„Sir“, sagte Mac Pellew weinerlich. „Es gibt da eine alte Seemannsregel, und die gilt auch für uns. Ein Schiff, das sich bereits auf See befindet, darf nicht noch einmal umkehren – das bringt Unglück. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, Sir.“
Mac Pellew begann zu lamentieren und zu nörgeln. Schließlich rang er die Hände und zog ein Gesicht, als seien sie längst untergegangen und müßten um ihr Leben schwimmen. In den düstersten Farben malte er den anderen die Zukunft aus.
Ben Brighton hatte sich unter die Neugierigen gemischt und hörte belustigt zu. Für ihn stand fest, daß die beiden Kerle heimlich die Viecher an Bord gebracht hatten, und auch der Seewolf wußte das. Es ließ sich nur nicht beweisen, zumal beide auch so harmlos taten.
„Es gibt ja noch eine andere Lösung“, sagte Ben sachlich. „Wir können die beiden Tierchen an Bord lassen, wenn wir bei Arica den Landmarsch antreten. Die neuen Schiffe müssen ja sowieso bewacht werden. Dann können sich die Wachmannschaften um Arwenack und Sir John kümmern. Damit wäre der Fall bereinigt.“
„Bereinigt ist er dadurch noch nicht“, sagte Hasard etwas versöhnlicher, „aber dein Argument ist stichhaltig, Ben. Gut, dann lassen wir es dabei.“
Hasards Gesicht wurde ganz ausdruckslos, als er den Profos musterte.
„Sir John tut mir leid“, sagte er, „wir haben gar kein Futter für ihn an Bord, zu dumm, wie?“
Der Profos strahlte über das ganze Gesicht.
„Oh, ich habe zufällig Sonnenblumenkerne und etwas Mais dabei“, sagte er. Dann biß er sich auf die Lippen, als er merkte, daß er Hasard auf den Leim gegangen war.
„Rein zufällig natürlich“, murmelte er. „Wie das so geht. Ich dachte, in der Kiste sei Rum, aber da war Futter drin. Na ja, und so.“
„Was, wie“, sagte Hasard freundlich. „Man sollte dir mal wieder deine Visage etwas geradeklopfen, mein lieber Ed. Du siehst nämlich verdammt schief aus. Vielleicht hängt aber auch nur dein Heiligenschein etwas schief. Der Fall ist damit erledigt.“
Der Profos verdrehte die Augen und schielte nach oben. Hm, sein Heiligenschein hing nicht nur schief, der wackelte ganz beträchtlich. Vielleicht konnte ihm Big Old Shane einen neuen schmieden.
Hasard warf den beiden Sündern noch einen schrägen Blick zu, dann kehrte er aufs Achterdeck zurück.
6.
Bei gutem Nordostwind segelte die „Caribian Queen“ am nächsten Tag vormittags in den Hafen von Tortuga.
Hasard sah sich die Südbucht an, aber dort gab es nichts Auffälliges zu sehen und schon gar nichts, was verdächtig war. Im Hafen lagen lediglich ein paar harmlose Einmaster, kleine Boote, die ganz sicher nicht von Schnapphähnen bemannt waren.
Daß sich noch drei größere Zweimastschaluppen in einer Bucht bei Portugal Point befanden, die an der Ostspitze von Tortuga ankerten, konnte er nicht wissen. Er sah auch nicht den abenteuerlich gekleideten Kerl, der sie heimlich beobachtete.
„Es genügt, wenn du heute abend mit zu Diego gehst“, sagte Hasard zu Siri-Tong. „Ich werde inzwischen mit ein oder zwei Männern hinaufgehen, die Liste mitnehmen und das Zeug ordern. Den Kleinkram können wir heute stauen, das Holz, das Diego in Hispaniola ordern muß, kannst du dann auf der Rückfahrt mitnehmen.“
„Einverstanden“, sagte die Rote Korsarin und gab ihm die Liste, die Hesekiel Ramsgate zusammengestellt hatte.
„Dann sollen mich zwei Mann begleiten“, sagte Hasard.
„Aye, aye, Sir“, sagte der Profos, der wie aus den Planken gewachsen neben dem Seewolf auftauchte. „Ich suche noch einen aus. Ich schlage vor, wir nehmen Ferris mit – wegen des Holzes, Sir.“
„So, du schlägst vor“, entgegnete Hasard. „Wer hat überhaupt gesagt, daß du mich begleiten sollst?“
„Das ist doch Tradition, Sir“, sagte Carberry erstaunt. „Man kann doch nicht einfach Traditionen über den Haufen werfen. Aber wenn du mich nicht willst, Sir, dann schließe ich mich eben solange in der Vorpiek ein und gräme mich. Ich armes Rübenschwein muß ja immer leiden.“
„Du siehst auch genau wie ein vergrämtes armes Rübenschwein aus. Aus gewissen Gründen wollte ich eigentlich auf deine Begleitung verzichten – du kennst ja diese gewissen Gründe.“
Der Profos blickte so mitleidheischend, daß er Hasard schon wieder leid tat. Er sah todunglücklich aus, als müßte er alle seine Freunde persönlich beerdigen. Dagegen war Mac Pellew ein lebenslustiger Springinsfeld. Nein, dieses Leiden-Christi-Gesicht konnte Hasard nicht länger ertragen.
„Geheiligt sei die Tradition. Dann sage Ferris Bescheid, und schlage dir gleichzeitig eine Sauferei aus dem Kopf, denn daraus wird jetzt nichts. Wir ordern nur das, was wir brauchen.“
„An Saufen hätte ich nie gedacht“, entrüstete sich der Profos, „doch nicht jetzt, am hellen Vormittag.“
„Es gibt Leute, die saufen auch am hellen Vormittag, die nehmen auf die Tageszeit überhaupt keine Rücksicht.“
„So was von Unanständigkeit, pfui Teufel. Gegen ein winziges Bierchen am Abend ist ja nichts einzuwenden, aber am hellen Tag …“
Wer den Profos nicht kannte, hätte ihm diese Rolle gutgläubig abgenommen. Entrüstet blickte er sich um, ob etwa solche Kerle in der Nähe standen, die schon am hellen Tag soffen.
„Du würdest einen guten Schmierendrescher bei einer Wanderbühne abgeben, Ed“, sagte Hasard belustigt. „Also vorwärts, wir gehen zu Diego hinauf.“
Kurz darauf verließen Hasard, Ed und Ferris die „Caribian Queen“ und gingen den Serpentinenweg hinauf zur „Schildkröte“.
Um diese Zeit herrschte bei Diego kaum Betrieb. Die Kneipe erwachte erst am Nachmittag zum Leben, und vom Abend bis zum frühen Morgen ging es dann sehr hektisch zu, wenn sich Schnapphähne, Beutelschneider und Huren aller Schattierungen einfanden.
Der dicke Diego stand hinter dem Tresen und zapfte für zwei Gentlemen Bier, die gleich am ersten Tisch hockten. Das waren die einzigen Gäste.
Als er die drei Seewölfe sah, glitt ein freudiges Grinsen über sein Gesicht. Nur bei Carberrys Anblick zuckte er etwas zusammen, das konnte Diego nicht vermeiden. Diese wandelnde Granate flößte ihm immer wieder ein kaltes Grausen ein, obwohl er seinen lieben „Amigo Ed“ gern mochte. Man mußte sich nur immer wieder an seinen Anblick gewöhnen.
Die Begrüßung fiel trotzdem recht herzlich aus, denn die Arwenacks hatten dem Dicken schon oft aus der Patsche geholfen. Diego war so eine Art Ersatz-Plymson aus Plymouth. Er ähnelte dem feisten Wirt aus England nicht nur figürlich, er hatte auch dessen Schlitzohrigkeit und war geldgierig.
Hasard holte die Liste hervor, reichte sie Diego und verklarte ihm, was sie wollten.
Carberry schnappte sich den Bierhumpen, sah Diego an und schüttelte den Kopf.
„Das wäre nun aber wirklich nicht nötig gewesen“, sagte er verlegen, „so früh am Morgen schon. Aber da du mich jetzt schon überredet hast, dann prost, Gentlemen!“
Er nickte den beiden verdatterten „Gentlemen“ sehr freundlich zu, was die mit einem lahmen Grinsen beantworteten.
„Äh, hm“, sagte der eine lahm.
„Ja?“ fragte der Profos höflich.
„Äh, das Bier …“
„Kann ich nur empfehlen“, erklärte Ed. „Es ist frisch und kühl. Sie sollten sich auch eins bestellen, Gents.“
Hasard drehte sich um und warf dem Profos einen straf enden Blick zu.
„Diego war so freundlich“, sagte Ed