Seewölfe Paket 12. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395019
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wird bei Sonnenaufgang stattfinden. Die Nacht wirst du in dieser etwas unbequemen Stellung verbringen. Ich werde mir inzwischen überlegen, ob ich dich den Krokodilen zum Fraß vorwerfe oder ob ich dir eigenhändig den Kopf abschlage.“

      Gerhard von Echten dachte nicht daran, die Augen zu schließen. Er hielt dem Blick des Capitán stand, bis dieser sich mit einem Ruck abwandte und davonstapfte.

      Die Fackeln brannten weiter, und auch das verstärkte Wachkommando blieb.

      6.

      Der Dschungel erwachte zu schrillem Leben, während die Morgendämmerung heraufkroch. In dichten Schwaden hing der Nebel scheinbar unauflöslich im Dickicht. Überall hatten sich Tropfen auf Blättern und Schlingpflanzen gebildet. Das Wasser rann herab wie Regen. Noch herrschte trübgraues Halbdunkel unter den mächtigen Baumkronen des Tropenwaldes.

      Die Luftfeuchtigkeit erschwerte den Männern jeden Atemzug. Ihre Kleidung klebte ihnen wie zähes Leder auf dem Leib.

      Johannes Lederer hatte sie mit untrüglicher Zielstrebigkeit durch das Dikkicht geführt. Neidlos mußte der Seewolf anerkennen, daß dieser Mann über eine bemerkenswerte Dschungelerfahrung verfügte. Lederer ging an der Spitze der kleinen Formation. Ihm folgten der Seewolf und Edwin Carberry, dann Ferris Tucker, der riesenhafte Schiffszimmermann mit dem leuchtend roten Haar, Dan O’Flynn, der schlanke junge Mann mit den schärfsten Augen an Bord der „Isabella“, Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, und Smoky, der bullige Decksälteste.

      Alle waren mit Musketen, Pistolen und Entermessern bewaffnet. Batuti trug außerdem seinen Bogen über dem Rücken und einen Lederköcher mit Pfeilen an der Hüfte. Dan O’Flynn und Smoky schleppten gemeinsam eine längliche Kiste, deren Inhalt wohlweislich mit wasserdichtem Ölpapier ausgeschlagen war.

      Johannes Lederer hob die Hand, ging langsamer und blieb dann stehen. Sofort stoppten auch die anderen ihre Schritte. Hasard trat neben den Deutschen, als dieser ihn zu sich heranwinkte.

      „Sehen Sie das?“ fragte Lederer halblaut. Er deutete mit ausgestrecktem Arm nach vorn. „Der verdammte Nebel läßt die Dinge verschwimmen, aber wenn mich nicht alles täuscht, sind wir am Ziel.“

      „Ohne den Nebel“, entgegnete der Seewolf lächelnd, „könnte unser Plan von vornherein nicht gelingen.“ Er kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt in die milchiggrauen Schwaden.

      „Ich weiß“, murmelte Johannes Lederer, „ich hoffe nur, daß es nicht zum Nachteil für uns umschlägt.“ Er gab sich einen Ruck. „Es sieht so aus, als ob wir den Außenbezirk der Festung erreicht haben.“

      Hasard nickte. Schemenhaft waren kantige Umrisse zu erkennen. Gebäude, deren klare Linien sich bei längerem Hinsehen deutlich von der wild wuchernden Vegetation des Dickichts abhoben. Geräusche waren indessen nicht zu hören. Die Nachtruhe war in Macuro noch nicht beendet. Auch das gehörte zum Plan der Männer von der „Isabella“.

      „In Ordnung“, sagte der Seewolf, „wir werden uns das aus der Nähe anschauen.“ Er wandte sich zu seinen Männern um und klärte sie mit knappen Worten über die Lage auf.

      „Endlich“, entgegnete Edwin Carberry. Er versuchte zu flüstern, was bei seinem Reibeisenorgan allerdings nur ein Versuch blieb. Es klang noch immer wie ein Grollen, tief aus seinem mächtigen Brustkorb. „Es muß doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir den Dons nicht noch vor dem Frühstück in die Suppe spukken.“ Er rieb sich die Hände, die das Format von Ankerklüsen hatten.

      „Dazu müssen sie uns erst mal spucken lassen“, bemerkte Smoky mit breitem Grinsen. „Man soll das Maul nicht zu voll nehmen, bevor der Tag angefangen hat.“

      Der Profos wirbelte herum.

      „Ho, du Molch, woher willst du denn wissen …“

      „Schluß damit!“ fuhr der Seewolf energisch dazwischen. „Eure Sprüche könnt ihr an Bord weiterklopfen.“

      Ed Carberry klappte den Unterkiefer hoch und schob beleidigt sein Rammkinn vor. Gegen Philip Hasard Killigrew hatte er noch nie ein Widerwort gefunden.

      Der Seewolf gab das Zeichen. Langsam und nach allen Seiten sichernd, setzte sich die kleine Kolonne wieder in Bewegung. Das Geschrei der Tropenvögel, das in voller Lautstärke eingesetzt hatte, schützte sie. Denn wegen der umfangreichen Ausrüstung, die sie mitschleppten, konnten sie nicht völlig geräuschlos vordringen.

      Allmählich zeichneten sich die Gebäude deutlicher ab. Johannes Lederer verharrte abermals.

      „Das muß die Werft sein“, flüsterte er dem Seewolf zu. „Rechts von uns befindet sich dann irgendwo die Pfahlbausiedlung. Wir müssen aufpassen, daß die Indios nichts von uns hören.“

      Hasard nickte nur. Sie pirschten sich weiter voran, verschmolzen zur Schemenhaftigkeit mit dem Nebel – auch dann noch, als das Dickicht zurückwich und den Weg auf das Werftgelände freigab.

      Mit einer knappen Handbewegung ließ Hasard seine Männer ausschwärmen. Es mußte im Schnekkentempo geschehen, denn jeder unbedachte Schritt konnte ein Geräusch verursachen und eine Katastrophe auslösen. Überall konnte es herumliegende Gerätschaften geben.

      Groß und dunkel erhob sich das Schutzdach der Helling vor ihnen aus dem Nebel. Im nächsten Moment sahen sie die schlanke Silhouette der Galeere, die hier zur Reparatur lag.

      Hasard zog sein Entermesser, und die anderen taten es ihm nach. Möglicherweise gab es auch hier draußen einen Posten. Wenn es so war, dann konnten sie ihn nur lautlos überwältigen.

      Doch ihre Befürchtung bewahrheitete sich nicht. Unbehelligt erreichten sie die Bordwand des flachen Schiffes, dessen Außenbeplankung an mehreren Stellen Lücken aufwies. Der Bohrwurm verrichtete auch hierzulande sein zerstörerisches Werk, gegen das noch immer kein Kraut gewachsen war. Immerhin schien es aber in Macuro genügend Arbeitskräfte zu geben, die solche Schäden rechtzeitig behoben.

      Gemeinsam mit Johannes Lederer schlich Hasard bis zum Bug der Galeere. Von dort aus konnten sie verschwommen den Palisadenzaun der Festungsanlage erkennen. Auch einer der Batterietürme lag weiter rechts in ihrem Blickfeld. Die Entfernung betrug kaum mehr als fünfzig Yards. Dementsprechend war die Sichtweite, die draußen auf See herrschte.

      Für Ben Brighton ein höllisch schwieriges Unterfangen!

      Johannes Lederer deutete mit einer Kopfbewegung zu den Palisaden.

      „Wenn wir Glück haben, liegt das Gefangenenlager auf dieser Seite.“

      Der Seewolf antwortete nicht. Lederer hatte die Festung nur aus einiger Entfernung gesehen, als es ihm gelungen war, die Flucht zu ergreifen. Deshalb hatte er keine absolut präzise Beschreibung von Macuro liefern können. Aber sie würden sich auch ohnedem schnell zurechtfinden, wenn sie den Palisadenzaun erst einmal überwunden hatten. Ed Carberry und Ferris Tucker trugen aufgerollte Tampen über der Schulter. An den Enden der Taue waren Enterhaken befestigt. Für alle Voraussetzungen, in die Festung einzudringen, hatten sie gesorgt.

      Sie brauchten nur noch auf das Zeichen zu warten.

      Sigmund Haberding hob vorsichtig den Kopf, nur um Handbreite. Er hatte kein Auge mehr zugetan, seit das Unvorstellbare geschehen war. Zweifellos war es auch den übrigen Männern nicht anders ergangen. Hilflos ausharren und dem Unabwendbaren entgegensehen zu müssen, das war schlimmer als körperliche Qualen.

      Da entstand eine Bewegung, die Haberding anfangs nur im Unterbewußtsein wahrgenommen hatte. Jetzt sah er es deutlich.

      Einer der Indios richtete sich langsam auf. Dabei spähte er fortwährend zu den Posten. Sie waren im Laufe der Nacht zweimal abgelöst worden. Als sie jetzt nicht reagierten, erhob sich der Indio vollends. Er war ein älterer Mann und hatte einen sehnigen Körper mit Muskelsträngen, die von langer Fronarbeit verhärtet waren.

      Gerhard von Echten hing kraftlos in den Fesseln, die ihn am Pfahl hielten. Irgendwann hatte er nicht mehr standhalten können. Auch für ihn gab es eine Grenze der Belastbarkeit, wie für jeden Mann.