Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783956179815
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      Neuntes Kapitel: Eine Warnung

      „Ich kann das Gesicht dieses Fremden nicht vergessen“, sagte Li. Es war schon spät. Der Muezzin hatte längst zum letzten Mal an diesem Tag zum Gebet gerufen und die Arbeit in der Werkstatt war längst getan. Li sprach in der Zunge des Han-Volkes und außerdem sehr leise – und Meister Wang hörte ihr aufmerksam zu. Gao war nicht in der Nähe – und so vertraut ihr der Geselle auch seit langer Zeit war, ihre geheimsten Gedanken wollte Li keineswegs mit ihm teilen, auch wenn das Schicksal ihre Wege im Moment sehr eng verwoben hatte und sie sehr froh darüber war, neben ihrem Vater noch einen anderen Menschen in der Nähe zu wissen, dem sie vertrauen konnte.

      Li hatte ihrem Vater von der in mehrfacher Hinsicht verwirrenden Begegnung mit dem fremden Ritter erzählt - so wie sie ihm früher als kleines Mädchen auch alles Mögliche von dem berichtet hatte, was ihr widerfahren oder zu Gesicht gekommen war. Sie kam sich jetzt allerdings ein wenig lächerlich dabei davor – und doch hatte sie einfach den schier unstillbaren Drang verspürt, jemanden davon zu erzählen. Vielleicht auch deshalb, um selbst mehr Klarheit darüber zu bekommen, was diese eigentlich doch nur sehr flüchtige Begegnung in ihr ausgelöst hatte. Denn dass sie sehr aufgewühlt war, stand außer Frage. Nur der Grund dafür war ihr nicht vollkommen klar – oder sie wollte ihn vielleicht auch gar nicht in jener Klarheit erkennen, wie es einem Außenstehenden vielleicht möglich war. Schließlich hatte selbst der nicht gerade für seine feinfühlige Art bekannte Schmied Kebir gleich eine Art von Vertrautheit zwischen ihr und Arnulf vermutet – eine Vertrautheit, für die es im übrigen gar keine Begründung gab.

      „Manchmal haben wir eine flüchtige Begegnung, sehen in ein paar Augen, oder erhalten ein Lächeln, das einen überraschenden Taumel von Gefühlen auslöst. Das ist nichts Außergewöhnliches. Es ist eine Frage der inneren Kraft, die Vernunft dennoch die Herrschaft behalten zu lassen. Und genau das solltest du auch tun...“

      „Der Gedanke, dass er ahnungslos in sein Verderben reitet, kann ich nicht ertragen“, antwortete Li. „Es lässt mir einfach keine Ruhe und obwohl ich von der Arbeit des Tages zu Tode erschöpft bin, fände ich jetzt keinen Schlaf.“

      „In demselben Augenblick, in dem dieser Krieger in den Tod reitet, reiten an anderen Orten abertausende anderer Krieger auch in ihr Verderben, ohne, dass wir es ahnen – und deren Schicksal raubt dir auch nicht den Schlaf. So ist nunmal der Lauf der Dinge.“

      „Und damit muss man sich abfinden?“

      „Wer in sein Verderben geht und wer nicht, ist vorherbestimmt, Li. Die Muslime haben ein Wort dafür, das wohl aus der Sprache des Koran kommt, aber das sie alle verwenden, wenn man sie in den Straßen reden hört: Maktub. Das heißt: Es steht geschrieben.“

      ––––––––

      In dieser Nacht fand Li kaum Schlaf. Sie dachte immer wieder an den fremden Ritter, an den Klang seiner angenehmen Stimme und den Blick seiner grünen Augen. Aber sie dachte auch an die Worte ihres Vaters.

      Maktub...

      Stand ihr Leben wirklich schon geschrieben? War es wie bei einem der Geschichtenerzähler, die man in Samarkand an jeder Ecke erleben konnte, die gar nicht mehr die Freiheit hatten, ihrer Erzählung einen vollkommen anderen Verlauf zu geben, wenn zuvor Hunderte von Schreibern sie bereits in den Abschriften eines Buches festgehalten hatten? Stand das Ende ihrer eigenen Geschichte schon fest, noch bevor der Erzähler richtig begonnen hatte, und war es nur ihre Ahnungslosigkeit, die sie denken ließ, dass noch alles geschehen konnte, obwohl doch in Wahrheit schon alles geschrieben stand?

      Dieser Gedanke gefiel Li nicht.

      Welchen Sinn hatte es dann, eigene Gedanken zu haben?

      ––––––––

      Am nächsten Morgen ging Li schon früh in den Palast.

      In einem Nebenraum saß sie vollkommen allein, um an dem Wasserzeichen des Prinzen Ismail zu arbeiten. Sie hatte genug Draht bekommen und außerdem Werkzeuge, mit denen Kupfer- und Goldschmiede feinste Arbeiten zu fertigen pflegten. Das meiste davon würde sie wohl kaum benötigen, denn sie war die Arbeit mit wenig Hilfsmitteln gewöhnt. Die Herstellung eines Wasserzeichens war in Xi Xia immer nur eine selten vorkommende Nebensache gewesen. Ein zusätzlicher Luxus, der nicht oft verlangt wurde. Manchmal hatte Meister Wang auch in andere Gebrauchspapiere ein Wasserzeichen in Form eines Schriftzeichens verwendet, dass eine vereinfachte Form seines Namens war. Dieses Zeichen war dann zu einer Art Qualitätssiegel von Meister Wangs Werkstatt geworden.

      Li hatte auch einige – wasserzeichenlose – Blätter aus der Produktion der Werkstatt von Meister Mohammed vor sich liegen, dazu ein paar Kohlestücke. Ein Wasserzeichen sollte zwar eine möglichst einfache Form haben, da allzu komplizierte Linienführungen am Ende gar nicht mehr in ihrer eigentlichen Form vom Betrachter erkannt werden konnten, aber gerade das machte die Schwierigkeit aus und so war es unumgänglich vorher einen gezeichneten Entwurf anzufertigen, nach dem das Metall dann gebogen und bearbeitet werden konnte.

      Maktub – es steht geschrieben.

      Diese Wendung ging Li ebenso wenig aus dem Kopf wie das Gesicht des Ritters aus dem unbekannten Saxland.

      Dieses Wort in den arabischen Buchstaben zu schreiben, fiel Li inzwischen nicht mehr schwer. Sie dachte an die Verzierungen innerhalb des Palastes, an den Moscheen und den Gebäuden, die oft dem Bild der Schrift nachempfunden waren. Sie dachte auch an die kunstvoll bearbeiteten Teller aus Kupfer, in die häufig das Glaubensbekenntnis der Muslime oder eine Sure des Koran so in das Metall eingraviert waren. Dabei bildeten die Buchstaben ein einziges Bild, das einem abstrakten Muster genauso ähnlich war wie einer Schrift. Die Buchstaben waren auf eine so kunstvolle Weise ineinander verschlungen, dass sie wie ein einziges Zeichen aussahen. Manchmal war ihre Form dem Feuer nachempfunden, wenn in der Sure vom Feuer des Glaubens die Rede war – oder sie erinnerten in ihrer Gestaltung an wucherndes Pflanzenwachstum, wenn die Wunder der Welt in einem Gebet gepriesen werden sollten.

      Wenn den Kupferschmieden von Samarkand so etwas mit den endlosen Buchstabenschlangen einer ganzen Koransure gelang, dann sollte etwas Ähnliches doch auch mit den wenigen Buchstaben von des Wortes Maktub möglich sein.

      Mehrfach malte Li die miteinander verbundenen Buchstaben dieses Wortes auf das Papier. Für ein Wasserzeichen war diese Form noch zu lang. Aber es musste möglich sein, sie so