Zorzo war unterdessen mit zwei Helfern in die unteren Decks des Achterschiffs vorgedrungen. Sie hatten die Ruderanlage beschädigt, indem sie den großen Balken, der die Pinne mit dem Kolderstock verband, durchgesägt hatten.
Lodovisi und die übrigen zwei Mitglieder der Bande hatten derweil an Oberdeck ihren Dienst versehen und aufgepaßt, daß niemand ihre Kumpane bei der Sabotage störte. Lodovisi hatte sich eine Reihe von Ablenkungsmanövern einfallen lassen, die er bei drohender Gefahr vom Achterdeck anwenden wollte, doch keins davon brauchte er zum Einsatz zu bringen. Sampiero und seine Offiziere waren viel zu sehr mit der Beobachtung der Passage und des Strudels beschäftigt. Erst der Ruf des Rudergängers schreckte sie auf.
Lodovisi verkniff sich ein schadenfrohes Grinsen. Er tat vielmehr auch so, als sei er erschrocken. Deutlich genug schallten die Worte des Rudergängers über das Hauptdeck.
Die „Novara“ lief aus dem Ruder und trieb vor dem Nordostwind genau auf den Sog und die Korallenriffe vor Martinique zu. So hatte Roi Lodovisi es gewollt, so hatte er es berechnet, und aus diesem Grund hatte er seine Kerle in den Schiffsbauch hinuntergeschickt, als der Ausguck zuerst die Insel und dann den Trichter entdeckt hatte.
Es funktioniert hervorragend, dachte Lodovisi, während alles auf dem Hauptdeck zusammenlief, aber für uns wird es jetzt höchste Zeit, den elenden Kahn zu verlassen.
Er blickte zu Sampiero und sah, wie dieser den Steuermann, den Bootsmann und den Zimmermann losschickte, damit sie nach dem Rechten sahen.
Hoffentlich halten sich Prevost, Zorzo und die anderen genau an die Anweisungen, dachte Lodovisi. Sie dürfen auf keinen Fall den Kopf verlieren und zu früh abhauen, sonst werden die Lecks vorzeitig entdeckt und vielleicht noch gestopft.
Er betete zur Hölle, daß dies nicht geschehen möge.
Ihre Schritte trommelten die Stufen der Niedergänge hinunter. Sie erreichten das Schott, das den Weg zum Gebälk der Ruderanlage versperrte, und Vittorio Medola, der Bootsmann, riß es auf.
In diesem Augenblick, in dem sie vor dem Schott verharrten, glaubte Raoul Cavenago, der Steuermann, merkwürdige Geräusche hinter seinem Rücken zu vernehmen.
„Mein Gott“, sagte er. „Hört ihr das nicht? Da ist etwas – im Frachtraum. Das …“
„Wasser“, unterbrach ihn Alfredo Teson, der Zimmermann. „Ja, ich höre es auch. Jesus, das rauscht ja gewaltig. Wir müssen sofort nachsehen, was da los ist und wo das Leck … Hölle, wie kann denn da bloß ein Leck entstehen, zumal ich heute früh auf meiner üblichen Kontrollrunde alles überprüft habe?“
„Jetzt keine unnötigen Fragen stellen, Alfredo“, sagte Medola gepreßt. „Lauf in den Laderaum, es ist keine Zeit zu verlieren. Raoul, du kehrst sofort zu unserem Kapitän zurück und meldest ihm, daß wir ein Leck haben, dann kehrst du mit vier, fünf Mann wieder zurück, damit wir die Schäden beheben können.“
Teson war bereits verschwunden, seine Schritte pochten durch den Schiffsgang davon und auf dem nächsten Niedergang noch tiefer in den Schiffsleib hinunter.
Cavenago zögerte noch. Er sagte: „Wollen wir nicht erst feststellen, was an dem Ruder kaputt ist?“
„Ja, das ist vielleicht besser“, entgegnete Medola und tastete sich im Dunkeln voran. Er wollte eine Öllampe anzünden, die er sich an den Gürtel gehängt hatte, aber noch in der Finsternis fanden seine Hände den großen Balken, der zum unteren Ende des Kolderstocks führte. Betroffen registrierte er, daß dieser Balken sauber durchgesägt worden war.
Er bemerkte eine Gestalt hinter sich und nahm an, daß es sich um den Steuermann handelte. Er wollte etwas zu Cavenago sagen, doch plötzlich packte eine Hand seinen Mund und hielt ihn zu. Etwas fuhr ihm erstaunlich weich, jedoch heiß wie Feuer von hinten zwischen die Rippen.
Verrat, dachte er, Meuterei, und dann sagte er sich: Sie haben dich gestochen, verflucht, sie haben dir meuchlings ein Messer in den Leib gejagt, und jetzt greifen sie sich auch Cavenago, das arme Schwein, und er ist viel zu überrascht, um schreien zu können. Danach ist Teson dran, der nichts ahnt, und keiner kann mehr ’rauf zum Kapitän und ihm Meldung erstatten von dieser Verschwörung, dieser hundsgemeinen Sauerei …
Er sank in den Knien zusammen und wollte sich am zerstörten Balken festhalten. Doch seine Hände glitten ab. Er fühlte alle Kraft aus seinem Körper entweichen. Das Feuer tobte wie ein Sturm durch seinen Leib und fraß sich in seinen Geist. Wie aus weiter Ferne hörte er noch den keuchenden Laut des Entsetzens, den Raoul Cavenago ausstieß, als Zorzo und dessen beide Kumpane aus dem Dunkel des Schiffsraums auf ihn zusprangen.
Zorzo stach mit dem Messer zu, wie er es bei Medola getan hatte, dann ließ er rasch von dem Steuermann ab und eilte auf leisen Sohlen Alfredo Teson nach, der mittlerweile den Frachtraum erreicht hatte und erschüttert feststellte, daß ihm das eintretende Seewasser bereits bis zu den Fußknöcheln stand.
Die Bucht hatte gewaltige Ausmaße. Sie grub sich tief in die westliche Küste der Insel Martinique. Im Süden der Bai befand sich ein winziges Eiland, etwa gerade so groß wie alle Decks der „Isabella VIII.“ zusammen. Nicht weit davon entfernt ankerte knapp zwei Kabellängen vorm Ufer die Galeone der Seewölfe. Ganz sanft fiel der weiße Sandstrand, über den spielerisch die Meeresbrandung leckte, ins Wasser ab. Philip Hasard Killigrew hatte sich mit dem Schiff nicht näher ans Land heranwagen können, ohne Gefahr zu laufen, mit dem Kiel auf Grund zu geraten.
Die Bucht, der Strand und die Palmen, das Eiland und das ankernde Schiff formten ein Bild der Harmonie und Beschaulichkeit, das von der kleinen Jolle, die sich jetzt auf das Ufer zubewegte, nicht gestört werden konnte, im Gegenteil, sie trug zur Vollkommenheit des Gemäldes bei.
Das Boot stoppte im weichen, weißen Sand und entließ acht Gestalten, die sich wie bunte Flecke auf den Grüngürtel zubewegten. Angeführt wurde der Trupp von Hasard. Er hatte diesmal Old O’Flynn, dessen Sohn, Shane, Carberry, Sam Roskill, Luke Morgan und Bill, den Moses, mitgenommen, um das Land zu erkunden.
Old Donegal Daniel O’Flynn blickte sich immer wieder mißtrauisch nach allen Seiten um, schien aber nichts zu entdecken, was seinen Argwohn nährte. Hier gab es keinen tükkischen Treibsand, keine Kannibalen und Kopfjäger, keine Raubtiere und keine Moskitos oder ähnliche Plagegeister. So gesehen, konnte man die Insel als das Paradies schlechthin betrachten.
Old O’Flynn trat zu seinem Kapitän und sagte: „Bist du sicher, daß es stimmt, was aus seinen Aufzeichnungen und den Karten hervorgeht?“
„Natürlich“, erwiderte der Seewolf. „Ich weiß, daß ich mich darauf verlassen kann. Außerdem ist dies ja nicht die erste Insel der Kleinen Antillen, die wir betreten.“
„Also, was den vulkanischen Ursprung betrifft, hast du ganz bestimmt recht“, meinte Big Old Shane. „Als wir die Insel anliefen, haben wir im Süden deutlich genug die schwarze Erde gesehen. Und schaut euch die Berge im Norden an! Die haben tatsächlich alle Ähnlichkeit mit feuerspeienden Kratern. He, Donegal, es könnte jeden Moment losgehen mit dem Zauber, was denkst du?“
„Ich denke, daß keiner von uns den Teufel an die Wand malen sollte“, antwortete der Alte. „Dazu haben wir nämlich keinen Grund – bei all dem Verdruß, den wir in der letzten Zeit wieder erlebt haben.“
„Verdruß, Verdruß“, sagte sein Sohn. „Wir haben jetzt aber auch ein paar hübsche Kisten voll Silber an Bord.“
„Das wiegt die Entbehrungen nicht auf.“
„Na, na“, sagte Carberry. „Nun übertreib aber nicht, Donegal. Wir sind auf dem ganzen verdammten Weg um Afrika rum und an der Küste der Neuen Welt hoch bis hierher nicht abgesoffen, sind nicht am Skorbut oder an der Lustseuche oder an was weiß ich sonst noch krepiert und können deswegen froh sein. Wir haben dich wegen deiner dunklen Sprüche auch nicht über Bord geworfen, und darum solltest du ebenfalls glücklich sein, du Stint, denn irgendwann landen wir jetzt auf der Schlangen-Insel, die nicht mehr fern ist, und ruhen dort ein wenig unsere müden Knochen aus.“
„Soll ich vor Begeisterung