebiet vergrößern auf Kosten schwächerer Nachbarn, was nichts Neues wäre. Sie träumen den Erdteil, wahrscheinlich alle Erdteile, als deutsche Kolonien. Ein Traum, – man ist nicht verantwortlich für seine albernen Träume. Wer aber handelt, wir selbst haben oft nicht streng rechtlich gehandelt, ist dennoch angehalten zu einem Mindestmaß von Voraussicht und Anstand. Sie dagegen führen sich auf, als ob nach ihnen nichts mehr käme. Das geht nicht. Es ist eine unerlaubte Haltung, das menschliche Zusammenleben würde mit ihr unmöglich. Europa besonders hätte abgedankt. Großbritannien wäre eine Erinnerung.

      Der scham- und hirnlose Versuch, diese ungehörige Haltung einzuführen, muß erstickt, leider in viel Blut erstickt werden. Wir haben den Deutschen ihren eifrigen Wunsch nach Vernichtung diesmal zu erwidern, mit der überlegenen Milde und dem klugen Wohlwollen ist nun einmal nichts getan. Wir werden sie unschädlich machen, sie haben nicht eher geruht, als bis wir uns entschließen. Das ist nicht leicht, zunächst erscheint es wenig ehrenvoll. Wir geben uns das Ansehen, als sänken wir auf ihre Stufe herab: nur noch hassen, immerfort rächen. Was hilft es. Sie erniedrigen uns, gerade dafür sind sie hassenswert, vor allem dies werden wir rächen.

      Aber wer weiß, ob wir nur nachlassen oder nicht vielmehr zunehmen, ja, verjüngt hervortreten aus dem Abenteuer, wenn wir künftig der unerbittliche Erzengel mit dem Schwert sind. Sie mögen sich hüten. Ein Entrinnen gibt es fortan nicht.

      Hier endet die Meditation. Der bewußte Brite, vorher sehr human, wird aus seiner luftigen, aber unhaltbaren Höhe herabgeholt in die Mitte anderer Briten, die durchaus denken wie er. Oder hätten sie auch gar nicht erst meditiert, bleibt das Ergebnis der überstandenen Prüfung doch dasselbe: Schluß mit den Deutschen! Die deutsche Drohung abschaffen für immer!

      England verwandelt

      Seither hat die Insel mit ihrem Reiche den Krieg nicht nur geführt wie jeden vorigen. Er begleitet keineswegs ihre Existenz von außen: sie fühlt ihn zentral; er ist die unausweichliche Bedingung ihres Daseins. Da alles, was uns erhält, zum Genuß wird, nimmt Großbritannien nunmehr Vergeltung und liebt sie. Als in Deutschland zwei lebenswichtige Dämme einstürzten und das Ruhrgebiet ersoff, haben die Deutschen, gemäß ihrer stumpfsinnigen Übung, Juden geschlachtet – diesmal unter dem Vorwand, jüdische Emigranten hätten die Briten auf die Dämme hingewiesen. Da meldete England aber laut und entschieden seinen Anspruch auf die Idee. Es hatte sie ganz allein gefunden und hält auf dieses Verdienst.

      Britannien ist nunmehr die große Luftmacht, die über Deutschland gebietet: welche Stadt noch stehen bleibt, welche untergeht. Im gleichen Atemzug, ein mächtiger Atem, wurde aus der Insel eine Landmacht. Der britisch-amerikanische Sieg in Afrika, wahrhaftig ist er kein kolonialer Kleinkrieg mehr. Die Befreiung Ägyptens von dem Feind, der schon Alexandrien bedrohte, hat die äußerste Anstrengung verlangt, sie war eine weitaus echtere Tat als der Einmarsch der sechs deutschen Divisionen in Frankreich. Die Eroberung von Italien bedingte bisher die kühnsten Landungen. Noch härter werden andere sein. Britannien zögert, von seinem Bestand an Menschen mehr, als es erträgt, zu opfern.

      Tunis und Bizerta waren Schlachten europäischen Stils, – aber der deutschen Niederlage folgte kein Dunkerque, kein vollendeter Rückzug zur See, nicht einmal ein angedeuteter. Sondern die Deutschen, die nicht gefallen waren, gaben sich gefangen, mit ihnen der ehrenhafte General von Arnim. Schon in Sicherheit, war er zu seinen Truppen zurückgekehrt, in Erwartung der deutschen Schiffe, die nicht kamen. Seinem Gesicht war die Tragödie taghell abzulesen, als er in London das Flugzeug verließ. (Der Rückzugsstratege der Landschlachten, Rommel, blüht glücklicher mit jedem Rückzug; das Bild einer Wiederbegegnung mit Hitler zeigt ihn flott und fühllos wie je.)

      Mehrere hunderttausend Achsentruppen verlorengegangen: was sollte einen Mißerfolg in Deutschland hiervon noch unterscheiden. Die Voraussetzung ist, daß Deutschland verteidigt wird, wie Tunis. Die Landmacht Britannien glaubt sehr lange, daß die Vorzeichen der Invasion eine solche selbst hinfällig machen werden. Die Deutschen haben tatsächlich den Krieg im Lande, das ist ein böses Gesicht, das einzige, das sie nicht sehen wollen. Immer noch lieber ihre ganze Ostfront aufgehoben.

      Dort brennen fremde Städte, und in den Häusern verkohlen die Bewohner, die man einschließt, bevor man flüchtet. Hier und jetzt wird aus der wohlbehüteten Heimat Reißaus genommen, um nicht – o unvorhergesehene Wendung! – selbst durch Feuer umzukommen. Außerdem ist sie eher unbehütet, der britische Wüstling der Lüfte verliert fünf Prozent seines Bestandes. So hatten wir nicht gewettet. Das ist nicht der »totale Krieg«, den Deutschland erdacht und ins Werk gesetzt hat.

      Er umfaßt allerdings die Vernichtung nationaler Gesamtheiten mit ihren Städten, ihren Kindern. Aber gemeint waren gefälligst andere, keine deutschen Nichtkämpfer, deutschen Wohnstätten. Sie sollten dem humanitären Gegner heilig bleiben. Das Ganze muß ein Irrtum sein, sein Ausgang wäre verhängnisvoll.

      Gerade dieses Mißverständnis, das in den Vorgängen nunmehr waltet, beunruhigt die Deutschen. Gerade mit ihrer Verstörtheit infolge fehlgegangener Berechnungen machen die Briten ihre Rechnung. Ihr Kriegsministerium unterhält wohl kein »psychologisches Laboratorium« wie die Wehrmacht. Die deutsche Seelenkunde indessen bietet in einem Punkt kaum Schwierigkeiten: geht ihnen etwas schief, dann winseln sie. Nach Versailles hat ihre Wehleidigkeit alle gerührt, die sie nicht anwiderte.

      Aus der Luft herab gehemmt, schließlich vielleicht außer Aktion gesetzt zu werden, ist wirklich ein besonders peinliches Erlebnis – schon wegen seiner Neuheit, seiner Unheimlichkeit. Diese erklärt auch, daß man nur dulden, nur hinnehmen und sich ducken kann. Gegenwehr auf gleichem Fuß gibt es bis jetzt nicht. Um so weniger für eine Luftmacht, die sich in vier Jahren verbraucht hat und den britisch-amerikanischen Vorsprung nie mehr einholen wird. Welches Volk hält, ohne an seiner Seele Schaden zu nehmen, den Verwüstungen von oben stand? Den Ängsten aus dem Gewölk?

      Mr. Churchill hat schon früher prophezeit, den Deutschen wäre es eintretenden Falles nicht gegeben. Britisch allein sei die Ausdauer im Widerstand, der nichts ist als Erleiden. So war es auch, es war allzulange wahr; die Befürchtung regte sich, der passive Mut werde der einzige bleiben, den ein dergestalt mitgenommenes Volk hinüberrette. Sie würden nichts mehr tun, nach ihrer furchtbaren Schulung im Aushalten.

      Heute: die klare, überzeugte Forderung an den – keineswegs erledigten – Gegner, sich bedingungslos zu ergeben. Einst – wie stand es einst, das faßt man nicht mehr. Keine drei Jahre, aber die Verwandlung Britanniens ist das ausgesprochen phantastische Ereignis des Zeitalters. Schritt für Schritt hat man ihr beigewohnt, betrachtet aber das Ergebnis, als wäre es gehext.

      Die Energie, nach der einstigen Wohlerzogenheit. Das Wagnis, anstatt des Sichergehens. Der Zufall und das Imponderable als zugelassene Faktoren. Mißerfolge sind kein Hindernis, sie versprechen nur das künftige Gelingen. Das Reich trägt Verluste, die immer unerlaubt erschienen wären. Es wird getroffen an seinen Points névralgiques, und schreit nicht auf. Es bleibt still während einer indischen Revolution, der gefährlichsten, die verzeichnet wird. Jeder andere hätte die Nerven verloren. Das Reich läßt kommen und gehen, beharrt auf seinem Posten, so zähe, still – und wird Indien erhalten.

      Wavell, ein großer General des Reiches, macht von Ägypten durch die halbe Länge Nordafrikas einen Gewaltmarsch, für