Während die drei Rudergasten und die beiden anderen Frauen weiterpullten, packte Gori schleunigst das in der Jolle liegende Tauende und belegte es um die Ducht vor der Heckbank. Er wollte die Fehler von zuvor revidieren und neuen Mut und Einsatzbereitschaft beweisen.
Der Sog riß an den Leibern der drei Männer im Wasser und wollte sie zurück zur „Novara“ ziehen, die jetzt schneller in die Tiefe abglitt.
„Laßt mich los! Laßt mich zurück!“ rief Medola, aber Sampiero und Venturi hörten nicht auf ihn. Sie kämpften verbissen gegen die Macht des Wassers, stemmten sich gegen die tödliche Drift, gaben nicht auf.
Doch die knappe Distanz, die sie von dem Tau trennte, schien sich nicht zu verringern.
„Haltet mit dem Pullen ein!“ schrie Bianca Sampiero plötzlich.
Domenico Gori, der aus aufgerissenen Augen zu ihr hinüberblickte, glaubte anfangs, die Panik habe auch ihr den Geist verblendet, doch dann merkte er, wie ernst es ihr war. Er drehte sich zu den Rudergasten um und brüllte: „Aufhören! Habt ihr nicht gehört? Das ist ein Befehl, zum Teufel!“
Die drei Decksleute der „Novara“ waren nicht weit davon entfernt, höhnisch aufzulachen und die Order ihres Zweiten Offiziers zu ignorieren, hatte er doch vorher ein so klares Bild von seiner Furcht und Schwäche geliefert.
Doch sie gehörten nicht zum Schlag eines Zorzo oder Prevost, sie spürten ein tiefes Gefühl der Verbundenheit mit ihrem Kapitän, der sich ihnen gegenüber immer loyal verhalten hatte – und so gehorchten sie. Auch die Frauen hielten inne.
Die Jolle stoppte, sobald sich die Blätter der Riemen aus dem Wasser hoben. Dann trieb sie zurück zur „Novara“, und auch das straff im Wasser liegende Tau bewegte sich in derselben Richtung.
Sampiero streckte die Hand danach aus, packte das Tau, zog Medola und Venturi in einer gewaltigen Anstrengung mit sich und sah zu seiner Freude, daß auch sein Erster Offizier das Tau packte und sich mit aller Kraft daran festklammerte. Alle beide hielten sie sich mit einer Hand fest, mit der anderen zerrten sie Medola mit sich, der wieder das Bewußtsein verloren hatte.
Ivana Gori hatte Medola für tot gehalten, als sie ihn so reglos in der Kapitänskammer hatte liegen sehen, doch jetzt erhielt sie einen Begriff davon, wie zäh Männer dieses Schlages waren. Noch war Medolas Stunde nicht gekommen, noch brannte sein Lebenslicht, wenn auch nur schwach und flackernd.
„Pullt an!“ rief Gori. Die Riemen tauchten wieder ein. Ein Ruck lief durch die Jolle, langsam, aber beständig schob sie sich aus dem Bannkreis des rauschenden Trichters.
Sampiero, Venturi und Medola unternahmen jetzt keinen Versuch, sich näher an das Boot heranzubringen. Sie wußten, daß es zwecklos war. Sie schöpften ein wenig Atem und Kraft, ließen sich schleppen und hangelten erst wieder ein Stück voran, als das energische Zerren an ihren Beinen nachließ.
Bianca und der Zweite begannen, das Tau Hand über Hand durchzuholen, und rasch schrumpfte der Abstand zwischen ihnen und den drei keuchenden Männern.
Von allen Seiten strebten die Schiffbrüchigen auf die Jolle zu: der Rudergänger, der Feldscher und noch gut ein halbes Dutzend von denen, die auf Sampieros Befehl hin vom Achterdeck gesprungen waren.
Sie alle hielten sich schließlich an den Dollborden fest, wandten die Köpfe und sahen schweigend zu, wie die „Novara“ in den Fluten verschwand. Nur für kurze Zeit schwamm ihr verziertes Heck mit dem Ruderblatt noch wie ein wunderbares Reliefbildnis im Mittelpunkt des Wirbels, dann floß das Seewasser darüber zusammen. Das Ruder entzog sich als letztes den Blicken der Männer und Frauen.
Das Kreisen des Strudels ließ etwas nach. Nie schien es die „Novara“ wirklich gegeben zu haben, sie war fort wie ein Spuk, ein Trugbild unerklärlicher dunkler Mächte.
Sampiero und Venturi halfen, den besinnungslosen Bootsmann in die Jolle zu befördern, dann schaute sich der Kapitän in der Runde um.
„Wo sind die anderen?“ fragte er mit seltsam brüchiger Stimme. „Ich sehe hier bei weitem nicht alle Besatzungsmitglieder. Wo sind sie?“
Der Rudergänger hob die rechte Hand und wies stumm über das Boot weg auf den Strudel, der nicht nur die „Novara“, sondern auch mehr als zehn Männer des Vordecks mit in die Tiefe gerissen hatte – abgesehen von Raoul Cavenago und Alfredo Teson, die ihr Grab im Inneren des Schiffes gefunden hatten.
Lange Schatten krochen von Osten her in das Tal der Insel Martinique und flossen dort, wo an einem Bachlauf die Siedlung stand, ineinander. Ein gewundener Pfad führte vom Aussichtsberg in die üppig bewachsene Senke hinunter. Auf seinem untersten Drittel schritten die acht Männer, voran die Seewölfe, dann La Menthe und Duplessis und zuletzt die beiden Negersklaven, die das Holzgestühl, das Spektiv und einige andere Utensilien ihres Herrn trugen.
Dan war zu sich gekommen, als La Menthe dem Seewolf gerade die Höllenflaschen abgenommen hatte. Dan hatte mächtige Schmerzen in seinem Kinn und im ganzen Kopf, und er zog das Bein ein wenig nach, das von Duplessis gepackt und umgedreht worden war. Aber all das störte ihn nicht so sehr wie die Tatsache, daß er sich hatte überrumpeln und niederschlagen lassen.
Er hörte nicht auf, sich innerlich mit Selbstvorwürfen zu überhäufen – und wartete nur auf eine Gelegenheit, den Franzosen den heimtückischen Überfall zurückzuzahlen.
Eine passende Chance wollte sich aber nicht bieten. Der Glatzkopf und sein bulliger Helfer hatten sich die Gurte mit den Waffen ihrer Gefangenen vollgestopft. Sie hielten jeder zwei Pistolen in den Fäusten, mit denen sie Hasard, Shane, den Profos und Dan zweifellos ohne den geringsten Skrupel über den Haufen schießen würden, falls diese zu fliehen versuchten.
Die Siedlung bestand aus fünf langgestreckten, solide wirkenden Steinhäusern, die alle am nördlichen Ufer des Baches standen und von einer mannshohen weißen Mauer umgeben waren. Die Mauer bildete geometrisch genau ein Rechteck. Das ganze Anwesen sah sehr gepflegt aus.
„Siehst du, Killigrew“, sagte Regis La Menthe. „Das ist meine friedliche kleine Musterkolonie. Dort lebe ich mit Duplessis, fünf anderen Landsleuten und zwölf schwarzen Dienern, von denen die Hälfte Frauen sind. Es mangelt uns an nichts, und manch einer würde uns um dieses Paradies beneiden. Wir haben Wasser in Mengen, können jagen, sooft wir Lust haben, und bauen Zukkerrohr, Tabak, Kaffee, Melasse und Ingwer an. Wir ernten Bananen und brennen Rum, und meine ganz besondere Leidenschaft ist die Zucht von Orchideen. Gefällt dir das?“
„Ja. Danke für den Vortrag.“
„Wir haben Handfeuerwaffen und ein kleines Geschütz, und auch an Pulver und Kugeln fehlt es nicht.“
„Eine Festung, die uneinnehmbar ist, nicht wahr?“ sagte Hasard.
La Menthe lachte. „Oh, ich bin überzeugt, daß du sie entdeckt und zu stürmen versucht hättest. Ein Pirat wie du läßt sich eine solche Gelegenheit doch nicht entgehen.“
„Du täuschst dich immer noch in uns, aber ich sehe ein, daß es keinen Zweck hat, dich vom Gegenteil überzeugen zu wollen.“ Hasard ließ seinen Blick wandern und nahm alle Details der Landschaft in sich auf. Wo bot sich eine Möglichkeit zur Flucht? Wann konnte er zuschlagen und die Franzosen überwältigen? Wenn sie erst innerhalb der Mauer waren, war es zu spät dazu, dann würde man sie einsperren.
La Menthe gab sich ausgesprochen redselig, er schien seine Englischkenntnisse an den Mann bringen zu wollen.
„Ihr werdet euch fragen, was uns hierher verschlagen hat“, sagte er. „Nun, auch das will ich euch verraten. Vor etwas mehr als zwei Jahren lief ich mit meinem Schiff, einem Sklavenfänger, auf eins der Riffe vor der Ostküste, und damit war unsere Reise, die uns eigentlich nach Portobello hatte führen sollen, zu Ende. Ich hatte hundert Sklaven aus Senegal an Bord und wollte sie in Neuspanien verkaufen,