„Ramón!“ rief Don Juan halblaut. „Männer!“
Die Gesichter, die zu ihm herumruckten, waren in der Dunkelheit als helle Flecken zu erkennen.
„Es geht los“, sagte Don Juan mit metallisch klingender Stimme. „Halse nach Steuerbord. Neuer Kurs Südwest.“
Ramón Vigil wiederholte den Befehl und legte Ruder. An den Schoten bewiesen die Männer, daß sie den Dreimaster aus dem fernen Algerien bereits bestens beherrschten. Der Bug der Schebecke schwang herum, und gleich darauf standen die rot-weißen Segel prall, als der schlanke Dreimaster platt vor dem Wind auf den Verband zujagte.
Gischtschwaden stiegen von der Bugwelle auf und wehten über die Decks. Die Männer standen unerschütterlich, geduckt und mit jeder Faser ihrer Nerven zum Angriff entschlossen.
Nach und nach zeichneten sich die Umrisse der Kriegsschiffe mit schärferen Linien in der Dunkelheit ab. Aus schmalen Augen taxierte Don Juan die zusammenschmelzende Distanz, gleichzeitig lauschte er angestrengt. Jeden Moment mußten die alarmierenden Rufe der Ausgucks auf den Kriegsschiffen zu hören sein. Noch bevor dies geschah, gab er das Kommando zur Kurskorrektur nach Westsüdwest. Wie ein zupackender Falke stieß die Schebecke auf die Flanke des Verbandes zu.
Sekunden später wurde die Stille zerrissen. Gellende Stimmen ertönten, gefolgt von wildem Befehlsgebrüll. Vom Schein der Hecklaternen immer deutlicher gezeichnet, wuchsen die mächtigen Umrisse der Kriegsschiffe buchstäblich auf den heranjagenden Dreimaster zu. Don Juans Männer duckten sich hinter den Drehbassen und harrten auf den Befehl, die schwenkbaren Hinterlader im entscheidenden Moment zu zünden.
Don Juan entschied sich für die zweite Galeone, die in der Backbordkolonne des Verbandes segelte. Diesmal würde er mitten in die Formation der schwimmenden Festungen hineinstoßen und eine weitere Ruderanlage in Trümmer schießen.
Im selben Moment, als er seine Entscheidung traf, durchzuckte es ihn siedendheiß. Die Schaluppen! An Steuerbord voraus schwärmten sie aus, die Wachhunde, die Cubera von der Leine gelassen hatte. Doch es waren keineswegs nur drei, wie er angenommen hatte.
Insgesamt fünf der wendigen Einmaster warfen sich dem Angreifer entgegen. Don Juan erstarrte sekundenlang. Er mußte begreifen, daß Cubera aus den bisherigen Nachtangriffen seine Lehre gezogen und zwei und zwei zusammengezählt hatte. Natürlich hatte er damit gerechnet, daß der Gegner wieder aus der Luvposition angreifen würde. Und so hatte er auf der Steuerbordseite des Verbandes lediglich eine Schaluppe belassen, während er die beiden anderen auf die Backbordseite beordert hatte. Insgesamt fünf Einmaster waren es also, die zum Gegenangriff übergingen.
Don Juan stieß einen Fluch aus. In der Dunkelheit hatte er die Umgruppierung der Schaluppen nicht bemerkt, und auch seinen Männern war dies entgangen. Doch jetzt war es zu spät, eine neue Taktik zu entwickeln. Unversehens hatte sich das Blatt gewendet. Die Männer auf der Schebecke gerieten von der Rolle des Angreifers in die des Verteidigers.
Zwei der Schaluppen lösten sich aus dem Pulk und stießen im Direktkurs auf den Dreimaster zu. Gleichzeitig schwärmten die drei anderen nach Ostnordost aus. Don Juan begriff sofort, während er in Gedanken blitzartig die möglichen Gegenmaßnahmen durchspielte. Ziel der beiden ersten Schaluppen war es, seinen Angriff zu verhindern. Von den drei übrigen Wachhunden sollte er inzwischen in die Zange genommen werden.
Währenddessen setzte sich das Gebrüll an Bord der großen Kriegsschiffe fort. Stückpforten wurden geöffnet, und die ersten Bronzemäuler der Geschütze lugten heraus. Gefechtsbereitschaft hatte wahrscheinlich ohnehin geherrscht. Diesmal wollte es Cubera wissen. Nur noch Minuten, schlimmstenfalls Sekunden konnten vergehen, bis die Galeonen und Karavellen ihre ersten Breitseiten abfeuerten.
Noch lag die Schebecke mit rauschender Fahrt auf Kurs Westsüdwest. Don Juan zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern und preßte die Lippen fester zusammen. Konnte er es trotz allem schaffen, in die Backbordflanke des Verbandes vorzustoßen?
Die Schaluppen, die sich von Steuerbord näherten, waren schnell, viel zu schnell. Auf fast eine Kabellänge war die Distanz zusammengeschrumpft, als Don Juan einsehen mußte, daß sich seine Erfolgsaussichten wie eine Gischtfahne verflüchtigten.
Grellrotes Feuer zuckte an Steuerbord auf. Das unverkennbare trockene Krachen von Drehbassen begleitete die Mündungsblitze. Auf beiden Schaluppen feuerten sie ihre Hinterlader in gut abgestimmter Folge ab. Orgelnd rasten die Eisenkugeln heran und rissen weißschäumende Säulen aus dem Wasser.
„Ramón!“ brüllte Don Juan. „Vier Strich Steuerbord! Und dann Feuer frei! Heizt ihnen ein!“
Zustimmendes, fast begeistertes Gebrüll ertönte von der Kuhl der Schebecke. Die Männer hatten begriffen, in welche Lage sie geraten waren. Ihr Kapitän hatte nicht anders entscheiden können. Unmöglich, noch in die verwundbare Flanke des Verbandes vorzudringen und gewissermaßen im Vorbeigehen ein Ruder zu Klump zu schießen. Jetzt hieß es, sich schleunigst zu verdrücken. Das wiederum war nur möglich, indem man nach Nordwesten hin durch die beginnende Umklammerung der Schaluppen entwich.
Hart krängte der Dreimaster nach Backbord, als Ramón Vigil Ruder gelegt hatte. Bei halbem Wind über Backbord segelnd, gewann die Schebecke doch im Handumdrehen wieder beachtliche Fahrt. Wenn man in dieser Situation überhaupt bestehen konnte, dann nur dank der Wendigkeit dieses Schiffes.
Für einen Moment geriet das Drehbassenfeuer der beiden Schaluppen ins Stocken. Verwirrung breitete sich aus – offenkundig.
„Damit haben sie nicht gerechnet!“ schrie Ramón Vigil.
In der Tat mußte es den Besatzungen der Einmaster so erscheinen, als wolle sich ihnen der fremde Dreimaster in einer Art Verzweiflungstat frontal entgegenwerfen.
„Bugdrehbassen Feuer!“ brüllte Don Juan.
Eine Sekunde später wummerten die Hinterlader los und schickten den Schaluppen ihre Eisenladung entgegen. Ein schwaches Bersten verkündete einen Treffer, wenn auch sicherlich nicht nennenswert.
„Ramón, geh höher an den Wind!“
Der Bootsmann befolgte die Anordnung augenblicklich, und in diesem Moment war es auch mit der Verwirrung an Bord der Schaluppen vorbei. Die Spanier erkannten die Absicht des ihnen unbekannten Gegners. Hart am Wind wollte er sich an ihnen vorbeimogeln und dabei auf Gegenkurs auch die drei übrigen Schaluppen abhängen. Letztere waren eben erst im Begriff, ihren nun nutzlosen Umklammerungsversuch abzubrechen und sich auf eine Verfolgungsjagd einzustellen.
Noch einen Vorteil sah Don Juan in seinem Manöver: Solange er sich an der Luvseite der beiden Angreiferschaluppen befand, war er vor den schweren Geschützen der Kriegsschiffe halbwegs sicher. Denn sie würden nicht riskieren, ihre eigenen Leute durch ihre Breitseiten in Gefahr zu bringen.
Trotzdem blieb der tödliche Wirkungsbereich der Drehbassen, in den die Schebecke nun unweigerlich geriet.
„Backborddrehbassen Feuer!“ befahl Don Juan.
Noch während er die letzten Silben ausstieß, hastete er zur Backbordverschanzung des Achterdecks und packte den dort befindlichen Hinterlader. Mit einem Ruck schwenkte er das geladene Bronzerohr nach Backbord voraus.
Mit einem kurzen Seitenblick sah er, daß sich Ramón Vigil hinter dem Ruder duckte. Auf den Bootsmann war Verlaß. Mit eisernen Fäusten würde er sie aus dem Geschoßhagel herausbringen.
Am Schanzkleid der Kuhl brüllten die ersten Drehbassen los. José Buarcos und Jorge Matteo, die beiden Männer von der gesunkenen Karavelle, waren unter den Schützen. Es mußte ein seltsames Gefühl für sie sein, auf die eigenen Landsleute zu feuern. Aber sie hatten sich den Zielsetzungen ihres neuen Kapitäns verschrieben, und sie wußten, daß es nicht Don Juans Absicht war, Menschen sinnlos niederzumetzeln.
Auch auf den beiden Schaluppen blitzte es jetzt auf, spärlich noch. Die Männer auf der Schebecke zogen die Köpfe ein, während