Seewölfe Paket 13. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395026
Скачать книгу
wie uns machen läßt.“

      „Ich kann die Flagge nicht sehen“, sagte der Erste.

      „Aber es ist offensichtlich, daß er uns hierher gefolgt ist!“

      „Das glaube ich nicht, o Herr“, widersprach der Offizier. „Der Zufall wird auch ihn hierher verschlagen haben, und er sucht Schutz vor dem Sturm. Nach wie vor bin ich nicht der Ansicht, daß er uns draußen angreifen wollte.“

      „Was denn sonst? Warum hielt er denn plötzlich auf uns zu?“

      „Vielleicht, um uns zu warnen“, erwiderte der Erste.

      „Geschwätz!“ stieß der dicke Levantiner verächtlich aus. „Das Gewäsch eines alten Weibes. Lassen Sie lieber die Kanonen ausrennen und Klarschiff zum Gefecht rüsten!“

      „Ja, Herr.“

      Der Erste Offizier kam aber nicht mehr dazu, den Befehl weiterzuleiten. Plötzlich stach ein Feuerblitz in die Nacht, der nichts mit dem Gewitter zu tun hatte, sofort darauf noch ein zweiter. Es waren die vorderen Geschütze des heransegelnden Fremden, die gesprochen hatten. Die Kugeln rasten heran – eine schlug neben der Bordwand des Kauffahrers ins Wasser, die andere fegte über das Hauptdeck und riß den Ersten Offizier fort, dessen Todesschrei durch die Nacht gellte.

      „Nein!“ schrie der Kapitän voll Grauen. „Allah, tu uns das nicht an! Allah akbar, Allah ist groß, Allah ist mächtig!“

      Sein Flehen nutzte nichts. Wider grollten die Kanonen des Angreifers, das Schiff fiel vom Wind ab und zeigte dem Levantiner jetzt die Mündungen seiner Backbordgeschütze.

      „Ein Überfall!“ schrie der Levantiner. „An die Kanonen! Klar zum Gefecht! Zeigt diesen Hundesöhnen, daß sie sich in uns getäuscht haben! Zeigt ihnen, wer wir sind!“

      Doch weder Gebete noch Anfeuerungen halfen etwas. Ehe der Kauffahrer bereit war, sich gegen den Angriff zu verteidigen, war die fremde Galeone nah genug heran. Ihre Siebzehnpfünder krachten und donnerten, die Kugeln saßen fast alle im Ziel, auf dem Deck des Levantiners wirbelten Trümmer und die Gestalten von Menschen durcheinander. Das Chaos war perfekt – es gab keine Hoffnung mehr auf Rettung.

      Lagios und eine Gruppe von zwanzig Männern hatten sich von den Olivenhainen aus schon vor einer Stunde auf den Weg nach Pigadia begeben, denn sie wollten die Frauen und Kinder während des Sturmes doch lieber nicht allein lassen.

      Als sie die Schüsse vernahmen, die im Dorf fielen, und das Geschrei an ihre Ohren drang, beschleunigten sie ihre Schritte. Lagios eilte allen voran. Er bewegte sich am schnellsten und sichersten auf dem schmalen, jetzt stark ansteigenden Pfad voran.

      „Gerechter Himmel!“ stieß er hervor. „Was hat das zu bedeuten?“

      Der junge Mann, der hinter seinem Rücken war, rief: „Vielleicht hat ein Blitz eingeschlagen!“

      „Das war kein Blitz! Das waren Flinten!“

      „Willst du damit etwa sagen …“

      „Das Dorf ist angegriffen worden!“ schrie Lagios. „Jemand hat es besetzt, anders kann es nicht sein! Wer von unseren Leuten würde schon eine Flinte abfeuern, nur so zum Spaß?“

      „Antos könnte es getan haben“, meinte ein anderer Mann keuchend. „Er ist verrückt genug. Es war ein Fehler, ihn bei den Frauen zurückzulassen.“

      „Er kann mit keiner Waffe umgehen“, widersprach Lagios. „Er kann nur auf seiner Lyra spielen, nichts weiter.“ Plötzlich blieb er stehen, so unvermittelt, daß sein Hintermann ihm fast gegen den Rücken prallte.

      „Was ist?“ sagte dieser. „Hast du etwas gesehen, Lagios?“

      „Ja. Sei still. Sag auch den anderen, sie sollen schweigen. Gib es schnell weiter.“

      Die Männer flüsterten miteinander. Lagios duckte sich auf dem Pfad, suchte nach einem Versteck und hielt zu den Felsen hinauf Ausschau. Es war schwer, in der Finsternis und dem Regen auf einige Distanz überhaupt etwas zu erkennen, doch er hatte den untrüglichen Eindruck, über ihnen habe sich etwas bewegt – ein Mensch, halb gebückt, schreckhaft, der sich jetzt rasch in eine Felsspalte zu drücken schien.

      Freund oder Feind? dachte Lagios. Wenn Piraten in Pigadia eingedrungen waren – eine Möglichkeit, die man trotz aller Vorsicht der Insulaner nie ganz ausschließen durfte –, dann war damit zu rechnen, daß sie sich auch auf die Umgebung des Bergdorfes verteilten.

      Doch es konnte genausogut sein, daß jemand aus dem Ort geflohen war und jetzt Hilfe suchte.

      Lagios kauerte sich hinter einen Gesteinsvorsprung und gab den anderen ein Zeichen, sich ebenfalls abwartend zu verhalten. Er legte beide Hände als Schalltrichter an den Mund und ahmte den Ruf eines Nachtvogels nach, ein Zeichen zur Verständigung, das alle Bewohner von Pigadia kannten.

      Der Laut war kaum im Sturmwind verklungen, da kehrte er zu Lagios zurück – etwas höher und schwächer, jedoch deutlich genug.

      Lagios stand auf und lief zu den Felsen hinauf. Vor ihm erhoben sich durchnäßte Gestalten, denen die Panik und Verzweiflung in den Gesichtern geschrieben stand. Iris löste sich aus der Gruppe und stürzte auf ihn zu. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und preßte sich zitternd an ihn. Er legte ihr die Hand auf das nasse Haar und hielt sie fest.

      Melania, Kanos und die beiden kleinen Mädchen traten näher, aus dem Hintergrund schoben sich immer mehr Gestalten heran, Frauen und Kinder.

      „Was ist geschehen?“ fragte Lagios. „Wo sind die anderen?“

      „Die Männer sind tot“, stammelte Iris an seiner Brust.

      „Einige Mädchen und junge Frauen sind gefangengenommen worden“, erklärte Melania mit müder, brüchiger Stimme. „Wir haben sie nicht retten können, sonst wäre es auch unser Verderben gewesen. Wir müssen froh sein, daß uns die Flucht bis hierher gelungen ist. Wir dachten schon, ihr wäret auch Piraten, die uns auflauern wollten.“ Sie berichtete, was vorgefallen war.

      „Antos“, sagte einer der Männer hinter Lagios. „Er hat diese Teufel also geradewegs ins Dorf geführt. Dieser erbärmliche Narr. Das wird er mir büßen. Er hat unseren Vätern den Tod gebracht.“

      „Er ist vom Bösen besessen“, sagte eine alte Frau. „Seit der Pope gestorben ist, der sich immer um ihn gekümmert hat, ist es ständig weiter bergab mit ihm gegangen. Er hat das Unglück über uns alle gebracht, aber vielleicht ist es unsere eigene Schuld. Die Strafe des Himmels – wir hätten einen neuen Popen holen sollen. Wir sind alle Sünder.“

      „Das ist doch Unsinn.“ Lagios trat dicht vor sie hin und hielt Iris, die sich wieder halb von ihm gelöst hatte, an der Hand fest. „Außerdem kommen wir mit solchem Gerede nicht weiter.“

      „Ich hätte alles verhindern können“, sagte Melania. „Antos erschien beim Dunkelwerden im Dorf und erzählte mir von den Schiffen. Ich hätte ihm glauben sollen und begreifen müssen, was bevorstand.“

      „Wir alle haben nicht daran geglaubt, daß es die Schiffe wirklich gab“, warf Iris ein und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen und das Regenwasser aus dem Gesicht. „Du brauchst dir also nichts vorzuwerfen, Melania.“

      „Nie hätten die Piraten unser Dorf gefunden, wenn Antos nicht zu ihnen gegangen wäre!“ rief eine andere Frau. „Er allein hat die Schuld an allem!“

      „Still“, sagte Lagios. „Wenn ihr herumschreit, lockt ihr diese Kerle noch an. Wir müssen einen, klaren Kopf behalten und versuchen, das Dorf zurückzuerobern.“

      „Aber wie?“ fragte Iris und blickte ihn entsetzt an.

      „Wir schleichen uns an sie heran. Wir kennen unsere Häuser besser als diese Hundesöhne. Wir steigen von hinten ein und fallen über sie her, wenn sie es am wenigsten erwarten.“

      „Es sind zu viele“, sagte Melania. „Und sie haben viele Musketen und Pistolen, deren Pulver sie jetzt an den Öfen trocknen werden. Sie schießen uns alle tot, wenn