Fast gemächlich näherte sich der Verband den verunglückten Schiffen, dann drehte er bei, und die „San José“ glitt auf Rufweite an die Kriegsgaleonen heran. „Hier Capitán Cubera!“ schrie er. „Was ist geschehen?“
„Wir sind überfallen worden, Señor!“ rief einer der beiden Kommandanten zurück. „Man hat uns die Ruderanlagen zerschossen, und dann hat es zu allem Unheil auch noch die Ramming gegeben!“
„Haben Sie den Angreifer erkannt?“
„Einer meiner Männer hat ihn gesehen, Señor Capitán!“ erwiderte der zweite Galeonenkommandant. „Es hat sich um einen Dreimaster unter Lateinerbesegelung gehandelt!“
Cubera zerbiß einen Fluch. „Dieser verdammte Don Juan“, murmelte er.
„Wenn er es ist, Señor“, sagte der Erste Offizier.
„Er ist es, verlassen Sie sich drauf. Woher konnte er wissen, daß diese beiden Galeonen zu meinem Verband stoßen sollten?“
„Das ist auch mir ein Rätsel, Señor.“
„Gleichviel, es hat keinen Sinn, darüber herumzugrübeln“, sagte Cubera. „Die Situation verlangt nach Aktion, Señores.“
Er übersah die Lage und glaubte zu wissen, wie man sie wieder in den Griff kriegen konnte. Die Rammgaleone mußte vorn geleichtert werden. Die Besatzung hätte dies gleich tun können – aber sie hatte es versäumt. Der Kommandant des Schiffes begriff jetzt, daß er einen schweren Fehler begangen hatte, als er nicht sofort daran gedacht hatte.
Doch Vorwürfe nutzten jetzt nichts mehr. Es mußte sofort etwas geschehen, sie vergeudeten sonst nur weitere kostbare Zeit. Sofort begaben sich die Männer an Bord der Rammgaleone ans Werk und begannen mit dem Umstauen der Ladung in den Pulver- und Munitionsdepots, der Kombüseneinrichtung und alles anderen, was sich nach achtern schaffen ließ. Auch die Drehbassen der Back wurden aus ihren Gabellafetten gehoben und nach achtern getragen.
Es herrschte emsige Betriebsamkeit, die Zeit verstrich wie im Flug. Das Auftauchen des Verbandes vermittelte den Männern an Bord der beiden verunglückten Schiffe ein Gefühl des Auftriebs und der Stärke, gleichzeitig spürten sie die Solidarität der anderen Besatzungen, die ihnen gut nachempfinden konnten, wie ihnen zumute war.
Don Garcia Cubera, der entschlossen und umsichtig zu Werke ging, war überdies der richtige Führer. Verzweiflung und Resignation schienen ihm fremd zu sein. Unter seinem Kommando konnte man überzeugt sein, stets das Richtige zu tun. Natürlich konnten auch ihm Fehler unterlaufen – aber daran dachte keiner, wenigstens zu diesem Zeitpunkt nicht.
Der einzige, der gegen Don Garcia Cubera war und ihn von Herzen haßte, war Don Antonio de Quintanilla, der nach wie vor in seiner Kammer auf der Koje hockte und die finstersten Rachepläne ausbrütete. Er hatte wieder in seinem Gepäck zu kramen begonnen, doch wieder ohne jegliches Ergebnis. Hatte er nun eine Pistole oder nicht? Er wußte es immer noch nicht.
Draußen gingen die Arbeiten ununterbrochen weiter. Als sich der Schwerpunkt der Rammgaleone mehr nach achtern verlagert hatte, gelang es unter dem Einsatz weiterer Jollen des Verbandes, die Rammgaleone aus der anderen Galeone zu ziehen. Wieder wurde viel von den Jollenbesatzungen gefordert, doch ihre Kräfte reichten diesmal aus. Als sie merkten, daß ihr Pullen Erfolg hatte, verdoppelten sie ihre Anstrengungen und feuerten sich gegenseitig an.
Dieser kritische Moment verlangte den Besatzungen aller Kriegsschiffe ihre volle Aufmerksamkeit ab. Selbst die Ausguckposten waren durch das Manöver abgelenkt – und so registrierte keiner von ihnen rechtzeitig genug das Nahen des Gegners, der diesen Augenblick ausnutzte und sich als schmaler Schattenriß von Norden heranschob.
Ja, das Warten hatte sich für Don Juan de Alcazar gelohnt. Wieder bot sich ihm eine Lücke, eine Schwäche des Gegners – eine Chance. Er durfte sie nicht verspielen, er mußte sie wahrnehmen. In dem Moment, in dem die Jollenbesatzungen mit ihrem Manöver begonnen hatten, hatte er wieder die Segel setzen lassen, und die Schebecke glitt auf die Lichter des Verbandes zu.
Als Zielobjekt hatte sich Don Juan dieses Mal eine Kriegsgaleone ausgesucht, die in Luv des Verbandes vor Treibanker lag. Wuchtig ragte das Schiffsgebäude auf, erhellt durch eine Heck- und eine Ankerlaterne. Die scharfgezeichneten Konturen warfen bizarre Muster auf die Wasserfläche. Leicht hob und senkte sie sich in der Dünung, der lange, aufragende Bugspriet stach wie ein dürrer Finger in die Nacht. Sämtliche Besatzungsmitglieder hatten sich am Schanzkleid versammelt und spähten zu den beiden Galeonen hinüber, die soeben voneinander getrennt wurden. Keiner schien sich um das zu kümmern, was in Luv vor sich ging – aber das war eben nur der Anschein. Diesmal täuschten sich Don Juan und seine Crew: Ihr Nahen wurde doch bemerkt.
Der Ausguck der spanischen Kriegsgaleone war auf der Hut. Sein Kapitän hatte ihm wie auch den anderen Männern auf den verantwortlichen Posten angedroht, sie auspeitschen zu lassen, wenn sie ihre Pflichten vernachlässigten. Auch der Ausguck – er hockte im Großmars – war ständig versucht, seinen Blick auf die beiden verunglückten Schiffe zu richten, aber gleichzeitig zwang er sich, immer wieder prüfend in die Runde zu schauen.
„Guadalquivir“ hieß die Galeone. Ihr Kapitän war Don Pedro Alfonsin, und der Name des Ausgucks lautete Raúl Casaderes. Die Besatzung samt der Seesoldaten war an die zweihundert Mann stark und bestand fast ausnahmslos aus kampferprobten und erfahrenen Männern, auf die Don Pedro sich verlassen konnte. Sie hatten die bisherigen Angriffe auf den Verband in allen Phasen mitverfolgt und sich glücklich geschätzt, nicht selbst angeschossen worden zu sein. Doch jetzt war es soweit: Die Schebecke schob sich auf die „Guadalquivir“ zu.
Raúl Casaderes sah sie nahen, als sie sich noch etwa eine halbe Kabellänge von der Galeone entfernt befand. Er kniff die Augen zusammen und vergewisserte sich, daß er keiner Täuschung erlag, dann stieß er seinen Alarmruf aus.
Unter ihm wurde es lebendig. Der Capitán schrie seine Befehle, die Männer stürzten auf die Gefechtsstationen. Durch die offenen Stückpforten der Backbordseite und über die Rohre der feuerbereiten Geschütze hinweg erkannten auch sie nun den Schattenriß des kleinen, schnellen Schiffes. Flüche wurden laut, dann stob und knisterte die Glut in den Kupferbecken, und in aller Eile wurden die Zündschnüre entfacht.
Don Juan bemerkte, durch den Ruf des Ausgucks ebenfalls alarmiert, was an Bord der „Guadalquivir“ vorging. Trotzdem dachte er nicht daran, jetzt noch abzudrehen. Ein anderes Schiff als Angriffsziel konnte er sich ohnehin nicht mehr aussuchen. Auch die Mannschaft der anderen Schiffe waren jetzt unterrichtet, Rufe schallten von Bord zu Bord. Das Unternehmen abbrechen? Nein, darin war sich Don Juan mit seinen Männern wieder einmal einig. Sie wollten nicht umkehren.
Vigil und Buarcos zündeten die vorderen Drehbassen, und mit lautem Krachen flogen die Ladungen aus den Rohren. Sie schlugen ins Heck des Gegners, aber noch befand sich die Schebecke nicht auf der richtigen Schußposition, um die Ruderanlage der Galeone nachhaltig zu beschädigen. Beide Kugeln richteten kaum Schaden an.
Don Juan schickte sich an, vom Wind abzufallen und die „Guadalquivir“ mit den Backbord-Vierpfündern zu bepflastern, aber in diesem Moment donnerten die Culverinen der Galeone. Acht Blitze leckten aus den Stückpforten der Backbordseite, und die aufsteigenden Rauchwölkchen verbanden sich zu einem einzigen, träge dahinfließenden Vorhang aus schwarzem Qualm.
„Deckung!“ rief Don Juan noch – aber seine Männer lagen schon bäuchlings auf dem Deck. Die Kugeln der „Guadalquivir“ heulten heran und fegten über sie weg, einige lagen zu kurz und schlugen vor der Bordwand ins Wasser. Rauschende Fontänen stiegen auf und fielen wie zerbrechende Glaskronen wieder in sich zusammen.
Vigil, Buarcos, Matteo und die anderen sprangen wieder auf, stürzten zu den Vierpfündern und zündeten sie, ehe der Gegner nachladen und erneut schießen konnte.
Don Pedro Alfonsin hatte aber wohlweislich nur einen Teil der Geschütze abfeuern lassen. Jetzt