O’Flynn maulte zwar noch ein bißchen herum, gab aber schließlich nach, weil er das dann doch einsah. Er wollte zwar noch erzählen, was er früher alles ganz allein gemeistert hätte, aber die anderen vertrösteten ihn auf später.
„Wird sowieso ’ne mistige Scheißstadt sein“, grummelte er, „wenn der Hafen viertausend Yards hoch in den Bergen liegt.“
„Er hat das immer noch nicht kapiert“, sagte Hasard fassungslos, als Old O’Flynn gerade nicht zuhörte. „Mitunter ist es wirklich ein Kreuz mit ihm. Aber jetzt zur Sache.“
Jean Ribault, der die Hölzchen in der Hand hielt, bemühte sich um einen möglichst ehrlichen Gesichtsausdruck, was ihm auch hervorragend gelang. Niemand würde etwas merken, dachte er, sie würden es nicht einmal ahnen, daß er sie kaltblütig begaunerte. Der Zweck heiligte auch in diesem Fall die Mittel.
Er betrieb jetzt das, was die Franzosen mit „corriger la fortune“ bezeichneten, das Glück etwas korrigieren, ihm ein wenig nachhelfen.
Den lieben Gott hatte er schon zweimal um Verzeihung gebeten und sein Gewissen damit erheblich entlastet. Es diente ja alles nur einem guten Zweck, außerdem folgte er einem festen Vorsatz. Hasard und seine Arwenacks waren nun einmal die besten Männer und die besten Kämpfer, und die wollte er unbedingt dabeihaben, ganz besonders den Seewolf, seinen alten Kampfgefährten, denn Hasard war genau der richtige Mann dafür.
So hatte er jetzt noch ein sechstes Hölzchen in der Hand, das mit den vier anderen gleich lang war.
Das gekürzte Hölzchen verbarg er geschickt in der Innenhand, während er die fünf anderen reihum präsentierte.
„Ladies first“, sagte er galant und hielt der Roten Korsarin auffordernd die Hölzchen entgegen, von denen man nur die Spitze sah.
Siri-Tong griff nach einem Hölzchen in der Mitte. Es war ein langes, woraufhin sie enttäuscht das Gesicht verzog.
„Schade“, meinte sie bedauernd.
Der Wikinger griff mit seinen Pranken zu, als wollte er Jean gleich alle Hölzchen aus der Hand reißen. Als er auch ein langes zog, verfinsterte sich sein Gesicht. Er sagte nicht: „Schade“ wie Siri-Tong, er sagte grob: „Ein Scheißspiel ist das, ein verdammtes.“ Dann wollte er sich wieder den Helm vom Schädel reißen, doch Ribault schüttelte lächelnd den Kopf.
„Du hast schon eine Beule drin, Thorfin. Nachher mußt du wieder stundenlang klopfen.“
„Trotzdem ist das ein Scheiß“, grollte der Wikinger.
Jerry Reeves war an der Reihe und zog ebenfalls ein langes Holz.
„Hatte ich auch nicht anders erwartet“, murrte er. „Das Glück ist mir einfach nicht hold.“
Oliver O’Brien trat vor, neben ihm stand Hasard.
Jetzt muß ich ihn leimen, dachte Jean. Der Himmel möge mir zum dritten Male vergeben, aber ich will Hasard dabeihaben und seine Arwenacks.
„Mein lieber Oliver“, sagte er laut lachend, „in der Kürze liegt die Würze, das bewahrheitet sich jetzt und hier.“
Die anderen lachten ebenfalls. Klar, das Sprichwort paßt vortrefflich, dachten sie.
Jedenfalls waren sie für einen winzigen Augenblick abgelenkt und achteten daher nicht so genau auf seine rechte Hand. Als Oliver zog, wurde auch sein Gesicht ziemlich lang. Damit stand der Sieger eigentlich fest, und so schob Ribault blitzschnell geschickt und gekonnt das kurze Hölzchen hoch und ließ das andere in der Innenfläche der Hand verschwinden, als Hasard auch schon zugriff.
Philip Hasard Killigrew hielt das kurze Hölzchen in der Hand. Oliver O’Brien kratzte sich enttäuscht das Kinn.
Aber bei den Arwenacks war jetzt der Teufel los. Die röhrten plötzlich wie die Hirsche, brachen in wildes Hurrageschrei aus und konnten sich kaum noch beruhigen.
„Ab nach Potosi!“ brüllte Ferris Tucker.
„Nichts wie los!“ schrie Smoky. „Am besten gleich heute noch!“
Das Gebrüll wurde immer lauter. Etwas neidisch sahen die anderen zu, wie die Arwenacks sich in die Arme fielen, sich auf die Schultern klopften oder dastanden und einfach nur bis über beide Ohren grinsten.
Ribault sah lächelnd zu. Das überzählige Hölzchen hatte er längst unauffällig verschwinden lassen.
„Tut mir leid für die anderen“, sagte er, „aber so war es nun einmal vereinbart.“
Als das Jubelgeschrei allmählich verstummte, hob er die Hand.
„Hasard und seine Crew segeln also mit uns zusammen“, sagte er laut. „Aber eins möchte ich dabei gleich von Anfang an klar und deutlich hervorheben: Es ist für mich selbstverständlich, daß ich mich mit meiner Mannschaft dem Kommando des Seewolfs unterstelle. Der beste Kapitän soll das Unternehmen leiten und führen, und der beste Kapitän ist nun einmal Hasard, das wird niemand bestreiten wollen. Folglich hat er das Kommando über die Reise.“
Zustimmendes Gebrüll erfolgte von allen Seiten. Nur Hasard blieb ruhig stehen und sagte kein Wort.
Seltsam ist das, fand er. Er selbst maßte sich die dominierende Rolle im Bund der Korsaren nicht an, aber sie wurde immer wieder an ihn herangetragen, ob er wollte oder nicht. Ribault ordnete sich sofort freiwillig unter, die anderen ebenfalls, das bewies die allgemeine Zustimmung von allen Seiten. Sie ließen ihn auch noch hochleben und jubelten ihm zu.
Er blickte Jean an, der ihm zulächelte und vor Freude einen roten Kopf hatte. Aber auch die anderen Kapitäne gratulierten Hasard zu seinem Glück, das der Franzose „etwas“ korrigiert hatte. Aber auf diese Idee wäre niemand verfallen. Ribault hatte dabei allerdings immer noch ein schlechtes Gewissen, daher auch sein rot angelaufener Kopf. Aber das nahmen die anderen als Ausdruck der Freude, weil sie es nicht besser wußten.
„Was sagst du nun, Sir?“ fragte Ribault freudestrahlend den Seewolf. „Anfangs warst du ja sehr dagegen.“
„Ich war damit einverstanden, das Los entscheiden zu lassen, und ich akzeptiere das selbstverständlich. Ja, ich muß zugeben, daß ich mich jetzt auf die neue Aufgabe freue, und ich werde mich ihr auch voll und ganz zuwenden und an die genaue Planung gehen.“
Das war typisch Hasard. Zuerst hatte er fast kategorisch abgelehnt, was Jeans abenteuerlichen Plan betraf, aber jetzt begann es ihn zu reizen, und er würde sich der neuen Aufgabe sehr sorgfältig zuwenden. Vor sich selbst gab er zu, daß ihn der Reiz des Abenteuers doch wieder einmal gepackt hatte. Das war wie ein Fieber, das langsam begann und dann schnell anstieg.
Er sah es auch in den Gesichtern seiner Männer, sah das begehrliche Funkeln ihrer Augen und das erwartungsvolle Grinsen. Vor ihnen lag wieder eine Aufgabe, etwas Neues, eine weite Reise mit all ihren Unwägbarkeiten und Risiken.
„Dann sollten wir das in Donegals Rutsche auch gleich feiern“, schlug Shane mit lauter Stimme vor. „Wir haben uns durstig genug geredet.“
Auch der Vorschlag wurde sofort begeistert aufgenommen, nur der alte O’Flynn war noch etwas grämlich.
„Ich kann hier in meiner Kneipe hocken bleiben, wenn ihr in Potosi einlauft“, sagte er verbiestert. „Inzwischen wird mir das Bier sauer und der Wein trübe.“
Dem Profos klappte der Unterkiefer weg. Er beherrschte sich nur noch sehr mühsam, aber er wollte den Alten auch nicht weiter anranzen, sonst verfiel der noch auf die Idee, ihn mit Kneipenverbot zu belegen. Und das wäre gerade heute sehr schlimm.
„Hör mal zu, Alterchen“, sagte er. „Wir laufen doch gar nicht in Potosi ein, nie und nimmer, das verspreche ich dir. Weil wir nämlich da gar nicht einlaufen können, verstehst du?“
„Damit hast du mich schon mal getröstet.“
„Ein