Hasard und seine Männer drangen aus dem Schatten einer Wagenremise vor, die sich den aufgereihten Maultierkarren anschloß. Der Seewolf feuerte im Laufen. Wummernd entlud sich der Drehling in seiner Faust. Die großkalibrige Kugel fegte einen der Musketenschützen von den Füßen. Auch die beiden anderen schafften es nicht mehr, ihre Langwaffen abzufeuern. Fassungslos starrten die anderen, die mit ihren Säbeln in Abwehrposition gegangen waren, auf den schwarzhaarigen Riesen, der da wie ein Ungewitter gegen sie vordrang und eine Waffe hatte, mit der er mehrmals hintereinander feuern konnte, ohne nachladen zu müssen.
„Ar – we – nack!“ brüllte Edwin Carberry, der gemeinsam mit Ferris Tucker aufschloß, und die anderen stimmten mit ein.
„Ar – we – nack!“ schmetterte es dem kleinen Haufen der Spanier beim Gatter donnernd entgegen, und ehe die anderen bei den Baracken und auf dem Appellplatz auch nur erfassen konnten, was sich abspielte, war es bereits zu spät.
Mit der entfesselten Gewalt eines Wirbelsturms brachen die Seewölfe über die Spanier herein. Letztere hatten es weder geschafft, die Brükke hochzuziehen noch das Gatter zu schließen. Verzweifelt setzten sie sich zur Wehr.
Hasard drang als erster auf sie ein. Unbarmherzig zerschlug er die Gegenwehr eines der Männer, der sich ihm in den Weg zu stellen versuchte. Ein zweiter sank unter seinem herabsausenden Säbel zusammen, während er in der Linken den Drehling am Laufbündel gepackt hielt und Hiebe mit dem schweren Knauf der Waffe austeilte, um sich die Seite freizuhalten.
Der Seewolf erreichte die Bohlenbrücke. Hinter ihm klirrten die Säbelklingen. Doch nur noch für einen Moment.
Jäh stoppte Hasard seine Schritte, als er die beiden gefesselten Gestalten am jenseitigen Ende der Brücke erblickte. Ein Blick zur Seite ließ seinen Atem stocken. Tief unten, in schlammiger Brühe, wälzten sich die häßlichen Körper von Alligatoren und Kaimanen, und ihre schuppigen Schwänze peitschten das Wasser.
Die unüberschaubare Menge der Galeerensklaven verharrte in stummer Furcht – hilflos dem Geschehen ausgeliefert. Doch dabei sollte es nicht mehr lange bleiben, das schwor sich der Seewolf in diesem Moment voller Ingrimm.
Johannes Lederer stürmte plötzlich an ihm vorbei.
„Gerhard!“ rief er. „Sigmund! Um Himmels willen!“
Hasard drehte sich zu den anderen um.
„Bewacht das Gatter!“ Er deutete auf die reglosen Körper der Spanier. „Nehmt ihnen die Waffen ab! Wir brauchen jeden Säbel, jede Muskete und jede Pulverflasche!“
„Aye, aye, Sir!“ brüllte Edwin Carberry begeistert. „Wir ziehen den lausigen Dons die Haut in Streifen von ihren Affenärschen! Die kriegen jetzt Zunder unter dem Hintern, daß ihnen heißer wird als den Kakerlaken im Kombüsenfeuer!“
Eilends führten die Männer den Befehl des Seewolfs aus, während Ferris Tucker und Smoky seitlich am Gatter mit ihren Musketen in Stellung gingen, um für Feuerschutz zu sorgen.
Johannes Lederer kniete vor den beiden Gefesselten nieder und befreite sie mit seinem Dolch von den Stricken. Nur die Ketten konnte er ihnen nicht abnehmen, ebensowenig wie den anderen, die sich in fassungsloser Freude vor ihm gruppiert hatten.
„Meine Kameraden!“ rief Lederer dem Seewolf zu. „Gerhard von Echten und Sigmund Haberding! Und all die anderen!“
Der Geschützdonner war mittlerweile versiegt. Doch die Ruhe sollte sich als trügerisch erweisen.
Von Echten und Haberding rappelten sich auf.
„Das ist der Mann, dem wir alle unsere Rettung verdanken“, sagte Johannes Lederer mit einer Handbewegung. „Sir Hasard, den sie den Seewolf nennen. Philip Hasard Killigrew.“
Gerhard von Echten, der hochgewachsene Deutsche, trat auf Hasard zu und reichte ihm die Hand.
„Sie waren in letzter Minute zur Stelle“, sagte er in fließendem Englisch. „Ohne Ihr Eingreifen wären mein Freund und ich nicht mehr am Leben. Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Sir Hasard.“ Mit knappen Worten schilderte von Echten, wie Capitán Gutiérrez nach dem plötzlichen Geschützdonner in einem Anflug von Panik auf die Hinrichtung verzichtet hatte.
„Später mehr darüber“, entgegnete der Seewolf knapp. „Ich denke, uns bleibt nicht viel Zeit. Wie weit sind Ihre Männer einsatzfähig, trotz der Ketten?“
Gerhard von Echten hob mit einem entschlossenen Lachen die Handgelenke, um die noch die Ketten gewikkelt waren.
„Sehen Sie sich das an! Das ist sogar eine recht wirksame Waffe!“
Johannes Lederer war zu den übrigen Deutschen gelaufen, begrüßte sie freudestrahlend, schüttelte Hände, klopfte auf Schultern. Für die Wiedersehensstimmung blieben jedoch nur wenige Minuten. Hasard mahnte zur Eile, ließ die Waffen verteilen, die sie den getöteten Spaniern abgenommen hatten.
Eine Gruppe von Indios lief auf den Seewolf zu, und einer von ihnen, stämmig gebaut, war der Wortführer. Auch er hatte sich die Ketten um die Gelenke gewickelt.
„Gracias, Señor“, sagte er in kehligem Spanisch, „wir danken Ihnen für unser Leben. Und wir werden ohne Angst um unser Leben an Ihrer Seite kämpfen.“
Hasard nickte und lächelte kaum merklich.
„Noch habt ihr nur eure Fäuste und eure Ketten!“ rief er. „Aber das soll sich schnell ändern. Als erstes werden wir die Waffenkammer stürmen.“
Für einen weiteren Wortwechsel blieb keine Zeit. Hasards Vermutung, daß sie sehr bald in Bedrängnis geraten würden, bestätigte sich. Vom Gatter her ertönten die Warnrufe der Männer von der „Isabella“. Inzwischen waren dort auch jene Deutschen in Stellung gegangen, die die Waffen der toten Spanier übernommen hatten.
Mit einem energischen Handzeichen beorderte der Seewolf die Indios zurück, die sich ebenfalls zur Verteidigung an die Brücke begeben wollten. Es wäre Selbstmord gewesen. Widerstrebend gehorchten sie.
Hasard folgte Johannes Lederer und den anderen, die über die Bohlenbrükke hasteten. Die Seewölfe hatten das Gatter geschlossen und Musketen und Pistolen in Anschlag gebracht. Im Schutz der Einzäunung waren die Deutschen noch damit beschäftigt, die Beutewaffen zu laden. Hasard schob sich zwischen seine Männer und lud die leergeschossenen Läufe seines Drehlings mit geschickten Handgriffen nach.
„Seht sie euch an, die Kanalratten!“ grollte Edwin Carberry. „Glauben diese Stinte etwa, sie könnten hier ein Scheibenschießen veranstalten, was, wie?“
„Zieh bloß den Kopf ein“, sagte Ferris Tucker grinsend, „mit deiner großen Klappe bist du sonst die beste Zielscheibe.“
Der Profos ruckte herum.
„Was soll denn das schon wieder heißen? Mister Tucker, ich warne dich. Wenn du mich verscheißern willst, werde ich dir eigenhändig …“
„… die Haut in Streifen von deinem Affenarsch ziehen!“ fielen die anderen im Chor ein.
Gerhard von Echten und seine Männer wechselten erstaunte Blikke. Doch sie verstanden sehr wohl, mit welch einer hartgesottenen Sorte von Rauhbeinen sie es hier zu tun hatten. Und ebenso erklärte dies, weshalb es den Seewölfen überhaupt gelungen war, in die Festung einzudringen. Das waren Kerle, die Tod und Teufel nicht fürchteten und garantiert schon manches Mal mitten in die Hölle gesegelt waren, um den Leibhaftigen am Schwanz zu ziehen.
Auf dem Appellplatz, außer Schußweite noch, hatten sich inzwischen etwa fünfzig Spanier formiert. Ein Teniente stand wenige Schritte abseits und schrie seine Ordnung in die Dreierreihe. Weiter entfernt war ein Trupp von noch einmal fünfzig Soldaten auf dem Marsch in Richtung Festungstor.
„Vorwärts, marsch!“ ertönte der schneidende Befehl des Teniente.
Regungslos, die Waffen schußbereit, verfolgten die Seewölfe und ihre deutschen Kampfgefährten das Schauspiel.
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