Keine Sekunde zu spät, wie sich im nächsten Moment zeigte. Ben Brighton hatte den richtigen Riecher gehabt.
Feuerblitze zuckten an Land auf – aus den Nebelschwaden heraus. Einen Sekundenbruchteil danach rollte der Geschützdonner der Festungsbatterien über die See.
Doch die Kugeln orgelten weit hinaus und klatschten unsichtbar im Nebel in die Fluten.
Unsichtbar war längst auch die „Isabella“ für die Geschützmannschaften auf den Palisadentürmen von Macuro. Für diesen Teil des Planes hatte der Nebel den Zweck erfüllt, den der Seewolf ihm zugedacht hatte.
Noch bevor der Donner der ersten Breitseite von der „Isabella“ verklang, stürmten der Seewolf und seine Männer los. In Minutenschnelle erreichten sie die Palisadenwand an der zum Dschungel gelegenen Seite der Festung. Zwanzig Yards rechts von ihnen befand sich einer der Batterietürme. Auf der anderen Seite, nach links, verschwammen die Palisaden im Nebel.
Noch aus dem Ansturm heraus schleuderten Ferris Tucker und Edwin Carberry die Enterhaken, die hinter den Spitzen der Palisaden sofort faßten. Dan O’Flynn, Smoky und Batuti brachten ihre Musketen in Anschlag und richteten die Mündungen auf den Batterieturm, wo die Silhouetten von Soldaten zu erkennen waren.
Hektisches Geschrei gellte mittlerweile in der Festung. Befehlsstimmen überbrüllten sich gegenseitig. Das Chaos schien perfekt.
Hasard und Johannes Lederer enterten als erste an den Tampen auf. Noch hatten die Soldaten auf dem Turm nichts bemerkt, viel zu sehr hielt sie der Geschützdonner von See her in Atem. Mit kraftvollen Klimmzügen hangelten der Seewolf und der Deutsche hoch und stützten sich dabei mit den Stiefeln am glitschigen Holz der Palisaden ab. Ihre Musketen hatten sie geschultert.
Noch bevor die beiden Männer die Spitze des Zaunes erreichten, hatten Ed Carberry und Ferris Tucker die Trickkiste aus Al Conroys Pulverkammer geschnappt und liefen damit zurück. Zwanzig Yards abseits der Palisaden öffneten sie die Kiste im Schutz eines der Werftschuppen. Eilends trafen Carberry und Tucker ihre Vorbereitungen.
Inzwischen schwangen sich der Seewolf und sein deutscher Begleiter mit einem entschlossenen Ruck über die Spitze der Palisaden.
Von außerhalb des Zaunes bellte ein Musketenschuß. Zwei weitere Schüsse folgten.
Federnd landete Hasard auf dem Boden. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie auf dem Batterieturm einer der Soldaten die Arme hochwarf, vornüberkippte und lautlos hinunterstürzte. Ein zweiter Soldat sank hinter der Brüstung des Turms in sich zusammen.
Sofort riß Hasard die eigene Muskete vom Rücken. Johannes Lederer, der neben ihm glücklich gelandet war, tat es ihm nach. Ihnen blieb vorerst keine Zeit, sich um das Geschehen in der Festung zu kümmern. Nur so viel konnten sie feststellen, daß alles wild durcheinanderhastete. Und weiter rollte der Kanonendonner von See her.
Die Geschützmannschaft auf dem Batterieturm hatte spätestens jetzt begriffen, was sich am Palisadenzaun abspielte. Silhouetten tauchten über der Brüstung auf. Zwei, nein drei Männer. Hasard und Johannes Lederer gingen in die Knie, visierten an. Oben schimmerte Waffenstahl im trüben Licht des beginnenden Tages.
Die beiden Männer feuerten fast gleichzeitig. Schreie gellten. Die Silhouetten waren hinter der Brüstung verschwunden. Hasard und Johannes Lederer warteten keine Sekunde, warfen sich herum, orientierten sich blitzschnell und stürmten los. Hinter ihnen schwangen sich Batuti und Dan O’Flynn über den Zaun und landeten mit federnden Sätzen auf dem weichen Erdboden.
Hinter einer Reihe von Maultierkarren fanden der Seewolf und der Deutsche Deckung. Batuti und Dan O’Flynn folgten ihnen. Im selben Moment, als sich auch Smoky über die Palisaden schwang, begann der Feuerzauber.
Für die Spanier mußte es den Anschein haben, als breche die Hölle los.
Zischend stachen rotglühende Linien aus der milchigen Unergründlichkeit des Nebels heraus, und grelle Kugeln schwebten in weitem Bogen auf die Festungsanlagen innerhalb der Palisaden nieder. Die Soldaten, die unter den barschen Befehlen ihrer Offiziere und Unteroffiziere wie aufgescheuchtes Wild über den Appellplatz hasteten, begriffen nicht sofort.
Im nächsten Moment erfolgten die Detonationen dicht über ihren Köpfen. Es krachte wie von Kanonenschüssen in rascher Folge. Funkenregen ergoß sich über die Männer, die vor Schreck ins Stolpern gerieten, sich zu Boden warfen und verzweifelt Deckung suchten, wo es keine gab. Auch das Gebrüll ihrer Vorgesetzten verstummte schlagartig, denn ihnen war der Schreck nicht minder heftig in die Knochen gefahren.
Unablässig fauchten die Lichtspuren, die wie glühende Ketten aussahen, aus den Nebelschwaden von außerhalb der Palisaden. Die niederschwebenden, grell leuchtenden Kugeln, die mit wummernden Schlägen explodierten, verfehlten nicht ihre demoralisierende Wirkung. Es sollte noch geraume Zeit dauern, bis die Spanier begriffen, daß dieser Feuerzauber zwar einen Höllenlärm bescherte, sonst aber keinen Schaden anrichtete.
Keiner von diesen Männern hatte jemals das Reich der Mitte gesehen, und so konnten sie nicht ahnen, daß es nichts weiter als ein harmloses „chinesisches Feuer“ war, das über ihren Köpfen mit Donnergetöse krepierte.
Die Seewölfe hatten es auf einer ihrer Reisen in den Fernen Osten kennengelernt, und Al Conroy war ein gelehriger Schüler jener Chinamänner gewesen, die auf so unglaublich kunstvolle Weise mit dem Schwarzpulver umgehen konnten.
Der Nebel hatte sich kaum merklich gelichtet. Immer noch undeutlich waren jetzt schon die Umrisse der Batterietürme und der einzelnen Gebäude innerhalb der Palisaden zu erkennen.
Eins der Geschütze beim Haupttor begann zu feuern, nachdem eine ohrenbetäubende Explosion jeglichen anderen Lärm übertönt hatte. Hasard und seine Männer meinten auch, das Triumphgebrüll von Bord der „Isabella“ gehört zu haben. Die Pulverkammer einer der Galeeren mußte in die Luft geflogen sein.
Alles hing jetzt davon ab, ob es den Spaniern gelang, die Galeeren zu bemannen. Zwar hieß es allgemein, eine gut armierte Galeone könne sich mühelos gegen ein ganzes Rudel von Galeeren durchsetzen, aber die „Isabella“ segelte mit verringerter Crew und war folglich in ihrer Beweglichkeit geschwächt. Denn sie konnten nicht gleichzeitig die Geschütze bedienen und Segelmanöver ausführen.
Nicht mehr als zwei oder drei Minuten waren vergangen, seit Hasard und seine Gefährten in die Festung eingedrungen waren. Noch immer herrschte Verwirrung bei den Spaniern. In unverminderter Folge ließen Edwin Carberry und Ferris Tukker das chinesische Feuer niederregnen. Zwar versuchten die Offiziere mit erneutem Gebrüll, für Ordnung zu sorgen, aber nach wie vor schienen die meisten der Soldaten das Gefühl zu haben, ihnen säße der Gehörnte persönlich im Nacken.
Hasard hatte sich einen raschen Überblick verschafft. Die Muskete lehnte er an einen der Karren, er brauchte sie nicht mehr. Statt dessen zog er seinen Radschloßdrehling und überprüfte mit einem raschen Blick die Ladung der sechs Läufe.
„Da drüben!“ rief er gegen den Höllenlärm an. „Das muß das Gefangenenlager sein.“
Johannes Lederer und die anderen spähten nach links in die angegebene Richtung.
Aus dem offenen Gatter eines eingezäunten Areals stürmte eine Gruppe von Offizieren, denen Mannschaften in wirrer Formation folgten. An der Spitze der Offiziere hastete ein fülliger Mensch, der an seinem Körpergewicht erheblich zu tragen hatte. Der Uniform nach mußte es sich um einen Capitán handeln, wie Hasard feststellte.
Im offenen Gatter tauchte eine weitere Gruppe von Soldaten auf. Sie waren im Begriff, das Gatter zu schließen.
„Los jetzt!“ rief der Seewolf und schnellte als erster hoch.
Johannes Lederer und die übrigen Männer der „Isabella“ folgten ihm. Im selben Augenblick erschienen auch Ed Carberry und Ferris Tucker auf der Bildfläche. Sie hatten ihren Höllenspektakel eingestellt und schwangen sich unbehelligt über die Palisaden. Die Geschützmannschaften auf den Batterietürmen waren vollauf damit beschäftigt, sinnlose Kugeln einem unsichtbaren