Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726885743
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der neuen, die sie fortsetzt. Die Sowjetunion ist es, wo sie in ihrer währenden Revolution die längst abgelaufene Frankreichs verfolgt haben. (Dies am Anfang, als die Ereignisse nur zu entwirren waren, wenn man verglich.) Sie haben dringend aufgemerkt, bei jedem Auftreten handelnder Personen, in welcher Bedeutung sie einst schon dagewesen wären.

      Sie haben die Vorgänge auf ihre Richtigkeit geprüft, an den alten Parallelen. Sie haben die Französische Revolution nicht nachgeahmt; in ihrer selbstgewachsenen, ihnen auferlegten, haben sie versucht, die Fehler der Vorgängerin zu ertappen und ihnen zuvorzukommen.

      Es ist wirklich ergreifend – als ein menschlicher Vorgang, auch wenn es kein politischer wäre: dieser Anschluß, den über ein Jahrhundert hinweg eine große Nation mit der anderen vollzieht, mit den höchsten Augenblicken der andern. Es zeigt eine hingebende Seele mit einem harten Mut. Es tröstet wahrhaft – über die häßlichsten Gebärden dieses Zeitalters.

      Die Mühen der Toten waren dennoch nicht vergebens. Unter Umständen, die den ihren einigermaßen gleichen, wird, räumlich weit davon, nochmals gehandelt wie einst bei ihnen; und wenn das zeitlich bedingte Ergebnis abweicht und weiter geht, die Begeisterung erinnert wieder an die Morgenröte, ein harter Wille schlägt und schmiedet auch hier. Die slawische Seele ist nicht immer weich, wie man erfährt.

      Das Ergebnis betreffend, was weiß ich? Obenhin scheint es zu wechseln, wie alles Menschliche, mit den auftretenden Menschen. Die Revolution selbst ist wesentlich unbeirrbar. Sie hat die Produktionsmittel ergriffen und behält sie; für das Gegenteil spricht kein Anzeichen. Man sucht Vorbedeutungen in diesem Kriege selbst: Katastrophen der Nation sollen ihre Wirtschaft um-, man meint zurückwälzen. Es werde, wie vormals, Arm und Reich geben.

      Die gibt es schon jetzt. Ich möchte mir auch ausbitten, daß ein Mann, der für seine Verdienste um die seelische Erhebung der Massen den Titel Volksschauspieler verdient, höher bezahlt wird als ein anderer Techniker mit Kenntnissen, nicht der Menschen, sondern der Maschinen. Natürlich muß jeder seinen gerechten Lohn haben, und um so eher die Masse der Ausführenden, die in ihren Händen, auf ihren gebeugten Schultern die ganze Wohlfahrt tragen. Reich – und ganz arm, das widerspricht offenbar dem Sinn einer sozialen Revolution, will sagen jeder echten. Die Sowjets wissen es am besten.

      Es ist abstellbar. Es ist schwieriger, langwieriger zu beseitigen, wenn ein ganz erstaunlicher Aufbau des Landes, die vorher unternommene Sicherung der gesamten Arbeit mutwillig unterbrochen werden durch einen Angreifer. Ein dreijähriger Krieg wie dieser, von der Sowjetunion nicht gewünschte, aber vorausgesehene und großartig bestandene, zerstört von den Ergebnissen zwanzigjähriger, planvoller Mühen viel.

      Er zerstört dort an Menschenleben mehr, als jedes andere Land erträglich fände, (Deutschland, das dieselben oder noch höhere Verluste hinnimmt, wird zu spät erkennen, daß sie auf seiner Seite unersetzlich sind). Vom nationalen Gut zerstört der Krieg so viel, würde man sagen, wie in hundert Jahren nicht herzustellen ist. Aber die Sowjetunion hat bewiesen, was sie in zwanzig Jahren kann. Wenn's vorüber ist, ihren Völkern darf zugetraut werden, daß sie unentwegt an die Arbeit zurückkehren. Das bedingt, dort und anderswo, bei allen abgerüsteten Soldaten, die vollkommene moralische Gesundheit. Die bloße Notwendigkeit tut es nicht.

      Nun haben die Verwaltungen der Union dafür Sorge getragen, daß ihre Menschen nicht nur mehr leisten, sondern auch mehr denken. (In Deutschland wird seit zehn Jahren wenig gedacht, zufolge amtlicher Strenge soll gar nicht gedacht werden.) Nach dem Kriege wird klar werden, daß am schnellsten hochkommt, wer denken gelernt hat, – gesetzt, die Einsicht hätte man nicht jetzt schon. Ein englischer Priester, der unlängst, mitten im Krieg, über die Sowjetunion schrieb, hat Aufsehen erregt mit manchen seiner Worte und mit diesem: »Ein Land, das Arme und Reiche hat, ist nicht frei.«

      Dieser Begriff der Freiheit war sonst nicht im Gebrauch. Der Geistliche mag ihn schon mitgebracht haben, aus dem Christentum, dessen innerer Sinn auch nur selten verstanden wird. Aber die neue Auffassung der Freiheit, eine christliche Auffassung, erzielt nunmehr Erfolge, die noch unabsehbar sind. Sollten sie mit dem Auftreten und Wirken der Sowjetunion anders nicht zusammenhängen, die Gleichzeitigkeit wenigstens besteht.

      Es liegt doch wohl derart, daß die Sowjetunion das alte! Vorurteil gegen die Gleichmacherei praktisch widerlegt hat. Unabhängig davon, was einer kann, hätte sie ohne Ansehen der Unterschiede jeden Arbeiter auf ein Existenzminimum beschränken dürfen. Sie bezahlt im Gegenteil die Leistungen ungleich, und Leute, die sich auf ihren Vorteil verstehen, läßt sie Geld verdienen. Von dem Erworbenen bleibt ihnen nichts, sie müssen es ausgeben; zu kaufen was Bestand hätte, Land, Kohlengruben, Petroleumlager, ist ihnen verboten. Somit sind sie nicht wirklich reich. Der Reichtum ist wirklich, wenn er in Macht über Menschen umgesetzt wird. Gerade das verhindert die Sowjetunion.

      Die Revolution wirkt in die Weite

      Ohne Entstellung, nur mit Weglassung der Hauptsache wird jetzt meistens geurteilt, von Geschäftsleuten und anderem Durchschnitt, sofern er sich vorgeschritten gibt: aus einer ursprünglich verrufenen Wirtschaftstheorie habe die Union das Bestmögliche gemacht. Noch weltklüger könnten Idealisten nicht vorgehn. Sie lassen verdienen, sie zahlen ungleich, aber das Ganze bleibt, um dem harten Wort nicht auszuweichen, Kommunismus. Andere meinen im Gegenteil, Kommunismus sei das nicht mehr.

      Die weggelassene Hauptsache betrifft das Moralische. Den neueren Begriff der Freiheit im Volk zu verbreiten, war kein Luxus, kein geistiger Überbau. Sondern gewisse wirtschaftliche Maßnahmen konnten wirksam werden und dauern, unter der Bedingung, daß ein Volk seine Freiheit begriff. Solange ein anderes Volk dabei beharrt, der einzige Wertmesser des Lebens sei das Geld; es könne nie genug verdient werden von wem immer; dem Reichen etwas zu nehmen, schädige auch den Armen, denn er wolle reich werden: solange fehlt für wirtschaftliche Neuerungen der Raum, der seelische Raum.

      Wo noch geglaubt wird, daß der geglückte Erwerb eine genügende Rechtfertigung der Macht über Menschen sei, da ist die leichtgläubige Menge ihrer Mächtigen wert. Reformen würden fehlschlagen, bevor nicht die Moral erleuchtet ist. Die Macht ist durch eine erleuchtete Moral manchmal wohltätig geworden. Der Wille zur Macht als Ausgang und als Ende war von jeher das Übel selbst. Die alte Weisheit der christlichen Kirche hat an die Spitze der sieben Todsünden (der Sünden, die den Geist töten) den Stolz gesetzt. Der Stolz ist die Macht, der Wille zur Macht.

      Das eigentlich Lebenswichtige war schon längst, die Macht unschädlich zu machen. Die Demokratien haben es versucht, sie teilten die Macht auf, sie wollten die zahllosen Mitbeteiligten der Macht abhängig von all und jedem. Sie übersehen nur, auf welche, vorgeblich unpolitische Art man Macht über Menschen erlangt. Durch den Besitz der Produktionsmittel. »Ein Land, das Arme und Reiche hat, ist nicht frei.« Dieser Satz allein, die Erkenntnis, die er ausdrückt, die Hoffnung, die er anspornt, begründet alle Sympathien, die heute der Sowjetunion gelten.

      Denn er sei frei geboren, ist die einzige bleibende Vorstellung, die der Mensch von sich hat. Der erste Satz des Contrat Social: »L'homme est né libre et partout il est dans les fers«, drückt keine soziale Wirklichkeit aus, wohl aber die psychologische Wahrheit über den Menschen. Die Freiheit tatsächlich zu besitzen, bleibt seine Forderung – an sich, an die Welt und das Schicksal. Sie haben unendliche Auskunftsmittel erfunden, Parlamente, Gewerkschaften und Freiheitslieder, um nur diese drei zu nennen, damit sie sagen könnten, sie seien frei. Sogar die unverbindliche Erlaubnis, viel Geld zu verdienen, soviel wie die wenigen, die es wirklich verdienen, nennen sie Freiheit.

      Der menschliche Durchschnitt müßte allerdings bedenklich werden, erführe er, daß die Sowjetunion keine allgemeine Versklavung vornimmt, wie man meistens hörte. Er könnte hier und da zu überlegen anfangen, wie es um seine eigene Freiheit steht, da er arm ist und dem Dutzend künftiger Reicher desselben Lebensalters näher besehen wohl schwerlich angehören wird. Das berührt sogar den geistig knapp gehaltenen Durchschnitt. Hinzugerechnet sei, daß die militärischen Erfolge der Sowjetunion auch ihre staatlich-wirtschaftlichen Einrichtungen etwas weniger verdächtig machen werden. Viel abergläubische Vorurteile beseitigt der Sieg.

      Ihre beständigen Erfolge, gesetzt es gäbe Erfolge, die nicht schwanken, verzeichnet die Revolution dieses Jahrhunderts bei den Intellektuellen.