Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726885743
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hätte, sagt er von sich: »Ich muß ein Stück Abenteurer sein«. Sein Briefwechsel mit dem Premierminister lautet anders. »Klopfet an, so wird euch aufgetan!« sagen die beiden Briten mit Worten der Schrift.

      Denn ihr Vorsatz ist nicht, in diesem Augenblick ein sieghaftes Ziel zu erreichen, vielmehr es anzumelden, noch eher, sichtbar zu machen, was sie wollen, bis die Stunde schlägt, da sie es auch können. Das Jahr, als Britannien allein, völlig allein stand gegen den glücklichen Hitler und sein unbesiegtes Heer, das Jahr, bevor die Sowjetunion antrat und die Erlösung Europas mächtig begann, dieses großartige britische Jahr ist rein angefüllt mit Donquichotterien, die Sinn und Nachdruck haben.

      Das oftmals angeführte »perfide Albion« läßt sich glatt hereinlegen von der »nordischen List«, ihre authentischen Inhaber sind der Schlawiner Hitler und der Rheindampfer-Admiral Darlan: dieser seither dahingerafft, nil nisi bene. Die Kumpane verlocken die britische Mittelmeerflotte, sich auf einige italienische Schlachtschiffe zu stürzen, sie to the bottom zu senden – für einen einzigen Zweck, der dem unschuldigen Albion später aufgeht.

      Während die Briten sich heldenhaft abarbeiten und die armen Italiener tapfer bezahlen, schmuggelt Darlan, von niemand beaufsichtigt, ein deutsches Korps nach Afrika hinein. Dies ist die besonders ehrenhafte Geburt des »Afrikakorps«. Eine verbündete Flotte ist dafür aufgeopfert worden, bis endlich das Afrikakorps selbst, ohne den kleinsten Ansatz eines Rettungsversuches, ad acta gelegt wird.

      Die Insel Kreta kommt vor, wie die britische selbst. England verteidigt sie gegen die deutsche Übermacht in der Luft und kann sie nicht halten. Die Anspielung hierin begreift sich. Die Ausdauer einer Insel, auch unserer, ist unverbürgt. Wir haben uns durchgebracht, aber wenn nicht? Wir wären in Kanada. Wir wären zur See. Auch hier sind wir! Immer bleiben wir von dieser Welt – mehr als ihr, die ihr nicht wißt, wo die Entscheidung liegt. Auf dem Atlantik.

      Versucht es noch einmal mit der Einnahme unseres Landes! Wir werden mehr tun, als uns nicht ergeben. Wir sind nicht länger die Dulder. Eher ihr. Zu erdulden steht euch, so oder so, bevor. Greift Länder an, je mehr, je besser für uns. Wir werden euch überall – noch nicht das Ende bereiten, aber im Weg sein. Euer Blitz wird nächstens nicht mehr blitzen. Man muß kühn werden durch bestandene Lebensgefahr, aber nicht jeder wird es, – dann folgt der Gewaltmarsch von Wavell, folgen Salerno, Anzio, noch Kühneres.

      Zu jener Zeit, und das ganze kritische Jahr blieb Britannien von der Invasion bedroht. Sie konnte kommen, man hat es nie gewußt. Die Insel und ihr Reich lebten von Tag zu Tag. Die Invasion wurde nicht mehr unternommen, denn die deutsche Strategie und die deutsche Politik, beide waren unbegabt. Sie waren kenntnislos, waren so albern wie roh. Kein alter Preuße hat leichtsinnig Krieg geführt, außer Friedrich dem Großen, aber ihn bewahrte sein verdientes Glück. Dies Umspringen von Front zu Front, – nachdem am Anfang der Zweifrontenkrieg abgeschworen war; dieser falsche Stil 18. Jahrhundert, ohne alle Rechtfertigung durch die Gegebenheiten des Zeitalters: warum, was ist darin zu suchen? Gar nichts.

      Europa ist von diesen Deutschen im Umherspringen zusammenerobert worden, l'incohérence complète, eine Oberflächlichkeit wie in Ägypten, von wo sie noch etwas schneller wieder herausflogen. Der alte Preuße Ludendorff, ein Wahnsinniger, nur als Stratege noch immer nüchtern, hatte vorausgesagt: in Afrika wird es hapern. Er hätte ergänzen können: zuerst in Afrika, dann überall.

      Ein Verein boshafter Dilettanten, haben sie »sich das Gericht gegessen«, als sie daran gingen, die Sowjetunion in sechs Wochen niederzuwerfen. Auf dem Boden des überrannten, nicht wirklich besiegten Frankreich hätten sie höchstens sechs Wochen bleiben dürfen.

      Die gesunde Wahrheit ist ihnen lange vorenthalten worden, die »unbesiegbaren deutschen Heere« wurden von allen Nichtbeteiligten, oder die sich dafür ansahen, mit aufgerissenen Mäulern bestaunt. Das erste Wort fand ein Brite: der General der berühmten 8. Armee, – die Landmacht Großbritannien hat berühmte Armeen. Die militärischen Gegner pflegen einander hochzuachten, wenigstens tun sie so. Das Verdienst des Siegers mißt sich an den Talenten des Unterlegenen.

      Sir Montgomery nannte mit britischer Einfalt seinen geschlagenen Rommel eine krasse Mittelmäßigkeit. Das hätte man ihnen längst versetzen sollen – nicht dem einen Bürschchen, sondern dem Quark insgesamt. Sie würden es gehört, ihre Sicherheit würde gelitten haben. Im Grunde wissen sie: Hochmut kommt vor den Fall. Der Satz sagt mehr als eine ganze Rassenlehre.

      Kapitän Langsdorf

      Großbritannien und Deutschland waren nicht in jedem Fall unvergleichbar. Ich bin weit entfernt, die falsche Meinung zu unterstützen, als gäbe es nur unehrenhafte Deutsche. Es wäre gegen die Selbstachtung. Es wäre gegen die Wahrheit, die man unter anderen dem Kapitän Langsdorf schuldet.

      Sein Tod ist lange her, Dezember 1939, ein überholtes Vorkommnis, schon vergessen. Ich habe es mir gemerkt, hier soll es stehen.

      Der deutsche »Taschenkreuzer« »Admiral Graf Spee«, ein Korsar, wie diese Vereinzelten, Verzweifelten genannt werden, hat das Unglück gehabt, britischen Kriegsschiffen zu begegnen. Es geschah ihm nahe von Uruguay und wahrhaftig nicht mit Absicht. Schlachten zu liefern, den Auftrag hatte er nicht. Er sollte, entgegen dem Seerecht, die Handelsschiffe, feindliche wie neutrale, versenken. Wenn es sich machen ließ, nahm er wohl die Besatzungen auf. Wenn nicht, ertranken sie.

      Der »Admiral Graf Spee« versah kein lobenswertes Geschäft, obwohl er seine Pflicht tat. Der erste der begegnenden Briten war kleiner als er selbst, der Deutsche wäre mit ihm fertiggeworden.

      Indessen kamen zwei andere Einheiten der britischen Flotte rechtzeitig hinzu. Schwer beschädigt, mit sechsunddreißig Toten und achtzig Verwundeten, flüchtete der »Graf Spee« in den Hafen von Montevideo.

      Vielleicht hätte er vor der Schlacht, ohne Kampf, das Weite suchen können. Er war der Schnellere. Er hatte Grund sich dafür zu halten. Er mußte darauf gefaßt sein, daß in diesen belebten Gewässern sein Gegner alsbald Beistand fände. Aber er hat das Feuer des »Exeter« erwidert. Unter anderen Umständen wäre er für tapfer, sehr tapfer gerühmt worden. Deutschland ist verrufen, sein Kreuzer ein Korsar, und noch so viele bewiesene Seemannsehre rechtfertigt seine vorigen Verrichtungen nicht. Die Augenzeugen aus der Gegend hatten denn auch kein Wort für ihn, sie bewunderten einzig die Taktik der Engländer. In Berlin empfing man zu derselben Stunde auf drahtlosem Wege die Photographie des Kreuzers nach seiner Beschießung. Trotz dem Augenschein beeilte man sich, ihn als Sieger auszuschreien. Dabei wußte man: das kranke Schiff in der feindlichen Ferne hat vierundzwanzig Stunden, keine mehr, um seine Verletzungen zu heilen. Es fährt aus, in welchem Zustand immer, oder wird für die Dauer des Krieges interniert. Draußen erwarten den »Graf Spee« zwei der Engländer, mit denen er schon im Gefecht gewesen ist, und statt des dritten, das gelitten hatte, ein neues.

      Aber der Befehl ergeht, er muß ausfahren. Hitler selbst verbietet sowohl die Internierung als auch eine Niederlage. Kapitän Langsdorf trägt die Verantwortung für seine Beschlüsse.

      Das Telephongespräch am siebzehnten, zwischen Berchtesgaden und Montevideo, betraf die Ehre des Führers. Seine Ehre, ein Ableger der Propaganda, verträgt keine Internierung seiner Kreuzer, die übrigens gezählt sind. Die britische Flotte hätte an dreien nicht so viel verloren, wie die deutsche an dem einen. Der »Graf Spee« ist von Hitler aufgegeben, unter dem Vorbehalt, daß Menschenverluste zu vermeiden sind. Sie würden der Menschlichkeit des Führers nichts ausmachen, um so mehr der persönlichen Geltung, die er sich beimißt.

      Kapitän Langsdorf hat das Schicksal seines Schiffes vor Augen gehabt. Er hat seine Toten begraben, nicht auf dem englischen Friedhof, wie der großbritannische Gesandte ihm angeboten hatte. Der deutsche Kapitän hat sich und sein Schiff für outlaw erachtet – schlimmer, er kannte keine zivilisierte Gemeinschaft mehr. War gegen sie nicht nur empört, sondern verachtete sie, mitsamt dem ritterlichen Anerbieten des Feindes, den Besiegten die Gräber zu gewähren. Grüße aus englischen Gewehren über die Särge von Piraten – »da lach ick öwer«, hat dieser deutsche Seemann gedacht. Er hat bei sich entschieden: »Die sollen nicht auch noch die Gerechten spielen, weil sie die Stärkeren sind. Mein Handwerk war gemein – weiß ich, und will um so weniger ihre ehrbaren