„Alles in Ordnung?“ fragte er ihn.
Der Erste rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Jetzt wieder, Señor Capitán. Aber Sie können mich wegen meines Verschuldens zur Verantwortung ziehen. Ich stehe voll dafür ein. Nur durch mein Versagen konnte Don Antonio diesen Handstreich durchführen.“
„Das stimmt nicht ganz“, sagte Cubera. „Ich habe mir auch einiges vorzuwerfen. Also vergessen wir das Ganze am besten. Die Hauptsache ist ja, daß ihm die Flucht nicht geglückt ist.“
„Danke, Señor Capitán.“
„Wie wäre es, wenn Sie sich jetzt trockene Sachen anziehen würden?“
Der Erste verschwand im Achterdeck. Don Garcia Cubera und der Hafenkommandant suchten die Kapitänskammer auf, um zu beraten.
Am Nachmittag dieses 22. Juli 1594 verließ der Kriegsverband Remedios und ging wieder auf Ostkurs. Eine Kriegskaravelle hatte sich hinzugesellt, so daß Don Garcia Cubera nunmehr über sechs Kriegsgaleonen und drei Kriegskaravellen verfügte.
Ferner begleiteten sechs Schaluppen, armiert mit Drehbassen und verstärkt mit Seesoldaten und Seeleuten der „Gaviota“ sowie der beiden zuletzt beschädigten Kriegsgaleonen, den Verband.
Weitere Zwischenfälle, so schwor sich Don Garcia Cubera, sollte es nun nicht mehr geben. Das Ziel, die Schlangen-Insel des Philip Hasard Killigrew und des Bundes der Korsaren, mußte ohne Verzögerungen so schnell wie möglich erreicht werden …
ENDE
1.
Die Umrisse der Kriegsschiffe waren in der Dunkelheit mehr zu ahnen, als wirklich zu erkennen. Mächtige, drohende Schatten waren es, die der Nordostwind über das Karibische Meer trieb – unaufhaltsam und wie von einem Eigenleben beseelt, das nur den einen unerschütterlichen Willen kannte: Kurs auf die Schlangen-Insel. Tod den blutrünstigen Piraten unter dem Engländer Philip Hasard Killigrew!
Ja, mit ihren schattenhaften Silhouetten wirkten jene Kriegsgaleonen und Kriegskaravellen wie urwelthafte Wesen, deren ruhiges Dahinrauschen ein trügerisches Bild vermittelte. Von den Schaluppen wie von bissigen Wachhunden abgeschirmt, würden sie sich in Minutenschnelle in Feuer und Eisen speiende Ungeheuer verwandeln. Eine geballte, tödliche Vernichtungskraft würde sich dabei entwickeln, gegen die nur ein fast übermenschliches Maß an Entschlossenheit und Tapferkeit zur Verteidigung ausreichen mochte.
Don Juan de Alcazar war kein Mann, der sich von düsteren Stimmungen in einen Gedankenwinkel treiben ließ, in dem es keine Klarheit mehr gab. Auch unter den widrigsten Umständen war er ein Mann der Tatkraft und der nüchternen Überlegtheit. Der Seewolf und seine Gefährten hatten dies erkannt, als er noch im feindlichen Lager gestanden hatte. Jetzt aber, da er sich auf die Seite des Bundes der Korsaren geschlagen hatte, war er bereit, die Ziele seiner neugewonnenen Freunde mit aller Kraft zu verfolgen.
An diesem Abend des 22. Juli Anno 1594 vermochte Don Juan indessen einen Hauch von Unbehagen nicht zu unterdrücken. Sicherlich lag das mehr an der Vorstellung dessen, was den Verteidigern der Schlangen-Insel bevorstand. Würde den Männern um Philip Hasard Killigrew überhaupt genügend Zeit bleiben, um sich auf den unvermeidlichen Großangriff vorzubereiten?
Und wie sah es mit ihren Chancen aus, im Kampf gegen Capitán Cubera zu bestehen? Don Juan kannte den Verbandsführer. Ein erfahrener Seeoffizier, an dem sich schon mancher Gegner die Zähne ausgebissen hatte. Cubera hatte das Seekriegshandwerk in jenen großen Kämpfen erlernt, die sicher noch in den Geschichtsbüchern späterer Jahrhunderte Erwähnung finden würden. Zweifellos war dieser Mann dem Seewolf ebenbürtig.
Die Überlegenheit des in Havanna zusammengestellten und später ergänzten Kampfverbandes beruhte jedoch neben seiner Feuerkraft auch auf der Zahl der an Bord befindlichen Seesoldaten und Seeleute. Insgesamt zweitausend Mann mußten es jetzt wieder sein, gegen die der Bund der Korsaren rein zahlenmäßig wie ein Zwerg wirkte. Nur durch Klugheit und geschickte Taktik konnten Killigrew und seine Freunde gegen diese Übermacht vielleicht bestehen.
Die Ungewißheit war es, die Don Juan in verschiedener Hinsicht plagte. Neben dem Schicksal des Bundes der Korsaren ging es vor allem um die Frage, ob er durch seine Störangriffe auf den Verband für genügend Aufschub gesorgt hatte.
Und jetzt, da er vom Achterdeck der Schebecke aus in die Dunkelheit spähte, stand im Vordergrund die Frage, ob der Verband den hartnäckigen Fühlungshalter gesichtet hatte. Mit seinem schwarzen Rumpf, dem roten Schanzkleid und den rotweiß gestreiften Lateinersegeln war der Dreimaster zweifellos nur auf geringe Entfernung zu erkennen. Dennoch konnte man nach den jüngsten Ereignissen nicht mehr ganz sicher sein. Cubera war gewarnt und hatte sich auf die Bedrohung aus dem Dunkel eingerichtet.
Erst in den Nachmittagsstunden dieses zur Neige gehenden Tages hatte Don Juan das Auslaufen des Kampfverbandes aus Remedios beobachtet. Zumindest zu jenem Zeitpunkt konnte er von den Ausgucks des spanischen Verbandes auf keinen Fall bemerkt worden sein. Ankerplatz der Schebecke war die Bucht einer dem Hafenort vorgelagerten Insel gewesen. Dieses Eiland, das zur Gruppe der Cayo-Fragoso-Inseln gehörte, hatte ausgezeichnete Versteckmöglichkeiten geboten.
Als unschätzbarer Vorteil hatten sich überdies die kurzen Pfahlmasten der Schebecke erwiesen. Unter den überhängenden Zweigen des Uferdickichts war der Dreimaster nahezu unsichtbar gewesen. Auch die Möglichkeit des Riemenantriebs erwies sich in solchen Situationen immer wieder als günstig, denn die Schebecke konnte dadurch in problematischen Gewässern rasch und mühelos verholen.
Nach den vorangegangenen Ereignissen hatten Don Juan, Ramón Vigil und die anderen voller Spannung darauf gewartet, welche Entscheidungen Cubera treffen würde.
Noch gemeinsam mit Arne von Manteuffel hatten Don Juan und seine Männer einen weiteren nächtlichen Angriff auf den Verband gefahren, wobei die Ruderanlagen der beiden in Schlußposition segelnden Karavellen beschädigt worden waren. Ausgerechnet hatte es dabei die „Gaviota“ ein zweites Mal getroffen. Dieses Mal allerdings so erheblich, daß die Karavelle – mit einem Notruder versehen – nach Remedios schleichen mußte. Die andere Karavelle hatte es weniger schlimm erwischt. Ihr Ruder war mit Bordmitteln repariert worden.
Wenn er sich vorstellte, wie Capitán Cubera und seine Offiziere angesichts der rätselhaften Angriffe in Wut geraten waren, konnte sich Don Juan auch jetzt noch eines Lächelns nicht erwehren.
Er hatte Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn in dem Hafenort La Isabela, nördlich von Sagua la Grande gelegen, abgesetzt. Der Vetter des Seewolfs mußte unbedingt seine Tarnrolle als deutscher Kaufherr in Havanna wieder aufnehmen. In diesem Punkt waren, sich Arne und Don Juan nach kurzer Besprechung einig gewesen.
Die Schebecke war anschließend der „Gaviota“ nach Remedios gefolgt. Zwei Galeonen, vom Kapitän der Karavelle als Unterstützung für den Kampfverband in Marsch gesetzt, hatten unliebsame Bekanntschaft mit der Feuerkraft und der Wendigkeit des algerischen Dreimasters schließen müssen.
Don Juan und seine Männer hatten ihnen die Ruderanlagen zerschossen, und die Galeonen hatten sich beim Rammstoß hoffnungslos ineinander verkeilt. Nachdem der herannahende Kampfverband Hilfe geleistet hatte, war Cubera kurze Zeit später offenbar in Remedios an Land gegangen, um seine weiteren Maßnahmen zu treffen.
Das Ergebnis hatte Don Juan in den Nachmittagsstunden aus sicherem Versteck heraus beobachtet. Nach dem Auslaufen aus Remedios hatte der Verband wieder seine alte Marschformation eingenommen. Vorn in der Mitte segelte das Flaggschiff „San José“, und ihm folgten zu beiden Seiten in Kiellinie je vier Kriegsschiffe. An den beiden Außenflanken der Galeonen und Karavellen segelten wiederum jeweils drei Schaluppen.
Die letztere Beobachtung gefiel Don Juan ganz und gar nicht. Der Verband war also in Remedios mit einer Karavelle und sechs Schaluppen aufgefüllt