„Wenn ich alles bekomme, was ich dafür brauche, ist das keine Schwierigkeit“, erwiderte Li. „Die größte Schwierigkeit wird sein, einen Schmied zu finden, der in der Lage ist, Metall so dünn zu ziehen, wie ich es brauche.“
Mohammed lachte. „Du bist hier im Heimatland der Schmiede! Weißt du nicht, dass dies das Land ist, aus dem der unzerbrechliche Stahl kommt? Es gibt hier die geschicktesten Schmiede der Welt und in den südlichen Bergen die ergiebigsten Erzvorkommen, die man sich nur denken kann.“
„Ich habe die feinen Kettenhemden der Wächter bemerkt“, mischte sich Gao ein. „Wenn die hier gefertigt wurden...“
„Das wurden sie!“, unterbrach ihn Mohammed.
„...dann finden wir in jedem Fall auch Metall, das sich eignet, um ihm die Form eines Wasserzeichens zu geben!“
––––––––
Li stellte schnell fest, dass es unzählige Schmiede in Samarkand gab, die sich auf eine so feine Arbeitsweise verstanden. Schmiede, die mit Silber, Gold und Kupfer umzugehen wussten, aber auch Eisen oder Zinn in einer Weise zu verarbeiten wussten, die Li höchsten Respekt abverlangten. Auch wenn ihr Vater immer davon sprach, dass es im fernen Bian Werkstätten gäbe, die durchaus in der Lage seien, auf dem selben Stand der Kunstfertigkeit zu arbeiten. Aber für Li war die Hauptstadt des Himmelssohns nur der Schauplatz märchenhafter Erzählungen und mittlerweile hatte sie den Eindruck, dass Meister Wang die Wunder und die Harmonie jenes Ortes vielleicht etwas zu idealisiert in Erinnerung hatte. In Xi Xia hatte es jedenfalls weit und breit keinen einzigen Schmied gegeben, der auch nur annähernd so feine Arbeiten hätte abliefern können, wie es den Schmieden von Samarkand möglich war.
Als Li schließlich Stäbe aus biegsamen Metall für ihre Arbeit zur Verfügung hatte, begann sie daraus, den Umriss einer Rose zu Formen. Manchmal nahm sie dafür einen kleinen Hammer zu Hilfe, wie ihn sonst ein Kupferschmied für seine Arbeit benutzte.
Die Arbeit in der Werkstatt stand eine Weile still. Keiner der Papiermacher wollte einen so wichtigen Arbeitsschritt bei de Anfertigung des Wasserzeichens verpassen. Meister Wang hatte erst Li gegenüber gemeint, dass es besser war, dieses Geheimnis zunächst vielleicht doch zumindest teilweise für sich zu behalten. Aber Li hatte in dieser Hinsicht weniger Bedenken.
„Wer gibt, dem wird auch gegeben werden“, meinte sie in der Sprache der Han und war sich dabei inzwischen vollkommen gewiss, dass niemand mehr unter den anwesenden Papiermachern noch die Sprache ihrer Vorfahren zu verstehen vermochte.
Die Blätter, die Li dann in aller Sorgfalt aus dem Schöpfbecken hob, wurden zunächst zum Trocknen aufgehängt und anschließend in eine Presse gelegt, um den Rest der Feuchtigkeit aus ihnen herauszuholen. Stofflappen aus Filz, die die Nässe aufsogen, trennten die einzelnen Bögen voneinander.
Durch die Blätter, die dann schließlich aus der Presse genommen wurden, schien das gut erkennbare Abbild einer Rose hindurch. Li hielt die Bögen gegen das Licht. Die Rose trat in aller Deutlichkeit hervor.
Meister Mohammed sah sich das Ergebnis ihrer Arbeit eingehend an, hielt es einmal gegen das Licht einer Öllaterne im Inneren der Werkstatt und danach gegen das Tageslicht innerhalb des engen Innenhofes, in dem die Lumpen gelagert waren, die anschließend in großen Bottichen zerstampft und zerschlagen wurden.
Als Dritter begutachtete Meister Wang die Arbeit seiner Tochter. Für einen Außenstehenden war seinen Zügen nichts anzumerken, aber Li kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass er vollkommen mit ihr zufrieden war.
Meister Mohammed hatte seine Gesichtszüge weit weniger in seiner Gewalt. Sein freudiges Erstaunen hatte Li schon im ersten Moment bemerkt.
„Eine wahrhaft gute Arbeit“, stellte er fest. „Das wird der Hofschreiber ganz gewiss auch so beurteilen...“
„So hoffe ich, dass wir seine Gunst gewinnen können“, meinte Meister Wang. „Er scheint mir ein wichtiger Mann hier in Samarkand zu sein – und einen großen Einfluss zu haben.“
Mohammed nickte. „Einen zu großen“, glaubte er. Und dann fügte Meister Mohammed in einem gedämpften, fast verschwörerischen Tonfall hinzu: „Vor diesem Mann kann ich euch nur warnen. Hofschreiber Kentikian ist ein gebürtiger Armenier, der auf Grund irgendwelcher verworrener Umstände, die ich nicht näher kenne, zum rechten Glauben an die Lehre des Propheten konvertiert ist. Und wie alle Konvertierten gibt er sich daher in Glaubensdingen besonders streng. Er neigt etwas zum Eiferertum... Und wenn es nach ihm ginge, dann würde die Hälfte der Bücher in unseren Bibliotheken auf dem Scheiterhaufen landen!“
„Dann sollten wir uns glücklich schätzen, dass wir nur unbeschriebene Bücher erschaffen, deren Seiten erst noch beschrieben werden müssen“, sagte Li. „So dürften wir kaum das Ziel seines Eifers werden.“
„Hast du eine Ahnung! Natürlich sieht er uns Papiermacher als mitschuldig daran an, dass es so viele verderbte Schriften gibt!“
„Verderbte Schriften? Ich dachte, all diese Schriften wären dazu da, die Lehre des Propheten zu erhellen“, wunderte sich Li.
„Worin der eine die Erhellung erkennt, ist für den anderen die tiefste Finsternis“, erwiderte Mohammed. „Wir können uns alle glücklich schätzen, dass Prinz Ismail die Ansichten seines Hofschreibers nicht teilt. Denn dann würde man uns alle über kurz oder lang zum Shaitan jagen und wir könnten sehen, wo wir bleiben!“ Mohammed atmete tief durch. „Ich rate zur Vorsicht mit jedem Wort, dass ihr gegenüber Kentikian äußert... Eines Tages mag man es euch sonst wie eine Würgeschlange um den Hals legen!“
––––––––
Ein paar Tage später besuchte Hofschreiber Kentikian tatsächlich die Werkstatt und begutachtete die Arbeiten der neuen Papiermacher – darunter auch die Blätter mit dem Wasserzeichen, die Li angefertigt hatte. Wortreich erläuterte Meister Mohammed dem Beamten gegenüber die Vorteile, die dieses Verfahren hatte, um bei Dokumenten die Gefahr einer Fälschung von vorn herein zu verringern. Der geckenhafte Mann mit dem auffälligen Burnus und der breiten Zierschärpe gab durch nichts zu erkennen, was er von dieser Sache hielt und es war ihm auch kein Hinweis darüber zu entlocken, ob er gegenüber dem Statthalter darüber überhaupt ein Wort verlieren würde. Er nahm alles, was ihm gesagt und gezeigt wurde, lediglich stumm zur Kenntnis und ließ einen seiner Begleiter einen der Bögen mit dem Wasserzeichen der Rose mitnehmen.
„Der Statthalter hegt den Wunsch, dass in nächster Zeit einige Buchabschriften für seinen persönlichen Gebrauch mit besonderer Ausstattung angefertigt werden“, erklärte Kentikian dann gedehnt und auf eine Weise, die ganz unverhohlen deutlich machte, dass er selbst dieses Vorhaben für nicht guthieß, sich aber dem Willen seines Herrn beugte. „Dafür werde einige Papiere von besonderer Qualität gebraucht... Möglicherweise werde wir sie in dieser Werkstatt beziehen.“ Er sah zunächst Meister Wang und anschließend Li mit einem nachdenklichen Blick an, während ein zufriedenes Lächeln seine Lippen umspielte. „Anscheinend hat Thorkild Eisenbringer nicht übertrieben, als er dem Statthalter eure Dienste anpries...“
Als der Hofschreiber gegangen war, wandte sich Li an Mohammed. „Ich habe Kentikian mit dem Waräger, der uns geraubt und hier her verkauft hat Griechisch reden hören“, sagte sie.
„Das überrascht mich nicht“, sagte Mohammed. „Und was diesen Thorkild angeht, so ist das der Mann, für dessen Wohlergehen wir alle beten sollten, obwohl er ein Ungläubiger ist.“