Dann machte er eine Handbewegung, mit der er Arnulf bedeutete, sich etwas über den Tisch zu beugen.
„Komm näher!“, wisperte er. „Ich will sichergehen, dass diese Worte niemand anderen, als den erreichen, der dafür bereit war, einen Beutel voller Bruchsilber zu geben!“
„Ich höre!“, sagte Arnulf und beugte sich vor.
„Der Stahl kommt aus den Bergen im Süden eines Reiches, das vom Emir von Buchara und Samarkand beherrscht wird. Aber du kannst nicht einfach in die Berge gehen und ihn von seinen Herstellern erwerben.“
„Was spricht dagegen?“
„Es gibt einen Nordmann namens Thorkild Larsson, genannt der Eisenbringer, der den Zwischenhandel zur Zeit in seiner Hand hat.“ Die Schultern des Blinden hoben sich für kurze Zeit. Er wandte den Kopf. „Dieser Thorkild besitzt das Wohlwollen des Herrscherhauses der Samaniden und soll eine Art Monopol über den Handel mit den schwarzen Stahlbarren Richtung Norden haben.“
„Dann muss dieser Thorkild Larsson Eisenbringer ein sehr reicher Mann sein!“
„Das ist er! Ja, so unterschiedlich kann es das Schicksal mit einem meinen... Ich habe zusammen mit Thorkild in der Garde des Kaisers gedient. Aber während Thor und Christus es mit ihm sehr gut gemeint haben, klebte mir das Pech an den Füßen, wie du sehen kannst, wenn du in mein Gesicht blickst.“
„Und wer sind die Schmiede, von denen Thorkild den Stahl bekommt?“
„In dem Moment, in dem du das herausgefunden hast, Sachse, wird Thorkild dich eigenhändig erschlagen!“
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Drei Tage später befanden sich Arnulf, Gero und Fra Branaguorno an Bord eines Schiffes, das sie vom Konstantin-Hafen aus nach Chalcedon auf der asiatischen Seite des Marmara-Meeres bringen sollte. Ein wolkenloser, hellblauer Himmel wölbte sich über ihnen und ein frischer Wind blies ihnen um die Ohren. Das Schiff fuhr mit geblähten Segeln dem Hafen von Chalcedon entgegen, einer uralten griechischen Siedlung, die genau wie das ein paar Meilen weiter nördlich am Ausgang des Bosporus gelegene Chrysopolis von ihrer Lage gegenüber von Konstantinopel profitierten. Beide Städte waren schwer befestigt, wobei die Befestigungen in Chrysopolis deutlich stärker waren als jene in Chalcedon, was einfach den Grund hatte, dass die Sperrkette nach Chrysopolis führte, mit der die Durchfahrt durch die Meerenge für feindliche Flotten verhindert werden konnte. Eine zweite Kette sperrte die Zufahrt zum Kriegshafen am Goldenen Horn, sodass die Kriegsflotte des Kaisers vor Überfällen ziemlich sicher war.
Arnulf stand an der Reling und blickte zurück zu den märchenhaften, golden im Sonnenlicht schimmernden Bauten der größten Stadt der Christenheit. Vom Meer aus sah Konstantinopel noch erhabener aus, als wenn man sich ihr von der Landseite näherte.
Einige der Tagelöhner, die auf dem ziemlich überladenen Schiff angeheuert waren, bemühten sich indessen vergeblich darum, die Tiere zu beruhigen, die sich an Bord befanden. Das waren nicht nur die Pferde, die Arnulf von Ellingen und seine Begleiter mit sich führten, sondern auch die Tiere eines thracischen Pferdehändlers, der damit auf den Pferdemarkt von Chalcedon gehen wollte.
Die Wellen kamen seitlich gegen das Schiff und ließen es stark schwanken. Die Tatsache, dass es ziemlich überladen war, trug nicht gerade dazu bei, dass sich seine Lage stabilisierte. Aber den Steuermann schien das nicht weiter zu beunruhigen und so dachte Arnulf, dass er am besten der Erfahrung des Fährmanns vertraute.
Fra Branaguorno allerdings vertraute lieber höheren Mächten. Arnulf hörte ihn ein Gebet sprechen und sah, wie er ein Kreuzeszeichen schlug.
„Ich kann nicht schwimmen“, erklärte er anschließend, nachdem er Arnulfs Blick bemerkt hatte.
„Ich ebenfalls nicht“, bekannte Arnulf. „Und ich glaube, für meinen Knappen gilt dasselbe!“
„Wenn also Gott nicht auf unserer Seite ist, so wäre nun ein günstiger Moment für ihn, die Mission zu beenden, auf die uns unser Kaiser geschickt hat“, gab Fra Branaguorno zurück.
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Die Überfahrt nach Chalcedon dauerte nicht lange. Das Schiff legte seitwärts an, ein Fallreep wurde ausgeklappt und wenig später zogen Arnulf von Ellingen und seine Begleiter ihre Pferde an Land. Ein Heer von Bettlern in Lumpen wartete bereits auf sie. Wer sich eine Überfahrt leisten konnte, der hatte sicher auch ein paar Kupfermünzen für Notleidende übrig, so dachten sie wohl.
Fra Branaguorno saß als erster wieder im Sattel. Arnulf und Gero folgten ihm. Kurz bevor sie das Tor der Befestigungsmauer passierten, die den Hafenbereich von der eigentlichen Stadt trennte, zügelte Gero sein Pferd und drehte sich noch einmal im Sattel herum. Seine Augen wurden schmal dabei und auf seiner Stirn erschien eine tiefe Furche.
„Was beunruhigt dich?“, fragte Arnulf, der sein Pferd inzwischen ebenfalls gezügelt hatte.
Gero antwortetet nicht sofort. Er ließ den Blick über das Treiben am Hafen schweifen, wo gut ein Dutzend Schiffe gleichzeitig entladen wurden. Das Wiehern von verängstigten Pferden war zu hören und die Rufe eines Händlers, der vergeblich versuchte, einen störrischen Esel dazu zu bewegen, über das Fallreep zu gehen.
„Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen, der mir irgendwie bekannt vorkam!!“, meinte er.
„Wer sollte das gewesen sein?“
„Ein Mann, der mir gestern in der Veteranenschänke der Waräger aufgefallen ist.“ Gero deutete an sein Kinn. „Er hatte hier eine Narbe, an der kein Barthaar mehr wuchs. Irgendwie hatte ich für einen Moment den Eindruck, dass er uns beobachtet hat, aber vielleicht habe ich mich auch getäuscht!“
„Hier ist jedenfalls weit und breit niemand zu sehen, auf den deine Beschreibung zutrifft, Gero“, stellte Arnulf fest.
Gero seufzte.
„Ja, da mögt Ihr wohl recht haben haben, Herr!“
„Dennoch, es ist gut, wenn du auch weiterhin die Augen offen hältst!“
„Ja, Herr.“
Dann trieben sie ihre Pferde voran und sahen zu, dass sie Fra Branaguorno wieder einholten, der vollkommen unbeirrt das Tor bereits passiert hatte.