In Gedanken sah er sich auf dem Achterdeck dieses Zweideckers stehen, die Hände auf den Rücken gelegt, von einer Seite zur anderen gehen und Befehle geben. Aber dazu mußte man das Schiffchen erst einmal haben.
Molino sah, wie es hinter der Stirn des Admirals arbeitete. Vermutlich sah der sich bereits als Admiral auf dem Zweidecker, denn er starrte das Schiff verträumt und besitzergreifend zugleich an.
„Sie stellen sicher taktische Überlegungen an, wie man an das Schiff herankönnte, Admiral, und sicher haben Sie auch schon einen Gedanken“, schmeichelte Molino.
„Hm, hm, ich überlege noch. Wenn da nur nicht so viele Kerle an Bord wären. Das irritiert mich ein wenig.“
„Vielleicht ginge es draußen auf See, Admiral. Hier im Hafen können wir kaum etwas ausrichten. Aber wenn wir ihn uns draußen überraschend mit unseren drei Schiffen schnappen, dann sieht das alles schon ganz anders aus.“
„Hm, hm, das muß sorgfältig überlegt werden. Aber wenn ich mir vorstelle, daß ich da auf dem Achterdeck stehe und … Zum Teufel“, unterbrach er seinen Redeschwall, „ist das nicht eine Frau, oder sehe ich schlecht?“
Dem Achterdeck hatten sie ihr Interesse nicht sonderlich gewidmet, aber jetzt starrte Luis Campos dorthin, und da traf ihn fast der Schlag. Er schluckte hart und stierte die Frau an.
„Himmel noch mal“, murmelte er fassungslos. „Die scheint auf dem Schiff die Befehle zu geben. Ja, gibt es denn so etwas? Das ist doch gar nicht möglich.“
Siri-Tong drehte sich um und sah in ihre Richtung. Aber den Admiral sah sie nicht, der verschwand in der Menge buntgekleideter Gestalten und dem Gewimmel am Hafen.
Luis Campos fühlte, wie ihm der Hals trocken wurde. Er sah ein ebenmäßiges, unwahrscheinlich hübsches Gesicht mit zwei etwas schräggestellten kohlschwarzen Augen, eine zierliche gerade Nase und einen sinnlichen Mund. Die Frau war schlank und zartgliedrig, sie trug blaue Hosen und eine knallrote Bluse, unter der sich ihre Formen klar und deutlich abhoben. Zwei Knöpfe dieser roten Bluse standen offen, und darauf stierte der Admiral jetzt mit Triefaugen.
„Teufel, Teufel“, murmelte er entzückt und strich mit einer affig wirkenden Gebärde wieder über sein Spitzbärtchen. „Diese wunderhübsche Señorita hat der liebe Gott nach Tortuga geschickt. Ein Prachtweib“, schwärmte er, wobei er seine Fingerspitzen küßte, „ein Geschenk des Himmels. Die muß ich kennenlernen, und wenn die ganze Welt dabei untergeht.“
„Ja, wirklich eine außergewöhnliche Frau“, sagte auch Molino, und diesmal meinte er es durchaus ehrlich, denn auch ihn faszinierte die exotische Schönheit der Señorita.
Der Admiral war ganz hingerissen. Aufgeplustert stand er da, um die Aufmerksamkeit dieser Señorita aus der Ferne zu erregen, aber leider, leider – sie blickte an ihm vorbei und sah ihn gar nicht, sosehr er sich auch spreizte wie ein liebeskranker Pfau.
„Wollten wir nicht zu dem Diego hinauf, Admiral?“ fragte Molino nach einer endlos langen Weile, in der der Admiral immer noch auf das Prachtweib schielte, mal die Luft anhielt und seinen Brustkorb herausdrückte, mal mit affektierten Bewegungen einherstolzierte, sein Bärtchen strich oder an seiner vornehmen Kleidung herumfummelte. In seinen Augen loderte eine verhaltene Glut. Molino glaubte ein Feuer darin zu sehen, das sich immer mehr ausweitete. Diesmal schien es den Admiral höllisch erwischt zu haben, der war schon ganz scharf und malte sich wer weiß was alles aus.
Eigentlich war das sein übliches Getue, wenn ein „Prachtweib“ in der Nähe war. Dann plusterte er sich wie ein Gockel auf, und es fehlte nur noch, daß er laut gekräht hätte.
„Diego – wer ist Diego?“ fragte der Admiral desinteressiert.
„Der Kneipenwirt da oben, Admiral, den wir ausnehmen wollten. Ich habe Pablo und Escola hinaufgeschickt. Die werden jetzt noch da hocken und sich umsehen.“
Der Admiral schluckte wieder, strich seinen Spitzbart und stierte mit brennenden Blicken auf die Frau. Hin und wieder glitt sein Blick auch mal flüchtig über das Schiff.
Molino räusperte sich, weil der Admiral nicht geruhte, eine Antwort zu geben. Er kriegte auch keine, denn dem Admiral war es jetzt offenbar völlig gleichgültig, ob die Kerle noch in der Kneipe hockten oder nicht. Und auch der dicke Wirt schien ihn nicht mehr sonderlich zu interessieren. Er war wieder einmal weggetreten und „aufs äußerste fasziniert“, wie er gern sagte.
Molino wurmte das, denn wenn der Admiral einmal Feuer gefangen hatte, ließ ihn leider seine Intelligenz etwas im Stich, und er vergaß mitunter auch sein Vorhaben. Dann verzichtete er großzügig auf fette Beute, weil ihm das andere wichtiger war: Als sich einmal ein Kerl darüber aufgeregt hatte, war er eine Minute später tot gewesen. Seither regte sich niemand mehr öffentlich über des Admirals Amouren und Marotten auf.
Dem Adjutanten wurde es langsam zu langweilig. Schön, die Señorita war wirklich einsame Spitzenklasse, aber deshalb mußte man sie doch nicht stundenlang „aufs äußerste fasziniert“ anglotzen, sich den Hals verrenken und das Maul aufsperren.
Nach einer angemessenen Zeit wiederholte er seine Frage etwas schüchtern.
Aber der Admiral sagte nur: „Hm, hm, jaja, später“ und gab nichts Konkretes von sich. Molino hätte sich gar zu gern in irgendeinen Winkel verkrochen, um ein paar Runden zu schlafen, denn die durchzechte Nacht steckte ihm noch in den Knochen. Doch das war nicht möglich, solange der Admiral gewissermaßen auf dem Kriegsschauplatz stand, um die Lage zu sondieren.
Das Schiff hatte jetzt vertäut, die Segel waren eingeholt worden, und der Admiral ging ein paar Schritte nach vorn, um die Lage noch genauer peilen zu können. Er hielt sich jedoch etwas abseits und stellte sich nie in die wogende Menschenmasse.
Aus der Nähe betrachtet, sah die Frau noch hübscher aus. Und auch das Schiff war äußerst robust, mit starker Armierung und zwei Decks.
„Sind doch keine hundert Mann an Bord“, sagte er leise, „das hat vorhin nur so ausgesehen. Insgesamt sind das etwas siebzig oder fünfundsiebzig Kerle, mehr nicht.“
„Trotzdem noch eine gewaltige Überzahl“, gab der Adjutant zu bedenken. „Scheinen auch harte Burschen zu sein.“
„Das sagtest du bereits einmal.“
Molino entsann sich nicht, das schon einmal gesagt zu haben. Vielleicht aber hatte der Admiral das gedacht, und so schwieg er.
„Wir bleiben vorerst hier auf Position“, entschied Luis Campos. „Wir werden auskundschaften, was es mit diesem Schiff auf sich hat. Und gegen Abend gehen wir in die Kneipe. Es kann ja sein, daß die wunderschöne Señorita auch da hingeht.“
„Und der Wirt, Admiral?“
„Welcher Wirt?“
„Der dicke Kneipenwirt, den wir rupfen wollen.“
„Das wird die Lage ergeben. Jedenfalls sind mir das Schiff und diese Frau zehnmal wichtiger. Was haben wir schon bei so einem kleinen Pinscher zu holen – ein paar Münzen, mehr nicht“, sagte er, abfällig mit der Hand winkend.
Jetzt war also wieder einmal die gleiche Situation entstanden, indem der Admiral eine dicke Beute einfach sausenließ. Da war auch ein Weib im Spiel gewesen, und er hatte alles andere vergessen.
Aber so ganz steckte Molino noch nicht auf. Er durfte zwar auch keine große Lippe riskieren, aber er durfte Vorschläge unterbreiten und konnte sich ein wenig mehr herausnehmen als die anderen.
„Es sind eine Menge Münzen, Admiral. Ich habe sie gesehen. Was der Kerl an einem einzigen Tag einnimmt, ist enorm. Und er hat mit Sicherheit viele Schätze in seiner Kaschemme gehortet.“
„Ein Dreck gegen das Schiff“, sagte der Admiral wegwerfend. Dabei leckte er sich lüstern über die Lippen. „Wenn wir das Schiff haben, brauchen wir keine Kneipenwirte mehr auszunehmen. Dann gehen wir an die ganz großen Brocken heran und rupfen die spanischen Silberschiffe.“
Jetzt