Ja, er wollte die „San José“ verlassen. Für immer. In Remedios fand er vielleicht keine Zuflucht, aber es würde sich eine Gelegenheit ergeben, auf dem Landweg nach Havanna zurückzukehren. Vielleicht mit einer Kutsche? Irgendwie würde es schon klappen, und wenn er erst wieder in seiner Residenz war, konnte er Cubera, den Verband und den angedrohten Prozeß vergessen. Nur dort, im Palast an der großen Plaza von Havanna, fühlte er sich richtig sicher. Dort wußte er, wie er sich zu verhalten hatte, wenn es neue Bedrohungen gab. Dort fürchtete er weder Tod noch Teufel.
Überhaupt – diese Frage stellte er sich in diesem Augenblick wieder –, warum hatte er Havanna jemals verlassen? Hätte er Cubera nicht beauftragen können, alle Schätze der Schlangen-Insel nach Havanna zu bringen? Cubera, der Pflichtbewußte, hätte es sicherlich getan. Aber er hatte ihm nicht getraut, und das war der ausschlaggebende Grund dafür gewesen, daß er, Don Antonio, mit großem Aufwand an Bord dieses verdammten, elenden Flaggschiffs gegangen war.
Nun, er konnte es nicht mehr ändern, und es hatte auch keinen Sinn, sich jetzt noch mit Selbstvorwürfen herumzuquälen. Was geschehen war, war geschehen. Jetzt hing alles davon ab, die Lage klug zu nutzen – oder einfach den Spieß umzudrehen. Don Garcia Cubera bedrohte und demütigte ihn. Er, Don Antonio, konnte sich dafür revanchieren, wenn er es nur geschickt genug anstellte.
Don Antonio zog sich den fast knöchellangen Umhang über die Schultern. Von der Pistole, die er sich in den Gurt geschoben hatte, war nichts zu sehen. Nur ihm persönlich bereitete sie einige Schwierigkeiten, denn sie drückte gegen seinen dicken Bauch, und das war nicht sehr angenehm. Aber er ertrug es. Für die Rettung war ihm kein Opfer zu groß, kein Aufwand zu hoch.
Er trat an das Schott und hämmerte mit der rechten Faust dagegen. „Aufmachen! Sofort aufmachen!“
„Señor“, sagte draußen auf dem Gang der Posten, „Sie wissen genau, daß ich Ihnen nicht öffnen darf. Sie haben nach wie vor Kammerarrest.“
„Das weiß ich, du Narr! Aber ich verlange den Ersten Offizier zu sprechen. Sofort! Auf der Stelle!“
„Señor …“
„Das ist nicht gegen die Vorschriften! Ich befehle dir, den Ersten Offizier unverzüglich zu unterrichten!“
„Aus welchem Grund sollte ich es tun?“
„Ich will ihn sprechen!“
„Warum?“
„Du elender Hundesohn!“ zischte Don Antonio. „Mit dir rechne ich noch ab! Du entgehst deiner gerechten Strafe nicht! Was glaubst du wohl, wen du vor dir hast?“
„Den Gouverneur von Havanna, Señor.“
„Geh endlich und führ den Befehl aus!“
„Señor, ich bin nicht befugt, von Ihnen Befehle entgegenzunehmen“, sagte der Posten, ein biederer Sargento mit schütterem Haar. Er war sonst sehr friedlicher Natur. Aber im Falle Don Antonios konnte auch er sich dem Verlangen nicht entziehen, diesem dicken Kerl heimzuzahlen, was er ihnen an Unannehmlichkeiten schon bereitet hatte, seit er an Bord der „San José“ war.
Der heimtückische Mordanschlag auf das Leben von Don Garcia Cubera war der Gipfel, und kein Mann zweifelte daran, daß der Gouverneur dahintersteckte und Guevara von ihm zu der Tat angestiftet worden war, wobei er ihm einen Beutel voll Goldmünzen zugesteckt hatte. Don Antonio hatte zwar behauptet, Guevara habe ihm diesen Beutel gestohlen, aber das glaubte niemand.
Don Antonio hieb mit beiden Fäusten gegen das Schott und stieß einen Schwall von Flüchen aus. Er begann mit den Füßen zu trampeln und zu toben, doch all das nutzte ihm nichts. Der Sargento blieb unbeeindruckt. Er lehnte sich auf der dem Schott gegenüberliegenden Seite des Ganges mit dem Rücken gegen die Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den Dicken wettern und fluchen.
„Bastard!“ brüllte Don Antonio. „Hurersohn! Ich lasse dich vor ein Gericht stellen und erschießen!“
„Vielleicht sterben wir gemeinsam, wer weiß“, murmelte der Sargento. „Aber ich habe den Eindruck, du beißt noch vor mir ins Gras, du Fettsack.“
Das Schott des Achterkastells wurde von außen geöffnet, der Erste Offizier streckte seinen Kopf herein.
„Was ist los, Sargento?“ fragte er. „Was hat der Lärm zu bedeuten?“
„Don Antonio protestiert“, erwiderte der Mann gelassen. „Er will Sie sprechen, sagt er. Ich habe aber die Anweisung, meinen Posten nicht zu verlassen.“
„Richtig.“ Der Erste betrat den Gang und schritt auf Don Antonios Kammer zu. Innen wurde es wieder ruhiger. Don Antonio hörte auf zu poltern und zu trampeln. Nur seine heftigen, japsenden Atemzüge waren jetzt noch zu vernehmen.
„Señor Gouverneur“, sagte der Erste. „Hier bin ich. Sie haben nach mir verlangt, höre ich?“
„Ja“, ertönte es dumpf aus der Kammer. „Ich will an Deck. Fragen Sie den Capitán, ob ich nicht wenigstens ein bißchen frische Luft schnappen kann.“
„Don Garcia befindet sich nicht an Bord.“
Nicht? dachte Don Antonio. Nun, das ist vielleicht gar nicht so schlecht und erleichtert mir die Sache.
„Wer vertritt ihn?“
„Ich, Señor.“
„Dann entscheiden Sie.“ Don Antonio war darum bemüht, seiner Stimme einen freundlicheren Klang zu verleihen. „Ich – möchte nur ein bißchen frische Morgenluft einatmen, sonst nichts. Ich bitte Sie darum.“
„Das klingt schon besser“, sagte der Sargento. „So hat er mit mir aber nicht gesprochen. Er hat mich einen Bastard und Hurensohn genannt.“
„Vergessen Sie es“, sagte der Erste. Er überlegte kurz, dann traf er seine Entscheidung – und wußte nicht, wie fatal sie noch für ihn ausfallen sollte. „Ich bin einverstanden, Señor“, sagte er. „Sie können einen Spaziergang an Deck unternehmen und sich die Beine vertreten – unter Bewachung natürlich, das versteht sich von selbst.“
„Ja.“
„Sargento, öffnen Sie das Schott.“ Der Erste dachte darüber nach, ob er richtig handelte. Wie hätte Don Garcia Cubera sich verhalten? Einen Wunsch wie diesen konnte man einem Gefangenen nicht abschlagen. Laut dem Reglement der spanischen Marine hatten unter Kammerarrest stehende Offiziere Anspruch darauf, wenigstens zweimal am Tag an die frische Luft zu dürfen.
Der Dicke war zwar kein Offizier, aber was für einen Schiffsoffizier galt, stand logischerweise natürlich auch dem Gouverneur von Kuba zu. Somit handelte der Erste den Vorschriften entsprechend, und niemand konnte ihm deswegen etwas vorwerfen.
Der Sargento öffnete das Schott, und Don Antonio de Quintanilla taumelte auf den Gang. Er schien aschgrau zu sein, aber das war auch auf den vielen Gesichtspuder zurückzuführen. Mit einer Hand hielt er die Aufschläge seines Umhanges fest, mit der anderen tastete er nach einem Halt.
„Ich brauche – dringend frische Luft!“ stieß er hervor. „Madre de Dios, mir ist schlecht!“
„Warum haben Sie das nicht eher gesagt?“ fragte der Erste. „Sind Sie wieder seekrank?“
„Ich weiß es nicht.“
„Sieht mir aber ganz danach aus. Kommen Sie.“ Der Erste ging voraus, Don Antonio folgte ihm wankend, und hinter ihnen schritt der Sargento. Don Antonio tat den beiden nicht leid, im Gegenteil, sie gönnten ihm sogar, daß ihm übel war.
Den Seekranken zu mimen schien Don Antonio die richtige Taktik zu sein. Zwar blickte der Sargento mißtrauisch drein, aber auch er fiel darauf herein. Einem stöhnenden und torkelnden Mann, der sich augenscheinlich jeden Moment übergeben mußte, traute man