Vigil und die anderen Geschützführer feuerten in das Wummern der Culverinen hinein. Ein Höllenlärm entstand, aber das Dröhnen der Kanonen und das Geschrei der Männer zu beiden Seiten waren im Vergleich zu der Wirkung der Kugeln übertrieben. Viel Lärm um nichts – die Kugeln klatschten ins Wasser, keine saß im Ziel.
„Ab!“ sagte Don Juan. „Gleich haben wir den ganzen Verband am Hals!“ Er hatte recht, denn schon wurde auch an Bord der anderen Schiffe manövriert.
Aber die Schebecke verschwand wie ein Spuk in der Nacht. Auch ein guter Ausguck wie Raúl Casaderes vermochte nicht zu verfolgen, auf welchem Kurs sie sich absetzte – und es hatte nicht den geringsten Sinn, jetzt noch die Verfolgung aufzunehmen.
Dieser Ansicht war auch Don Garcia Cubera. Er gab den Befehl, weitere Aktionen zu unterlassen und erneut vor Treibanker zu gehen. An Bord der „Guadalquivir“, so wurde ihm durch Don Pedro Alfonsin mitgeteilt, hatte es weder Tote noch Verletzte gegeben, und dieses Mal hatte die Schebecke keinen Erfolg gehabt: Die Ruderanlage war noch intakt. Nur der Heckgalerie des Schiffes fehlten ein paar Holztraljen, und der Steven war leicht angekratzt durch die Drehbassenkugeln. Es waren jedoch keine Schäden, die die „Guadalquivir“ an einer Weiterfahrt hinderten.
Ob die Schebecke getroffen war oder nicht, hatte niemand beobachtet, auch Casaderes nicht. Dennoch waren die Spanier mit sich selbst zufrieden.
„Diesmal haben wir es den Hunden gegeben“, sagte Alfonsin grimmig. „So schnell tauchen die nicht wieder auf.“
„Wenn sie das nächstemal erscheinen, kriegen sie den Rest“, sagte auch Don Garcia Cubera zuversichtlich. Das Manöver an den beiden ineinandergeratenen Kriegsgaleonen konnte nun zum Abschluß gebracht werden.
Don Antonio de Quintanilla lag auf dem Boden seiner Kammer und traf Anstalten, in ein Schapp unter der Koje zu kriechen. Es war jedoch nicht die Angst vor dem unheimlichen Feind, die ihn dazu veranlaßte. Er wußte, daß der Angriff einem Schiff gegolten hatte, das am Ende, des Verbandes lag. Und er stellte auch keine großen Überlegungen darüber an, ob es sich tatsächlich um Don Juan de Alcazar mit der Schebecke gehandelt hatte oder nicht. Ihm ging es momentan um etwas anderes.
Ein Teil seines Gepäcks, so war ihm endlich eingefallen, war in dem Kojenschapp verstaut worden. Sein ganzes Bestreben war jetzt darauf ausgerichtet, die Pistole zu finden und an sich zu bringen – falls es sie wirklich gab. Er mußte unbedingt wissen, ob sie tatsächlich existierte oder ob er sich das nur einbildete.
Notruder wurden an Bord der beiden beschädigten Kriegsgaleonen gebaut – und wieder verstrich kostbare Zeit. Die Dunkelheit wich ersten heraufziehenden grauen Schleiern, die den Morgen ankündigten. Im einsetzenden Licht hielten die Toppgasten auf allen Galeonen und Karavellen des Kriegsverbandes noch einmal nach der Schebecke Ausschau, aber rundum war nichts mehr von ihr zu entdecken. Keine Mastspitzen zeigten sich an der Kimm, nichts geschah.
Don Garcia Cubera hatte sich ausführlich mit den Kapitänen der beiden verunglückten Galeonen unterhalten und bei dieser Gelegenheit erfahren, daß in Remedios noch eine Kriegskaravelle lag. Zum Zeitpunkt des Auslaufens der beiden Galeonen war sie nicht seeklar gewesen, doch inzwischen mußte auch sie fertig zum In-See-Gehen sein. Daher gab Cubera den Befehl, nunmehr Remedios anzusteuern – mit dem ganzen Verband.
Als die Sonne gelblichweiß aus der See stieg, lichteten die Schiffe die Treibanker und setzten die Segel. Die beiden beschädigten Galeonen vermochten nur langsame Fahrt zu laufen, folglich stellten sich die anderen darauf ein. Nur mit Besan und Fock schlichen sie dahin, und es sollte einige Zeit dauern, ehe sie den Hafen erreichten.
Die Kriegskaravelle von Remedios sollte dem Verband eingegliedert werden, da Don Garcia Cubera ohnehin auf die Verstärkung durch die beiden Galeonen verzichten mußte. Aber er hatte unterdessen auch noch einen anderen Plan gefaßt.
Schaluppen sollten dem Verband zugeordnet werden. Sie sollten als Avisos benutzt werden, als Aufklärer also, die einen doppelten Zweck erfüllen würden. Zum einen war Cubera der nächtlichen Überfälle überdrüssig. Er wollte dafür sorgen, daß es zu derartigen Überraschungen nicht mehr kam. Besser als die Jollen würden die Schaluppen den Verband nach allen Seiten abschirmen, so daß ein neuerliches Auftauchen der Schebecke sicherlich rechtzeitig genug gemeldet werden konnte. Zum anderen benötigte der Kommandant Landungsboote, um die Pirateninsel besetzen zu können, sobald die feindliche Abwehr durchbrochen war.
„Eine gute Idee, Señor“, sagte auch der Erste Offizier der „San José“, als Cubera mit ihm darüber sprach. „Die Gefährlichkeit der nächtlichen Überfälle kann gewiß verringert werden.“
„Wir werden die Schaluppen rings um den Verband postieren.“
„Als Jagd- und Wachhunde sozusagen?“
„Ja. Und ich kann nur hoffen, daß sie den Gegner irgendwann schnappen und tüchtig zubeißen.“
„Auch wenn es sich um Don Juan handelt?“
„Natürlich“, entgegnete Cubera mit ernster Miene. „Wer immer die Schebecke befehligt, er muß nach Möglichkeit gestellt, gefaßt und bestraft werden. Keiner darf wagen, einen spanischen Kriegsverband hinterhältig zu überfallen. Wenn es sich um einen Landsmann handelt, wiegt die Sache doppelt schwer.“
Undeutlich vernahm auch Don Antonio de Quintanilla diese Worte, die auf dem Achterdeck der „San José“ gesprochen wurden. Er hatte es aufgegeben, zu lauschen und zu versuchen, etwas von dem Gesagten zu verstehen. Es war unmöglich. Er konnte allenfalls raten, was Cubera und der Erste sich mitzuteilen hatten. Aber es interessierte ihn inzwischen auch nicht mehr.
Er hatte seine Suche abgeschlossen und war fündig geworden. Er war verschwitzt, sein Gesichtspuder war verwischt und verschmutzt, und auch die Perücke hatte er wieder einmal verloren. Aber all das kümmerte ihn nicht. Er saß auf dem Boden seiner Achterdeckskammer und hielt in den Händen, wonach er so verzweifelt geforscht hatte: eine doppelläufige Radschloßpistole.
Der Posten, der vor dem Schott der Kammer Posten bezogen hatte, ahnte davon nichts. Niemand wußte davon, und niemand würde es erfahren, ehe nicht der geeignete Moment gekommen war. Don Antonio hatte eine Pistole – und er würde sie zu benutzen verstehen.
Natürlich hatten seine Lakaien auch das Pulver und die Kugeln nicht vergessen, als sie die Sachen für die Überfahrt zu den Caicos-Inseln gepackt hatten. Don Antonio grinste, sein Gesicht war eine einzige verzerrte Fratze. Mit langsamen, umständlich wirkenden Bewegungen begann er, Pulver aus dem kleinen Horn in die Läufe der Pistole zu schütten und die Kugeln einzuführen.
Rache ist süß, dachte er, wartet nur, ihr werdet noch euer blaues Wunder erleben.
Die Gesichter von Don Garcia Cubera und dem Ersten Offizier der „San José“ tauchten im Geist vor ihm auf. Seine Augen weiteten sich, sie hatten einen fanatischen Glanz. In seinen Gedanken verwünschte er sie in die tiefsten Schlünde der Hölle.
Gegen neun Uhr langte der Verband im Hafen von Remedios an. Die „San José“ vertäute an der Pier, die anderen Schiffe ankerten auf der Reede. Die Ausguckposten waren besetzt, und der Verband blieb klar zum Gefecht.
Capitán Don Garcia Cubera begab sich sofort an Land, um dem Hafenkommandanten seine Wünsche auseinanderzusetzen. Die beiden beschädigten Kriegsgaleonen wurden unterdessen zur Werft bugsiert, wo ihre Ruderanlagen wieder instand gesetzt werden würden. Cubera warf ihnen noch einen Blick zu, ehe er die Hafenkommandantur betrat, und er dachte unwillkürlich: Herrgott, wie viele Schwierigkeiten wird es noch geben, bis wir die Insel der Engländer erreichen?
Er ahnte nicht, daß ihm die nächste üble Überraschung bereits unmittelbar bevorstand.
7.
Don Antonio de Quintanilla hatte sich – so gut es ging – in einen leidlich präsentablen Zustand zurückversetzt. Sein Gesicht