Wenn man überhaupt von einem Fehler sprechen konnte, so hatte ihn Don Garcia Cubera begangen, der es versäumt hatte, das Gepäck des Gouverneurs durchsuchen zu lassen. Keiner ahnte etwas, keinem fiel ein, unter dem Vorhang des Gouverneurs nachzusehen oder ihn gar einer Leibesvisitation zu unterziehen.
Cubera, der Erste und auch die anderen Offiziere der „San José“ hätten sich einen Don Antonio allerdings auch schwerlich mit einer Waffe vorstellen können. War er überhaupt dazu in der Lage, mit einer Pistole oder einem Messer umzugehen? Sie bezweifelten es – und auch das war ein Fehler.
Ein Irrtum, der böse Folgen hatte. Don Antonio war gefährlicher als ein Sack voller Giftschlangen. Scheinheilig stolperte er über das Hauptdeck, und alle begannen bei seinem Anblick spöttisch zu grinsen. Plötzlich aber stand er hinter dem Ersten Offizier und richtete sich hoch auf.
Die leidende, heuchlerische Miene fiel von ihm ab, sein Gesicht wurde hart. Seine Augen blickten kalt und gnadenlos. Mit einem Ruck seiner Schultern schüttelte er den Umhang ab, und dieser landete auf den Planken. Er hielt die Doppelläufige jetzt in seiner rechten Hand, ihre Mündungen bohrten sich dem Ersten ins Kreuz.
„Keine Bewegung!“ zischte Don Antonio. „Und keine Dummheiten, du Narr! Die Pistole ist echt! Die Hähne sind gespannt! Wenn ich abdrücke, bist du ein toter Mann!“
„Sie sind wahnsinnig“, sagte der Erste.
„Interessiert mich nicht.“
„Sie schaffen es nicht, dieses Schiff zu verlassen, das schwöre ich Ihnen“, sagte der Erste so ruhig wie möglich, obwohl sein Herzschlag sich beschleunigte. Ein Mann, der versucht hatte, den Kommandanten umzubringen, schreckte auch vor einem Schuß in den Rücken eines Offiziers nicht zurück.
„Überlaß das mir“, sagte Don Antonio kalt. „Du bist meine Geisel.“ Sein Blick richtete sich auf die Umstehenden. „Sollte einer wagen, auch nur einen Finger gegen mich zu krümmen, dann stirbt dieser Mann!“
Alle standen wie erstarrt da, keiner wagte, sich zu rühren. Daß es Don Antonio mit seiner Drohung ernst meinte, daran gab es nicht den geringsten Zweifel! Plötzlich waren sie alle unfähig, etwas zu unternehmen, und mußten voll ohnmächtiger Wut verfolgen, wie Don Antonio den Ersten beim Arm packte und ihn zum Backbordniedergang des Achterdecks zurückzerrte.
Don Antonios Gesicht war eine graue, steinerne Wüste. Eine Fratze des Schreckens, die sich binnen weniger Augenblicke beängstigend gewandelt hatte. Jedem Mann war klar, daß Don Antonio schießen würde, falls ihm jemand an den Kragen wollte.
Die Mordlust in seinen Augen war unverkennbar. Er zwang den Ersten, rückwärts mit ihm die Stufen des Niederganges hochzusteigen. Gemeinsam langten sie auf dem Achterdeck an. Don Antonio hielt sich dicht hinter dem Rücken seines Gefangenen. Keinem – auch dem besten und sichersten Schützen nicht – wäre ein Musketenschuß auf den Dicken gelungen, der ihn von dem Ersten wegkatapultiert hätte.
Unmöglich und undenkbar – vorerst schien es für den Ersten keine Rettung zu geben. Aber er gab nicht auf. Er begann wieder zu sprechen und versuchte, den Dicken zu beeinflussen oder zumindest zu irritieren.
„Sie wissen nicht, was Sie tun“, sagte er. „Überlegen Sie es sich, Don Antonio.“
„Schweig! Halt den Mund!“
„Der Capitán ist an Land gegangen.“
„Sein Glück, sonst hätte ich ihn als Geisel genommen.“
„Señor, er kann jeden Moment wiederauftauchen“, sagte der Erste. „Und vielleicht befindet er sich dann in Begleitung des Hafenkommandanten von Remedios.“
„Ach, wir sind hier in Remedios?“
„Ja. Hatte ich das noch nicht gesagt?“
„Nein“, erwiderte Don Antonio. Wild blickte er um sich, seine Augen weiteten sich. Die Offiziere auf dem Achterdeck wichen vor ihm zurück. „Remedios also – ich werde von hier aus nach Havanna zurückkehren, und dann gnade Gott euch allen, denn ich werde mich furchtbar an euch rächen.“
„Sie sitzen hier in der Falle, keiner läßt Sie durch. Don Garcia hat den Hafenkommandanten sicherlich längst darüber unterrichtet, daß Sie unter Arrest stehen.“
„Nein! Und wenn, dann untersteht der Hafenkommandant trotzdem meinem Kommando!“
„Señor, seien Sie vernünftig!“
In einer blitzschnellen Bewegung riß Don Antonio die Doppelläufige hoch und knallte dem Mann den verzierten Knauf gegen den Hinterkopf. Der Erste duckte sich, er stöhnte und griff sich mit beiden Händen an den Schädel. Er taumelte und mußte sich am Handlauf des Backbordschanzkleides festhalten.
Die Offiziere standen sprungbereit, und auch die Männer des Hauptdecks waren drauf und dran, das Achterdeck zu stürmen und sich auf den verhaßten Dicken zu stürzen. Aber er fuhr herum und richtete die Pistole auf den Mann, der ihm am nächsten stand.
„Ich habe zwei Schüsse!“ schrie er grell. „Zwei von euch Hundesöhnen nehme ich mit, wenn ihr die Helden spielen wollt! Also – wer ist der erste?“
Er trat wieder hinter den Ersten Offizier und zischte ihm zu: „Noch ein Wort, und ich schlage noch einmal zu! Ich will nichts mehr hören, verstanden?“
„Verstanden.“
Don Antonios Gesicht spiegelte Genugtuung und Triumph wider. Er schien nur darauf zu warten, wieder etwas gegen diesen Mann zu unternehmen, den er von Beginn an nicht hatte leiden können. Und er war dann ja auch mit ihm aneinandergeraten – als er, Don Antonio, das Kommando über die „San José“ hatte übernehmen wollen, nachdem Don Garcia Cubera über Bord geflogen war. Der Erste hatte sich unnachgiebig gezeigt – und Don Antonio präsentierte ihm jetzt die Rechnung dafür.
„Meine Lakaien!“ fuhr er ihn an. „Wo sind sie?“
„Im Vorschiff.“
„Meine Lakaien zu mir!“ rief Don Antonio. „Sofort!“
„Profos“, sagte der Erste. „Führen Sie den Befehl aus.“
Wenig später erschienen die vier Lakaien an Deck. Sie blickten sich um und schienen zu überlegen, auf wessen Seite sie jetzt zu stehen hatten. Sie entschieden sich für Don Antonio. Er hatte ihnen immer Geld für ihre Dienste zugesteckt und es ihnen an nichts mangeln lassen, weil er sie brauchte. Gomez Guevara war tot, und so würde einer von ihnen aufrücken und bald den Posten des Kammerdieners übernehmen. Alle vier rechneten sie sich Chancen aus, und auch dieser Grund war mit ausschlaggebend für ihre Loyalität.
„Kommt zu mir!“ rief Don Antonio. „Hierher! Gebt ihnen Pistolen! Na los, wird’s bald!“
„Das können Sie nicht verlangen“, sagte der Zweite Offizier.
„Achtung!“ stieß Don Antonio hervor. „Ich zähle bis drei. Dann rückt ihr Dreckskerle mit den Pistolen raus, oder ich schieße euren Ersten zum Krüppel. Also – eins!“
„Profos“, sagte der Erste. „Befolgen Sie auch diesen Befehl.“
„Siehst du“, sagte Don Antonio mit hämisch verzerrtem Gesicht. „Jetzt hast du Angst. Und wie du dich fürchtest! Hast du die Hosen voll?“
„Nicht daß ich wüßte.“
„Sag mir, daß du die Hosen voll hast!“ zischte Don Antonio. Der Druck der Pistole verstärkte sich.
„Ich habe Angst, Señor“, sagte der Erste gepreßt. „Aber das kann sich schnell wieder ändern.“
Der Profos hatte den vier Lakaien Pistolen ausgehändigt. Sie nahmen sie grinsend in Empfang, ließen sich auch Pulver und Kugeln geben und enterten das Achterdeck.
Somit hatte sich Don Antonio de Quintanilla also eine Leibwache geschaffen.
„Sehr