Seewölfe Paket 13. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395026
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und auf einem dieser winzigen, sanft geschwungenen Strände stand der Fremde.

      Jella beugte sich vor und flüsterte Selim ins Ohr: „Wenn wir sterben müssen, dann sterben wir zusammen, mein Herr und Gebieter.“ Der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

      „Schweig“, sagte er.

      Sie schwieg wirklich, denn sie wußte, daß er unberechenbar war und von einem Moment zum anderen in Wut ausbrechen konnte.

      Es war ungewöhnlich, daß Frauen an Bord von Schiffen mitfuhren, auch unter Piraten, doch Selim wußte genau, daß er seinen Haufen nur zusammenketten konnte, wenn er ihn bei Laune hielt. Sie waren noch nicht sehr lange zusammen, und immer wieder gab es Situationen, durch die eine Meuterei hervorgerufen werden konnte. Bei der Vielzahl der Kerle, die sich auf der Schebecke „Grinta“ und auf der Ghanja befanden, würde selbst die Autorität eines Mannes wie Selim im entscheidenden Moment den Ausbruch des Vulkans nicht bremsen.

      So hatte er zu einem taktischen Mittel gegriffen, das genauso ungewöhnlich wie wirksam war. Unter Mißachtung aller Gesetze des Korans hatte er einen Schwarm Frauen an Bord geholt, hier und dort in den Häfen aufgelesen oder aus überfallenen Siedlungen entführt. Sie hielten sich als dienstbereites Hurenvölkchen jederzeit für die wilden Männer zu Verfügung, unverschleiert, zügellos, herausfordernd. Das brachte die Kerle nicht auf dumme Gedanken.

      Jella stammte aus Tripoli, und sie war freiwillig an Bord der Schebekke gegangen. Selim hatte sie zu seiner Auserwählten erkoren, weil sie die Schönste und Geschickteste unter allen Frauen war. Doch in der letzten Zeit war sie ihm fast zu dreist geworden. Neuerdings versuchte sie, ihn zu verhöhnen. Es konnte ihr nicht daran gelegen sein, auch in seiner letzten Stunde bei ihm zu sein, so weit gingen ihre Gefühle für ihn nicht.

      Welchen Zweck verfolgte sie mit ihren Reden? Plante sie etwas gegen ihn?

      Seine Miene wurde finster. Wenn du ein Komplott schmiedest, um meine Schätze an dich zu reißen, schneide ich dir die Gurgel durch, dachte er.

      Das Boot stieß mit dem Bug durch die Brandung, die Wogen hoben es hoch und ließen es wieder fallen. Knirschend schob es sich auf den Sand.

      Selim stieg als erster aus, Jella folgte ihm. Osman, Ali, Firuz und die beiden anderen hievten das Boot noch etwas höher auf den Strand, dann schritten auch sie ihrem Anführer und der Frau nach, die jetzt auf den merkwürdigen Fremden zusteuerten.

      Selim hatte seine Pistole gezogen und den Hahn gespannt, um sofort auf den Mann schießen zu können, falls dieser einen jähen Ausfall gegen ihn unternahm oder wegzulaufen versuchte.

      Antos lächelte und strich mit dem Bogen über die drei Saiten seiner Lyra.

      „Willkommen“, sagte er. „Meine Freude kennt keine Grenzen. Ihr seid die Boten, nicht wahr?“ Er nickte wissend. „Poseidon schickt euch. Ich habe euch von weitem gesehen. Mein Wunsch geht in Erfüllung. Mein Dank wird ewig sein.“

      Selim blieb dicht vor ihm stehen. Jella und die fünf Männer verharrten hinter seinem Rücken. Sie waren Türken und Araber, doch sie verstanden die Sprache des Mannes mit dem herben Gesicht und dem verlorenen Blick. Lange genug hatten sie das östliche Mittelmeergebiet bereist, die Ausdrucksweise der Griechen und der Inselbewohner war ihnen nicht mehr fremd.

      „Er ist verrückt“, sagte Selim auf türkisch. „Jedenfalls hat es den Anschein. Habe ich es nicht gleich gesagt?“

      Antos sah die Männer mit den Turbanen und den weiten Hosen, den Glatzkopf und die verächtlich lächelnde Frau an.

      „Ich bin Antos“, erklärte er ihnen. „Ihr wißt Bescheid, nicht wahr?“

      „Ja“, erwiderte Selim. „Poseidon schickt uns.“

      „Wer bist du?“

      „Poseidons Sohn“, erwiderte Selim, und seine Begleiter mußten an sich halten, um nicht laut loszulachen.

      „Poseidons Sohn“, flüsterte Antos ergriffen und ließ die Lyra sinken. „Nimmst du mich sofort mit? Segeln wir gleich wieder fort?“

      Selim beugte sich vor. Der Inselbewohner war ausstaffiert, als sei er gerade seiner eigenen Hochzeitsfeier entflohen. Er trug Kniehosen aus blauem Tuch und hohe Lederstiefel, dazu ein gebauschtes weißes Hemd und eine Joppe. Der Wind blähte seine Kleidung auf und zerzauste seine schütteren Haare, doch nicht das war es, was Selims Aufmerksamkeit erregte.

      Um den Hals hatte sich der Mann eine Kette aus Goldmünzen gehängt.

      „Seht ihr das?“ raunte jetzt auch Jella den Piraten zu. „Er ist reich. Er trägt Goldschmuck, als wäre es harmloser, wertloser Plunder.“

      „Es ist Katzengold“, brummte Osman.

      „Nein“, zischte Ali. „Gold, echtes Gold. Das erkenne ich von hier aus.“

      „Antos, mein Freund“, sagte Selim so freundlich wie möglich. „Woher hast du diese wunderbare Kette?“

      Antos lächelte verträumt. „Du müßtest es wissen. Poseidons Sohn weiß alles.“

      Selim überlegte, ob er ihn mit dem Messer zur Preisgabe der Antwort zwingen sollte, doch er beherrschte sich. Er hatte es mit einem Geistesgestörten zu tun. Wahrscheinlich würde sich dieser Mann eher töten lassen, als sich ihm noch weiter mitzuteilen, wenn er merkte, daß er einem Irrtum erlag.

      Selim entsann sich der Bräuche, die auf Rhodos und den anderen Inseln des Ägäis-Archipels üblich waren. Normalerweise trug kein Mann irgendwelchen Schmuck. Dies taten nur die Mädchen, wenn sie vor ihrer Heirat stolz ihre Aussteuer vorwiesen. Erbstücke, die von Generation zu Generation weitergereicht wurden – daß es jedoch Gold sein konnte, hatte Selim wegen der Armut der Insulaner nicht zu hoffen gewagt.

      „Die Kette gehört deiner Frau“, sagte Selim.

      Antos blickte ihn ergeben an. „Ja. Ja. Ich bringe sie ihr. Fahren wir hinaus?“

      „Hinaus aufs Meer?“

      „Ja, aber nicht sehr weit, nicht wahr?“

      Selim überlegte scharf. Er glaubte zu begreifen, was den Verstand dieses Mannes umnachtet hatte.

      „Sie liegt dort draußen, Antos“, sagte er.

      „Bei meinen Söhnen.“

      „Bei deinen Söhnen.“

      „Laß mich nicht länger warten“, flehte Antos.

      Selim sah ihn forschend an. Natürlich konnte er ihm den „Gefallen“ tun, ihn auf die See hinauszubringen und dort ins Wasser zu stoßen, nichts leichter als das. Selbstverständlich würde er ihm vorher die Kette abnehmen. Aber etwas hielt ihn zurück, etwas, das mit Mitleid und Skrupel allerdings nicht das geringste zu tun hatte.

      „Auch Poseidon würde sich über ein Geschenk freuen“, sagte Selim.

      „Oh? Aber ich habe nur diese eine Kette.“

      „Es gibt noch mehr Ketten, Antos.“

      „Im Dorf, meinst du?“ Antos lachte. „Du weißt alles, wirklich alles, Sohn des Poseidon. Nichts entgeht dir. In Pigadia haben fast alle Frauen einen kleinen Familienschmuck.“

      „Den sie in ihren Schatullen aufbewahren.“

      „Ja. Unter der Estrade.“

      „Natürlich. Unter dem Hohlraum der Estrade“, sagte Selim und wandte sich zu den anderen um. Sie grinsten verstohlen. Was eine Estrade war, wußten sie natürlich alle. Nicht nur auf Rhodos war es üblich, diesen erhöhten Tritt in den Wohnhäusern einzurichten, auf dem sich ein großer Teil des täglichen Lebens abspielte.

      Selim hielt nach einem Pfad Ausschau, der zum Dorf hinaufführte, entdeckte ihn jedoch nicht.

      „Antos“, sagte er. „Ich gehe ins Dorf, um deine Leute zu begrüßen und um ein Geschenk für Poseidon zu bitten. Warte hier auf mich.“

      „O nein! Ich möchte dich